Seite:Die Gartenlaube (1859) 542.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

oder Süd-Canadian. Bedenkt man, daß wir uns unter dem 36. Breitengrade und ungefähr 77 Längengrade befanden, unter demselben Breitengrade, unter welchem Candia liegt; bedenkt man, daß dieses Thal, durch seine Lage gegen die kalten Nordwinde und die von den Felsengebirgen herabstürmenden Westwinde geschützt, nur dem warmen Süd und Südost zugänglich war, so wird man von seiner paradiesischen Schöne nicht überrascht sein.

An der stolzen Sykamore kletterten die Schlingpflanzen hinauf, der Bocksbart mit seinen wunderlichen Formen hing von ihnen hernieder, und Hunderte von Orchideen mit ihren seltsamen Blüthenbüscheln hatten sich auf den Bäumen angesiedelt. Zwischen den Blättern schlüpften Vögel von den schönsten Farben, und am Abend hörte ich zum ersten Male den Whippoorwill sein Lied anstimmen. Die von der Sonne gerötheten Ränder des Thales spiegelten sich mit Blume und Baum in einem kleinen See, aus dem der Bach als kleiner Wasserfall herniederrauschte. Zum ersten Mal grüßte mich der Süden mit all seiner Schöne. Der Duft der Blumen berauschte mich fast, und die Pracht der Magnolien, in die ich hineinreiten mußte, übertraf alle meine Erwartungen.

Plötzlich schlugen meine Hunde an. Ich ritt zu ihnen hin und sah mit Entsetzen auf einer kleinen Blöße einen todten Weißen liegen. Die Aasgeier, welche sich nur bis in die nächsten Büsche über ihm erhoben hatten, waren schon bei ihm beschäftigt gewesen und hatten ihm die Augen ausgehackt. Es war ein entsetzlicher Anblick. Mein Ruf brachte Dick und Ben zu mir, Harry und Conanha folgten. Der Letztere mußte unsere Gedanken errathen haben. Ein Ruf von ihm brachte einen von den im Thal Zurückgebliebenen an seine Seite. In unserer Gegenwart berichtete dieser, es sei einer der Gefangenen. Er habe nicht allein entfliehen wollen, sondern vorher gestohlen und diese gestohlenen Sachen in einer Höhle versteckt, die mit Fellen und andern Sachen angefüllt gewesen wäre. Vergebens habe man ihn nach seiner Flucht gesucht, endlich die Höhle entdeckt, und bei seiner Flucht aus dieser habe ein Wurf mit dem Lasso seinem Leben ein Ende gemacht. Man habe den Dieb liegen lassen.

Die Wahrheit dieser Erzählung konnten wir nicht bezweifeln, aber ebenso wenig ein unheimliches Gefühl bemeistern. Dick unterbrach unser Schweigen.

„Es ist ein Christenmensch, wenn auch ein Dieb,“ sagte er, indem er vom Pferde sprang. Er sollte den schönsten Lohn dafür haben.

Ich folgte ihm, und auch Ben und Harry. Als die Indianer sahen, daß wir anfingen, mit unsern Messern die Erde aufzuwühlen, erkannten sie unsere Absicht und ritten schweigend voraus.

Wir hatten halb ein Grab gegraben, und ich ging mit auf die Leiche zu, nur sie hineinzulegen. Wie von einer Schlange gestochen, fuhr ich zurück. Mein Erschrecken, mein todtblasses Gesicht ließ meine Gefährten mich mit Fragen bestürmen, aber ich war sprachlos. Endlich fasste ich mich etwas. Aber ich mußte Gewißheit haben. Ich kniete zur Leiche hin, schlug den Rock zurück - auf der entblößten Brust der Leiche, breit, wie meine liebe Mutter ihn mit eigener Hand in meine Hemden gestickt hatte, lag mein Namenszug; Rock und Weste war mein Eigenthum, vielleicht die Beinkleider und Stiefeln auch – ja sogar den Hut erkannte ich als den meinigen, als wir ihn einige Schritte von der Leiche entdeckten. Ich dachte nicht an meine Freunde, die mein Benehmen nicht zu erklären wußten, ergriff mein Messer und trennte die Weste mit einem Schnitt auf.

„Hier ist er, Dick, hier ist er!“ rief ich. „Ob Dieb oder nicht, er hat den Brief tragen müssen, der Bote sein müssen, bis ich Dich gefunden!“

Ich stand auf. Dick war auf die Kniee gesunken. Die Thränen strömten ihm aus den Augen. Endlich faßte auch er sich. Er hatte die Aufschrift an den Verstorbenen – das wollte der Dietrich Friedemann sein – er hatte die Hand der Todtgeglaubten erkannt.

„Nein, hier nicht!“ sagte er, indem er aufstand und den Brief zu sich steckte. Wir hatten die Leiche bald in die Grube gelegt, sie mit Erde beworfen und einen Steinhaufen aufgehäuft; dann sprachen wir ein stilles Gebet und bestiegen unsere Rosse. Wir hatten nicht bemerkt, daß Conanha in unserer Nähe geblieben war. Mit wenigen Worten ward auch er davon in Kenntniß gesetzt, daß ich gleich bei meiner Ankunft um meine Habe gekommen und Überreste davon an der Leiche erkannt hätte. Schwerer hielt es, ihm zu erklären, daß meine Tante, in dem festen Glauben, ich würde ihren alten Freund in Amerika finden, mir einen Brief in die von ihr gestickte Weste genäht mit der Bitte, sie stets zu tragen. Ich hatte diese Bitte unbeachtet gelassen, wenn auch nur einen Tag, und die Weste war verloren; als die Hoffnung der Tante sich bewahrheitete, war die Erfüllung ihres Wunsches mir unmöglich geworden.

War der Todte der Mensch, um dessen willen ich hatte in das Hospital wandern und Monate lang leiden müssen, aber doch nur vielleicht etwas früher, denn wenigen Auswanderern, unerfahren und gemüthskrank wie ich, wird die Leidenszeit erspart – war er es: ich hatte ihm vergeben, längst vergeben! Hatte ich doch Harry kennen gelernt, Dick gefunden und war gesundet an Leib und Seele. Und sollte ich jetzt auch wieder allein und mittellos auf amerikanischem Boden stehen, ich fühlte mich stark genug, mich durchzuringen. Der Abend war hereingebrochen, Dick ritt nicht von meiner Seite.

„Mein Junge, Du mußt deutsch zu mir sprechen!“ sagte er. „Ich habe immer die Deutschen gemieden und habe meine liebe Muttersprache verlernt. Ich hatte sie zu lieb! Aber sieh, die Deutschen hier im Lande verderben sie. So mochte ich sie nicht sprechen hören. Sie hätten bayersch oder schwäbisch sprechen mögen, aber sie müssen jedes neugelernte Wort anbringen, sie möchten um alles in der Welt rasch ihre Sprache verlernen und englisch reden. Und nun –“ jetzt kam er zur Hauptsache, das erkannte ich an dem Ansatze, den er nahm. „Und nun, mein Junge, morgen in der Frühe, da gehen wir auf den Berg, und wenn die Sonne aufgeht, dann liest Du mir den Brief vor. Du mußt aber schon mich hinein sehen lassen, und darauf achten, wenn einem alten Mann das Wasser in die Augen tritt. Ich dachte, ich hätte das Weinen verlernt!“

Von diesem Augenblicke an redete ich nur deutsch zu Dick, dem alten Demagogen, und spaßhaft war es, wie die Indianer, namentlich Conanha, diesen ihnen neuen Lauten zuhorchten. Harry sprach sehr gut deutsch, und unser beiderseitiges Ansehen wuchs, um so mehr, da Harry in das Idiom der Comanches eingeweiht war, und auch mir es nicht schwer wurde, einige Redensarten anzuwenden.

Wir kamen bald im Thale an. Die Indianer hatten schon ihre Pferde angebunden und sich um die verschiedenen Feuer gelagert. Ich schätzte sie auf mindestens 500. Dick meinte, ich hätte sie nicht überschätzt, und glaubte, daß der ganze Kriegerhaufen beisammen sei. Im Schatten der Bäume bemerkten wir eine aus Büffelhäuten und Zweigen improvisierte Hütte, von der aber ziemlich entfernt Conanha uns unsern Lagerplatz anwies. Ich schlief bald ein. Wie im Traume kam es mir vor, als hörte ich singen, eine liebliche Mädchenstimme. Am Morgen weckte mich Dick. Ich erzählte ihm meinen Traum, und er sagte ernst, daß ich nicht geträumt habe.

Ich übergehe die Stunden, welche ich mit Dick auf der Höhe zubrachte.

Dick hatte von jetzt an viel zu fragen. Ihn interessirten die politischen Verhältnisse Deutschlands und auch meine persönlichen wieder; der Halbwilde nahm Cultur an. Als ich ihm erzählte, daß viele seiner damaligem Gefährten Schergendienste an uns geleistet – da söhnte er sich mit seinem Leben in der Wildniß aus.

„Junge, Du gehst nicht wieder nach Deutschland!“ rief er, und von da an machte er keine Versuche, selbst deutsch zu sprechen, obgleich er mich gern in den heimathlichen Lauten reden hörte. „Jeder will dort seine Freiheit, die Anderer muß in den Kerker!“

„So ist es!“ setzte ich hinzu.

Wir fanden Harry im ernsten Gespräch mit Conanha. Harry hatte auch den Gesang gehört und war entschlossen, die Sängerin kennen zu lernen. Nur seiner Zähigkeit und Schlauheit gelang es, den listigen und argwöhnischen Häuptling zu einem Geständnisse zu bringen. Endlich erfuhr er, indem Dick und Ben durch ihre Nachforschungen ihn unterstützten, daß die Comanchen eine ganze Karawane, wahrscheinlich durch Verrath des Gemordeten, den wir bestattet, aufgehoben hatten. Der Zug war ein so außerordentlich reicher gewesen, daß sie die Jagd aufgegeben hatten, und nur an seine Sicherung dachten. Daher kamen die starken Recognoscirungen. Wir hörten die Maulthiere im Gebüsch und sahen unter denselben das Gepäck liegen.

Schon als wir am ersten Morgen den Abhang bestiegen, waren uns Wachen entgegengetreten, durch Dick zwar in gehöriger Entfernung gehalten, uns aber doch gefolgt. Weil meine Gefährten die Sitten der indianischen Krieger, ihr Mißtrauen zu gut kannten, so vermieden wir alles Auffällige, dennoch begegnete es Ben und Dick bei ihren Recognoscirungen, daß sie von Wachen zurückgewiesen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_542.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)