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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

die Wettrennen, die Jagden, die Börsenberichte, die Eisenbahnactien, die parlamentarische Uebersicht, das Wetter, der Gesundheitszustand der Stadt, die Gerichts- und Polizeirapporte, die geheimnißvollen und dummen Ankündigungen, die Wettläufer-, Cricketspieler-, Boxer- und Fischangler-Berichte, die Geburten, die Sterbefälle und die Heirathen, – kurz, – Alles ist in bester Ordnung eingelaufen, und die Seele, der Geist, die Intelligenz der Times kann sich jetzt zu Bette begeben. Aber der Körper, der materielle Theil fängt jetzt erst recht an zu leben, zu athmen und zu pulsiren, denn: die – – Typen sind jetzt in der Maschine – und diese fördert 1200 Exemplare pr. Stunde in die Welt.

Um fünf Uhr Morgens beginnt die erste Phase der öffentlichen Ausgabe der „Times.“ In einem großen, ebenerdigen Saale mit einem Comptoir und mehreren Reihen langer Tafeln oder Tische tritt die neugeborne Zeitung zuerst in das Licht der Oeffentlichkeit. Auf diesen langen Tischen sieht man hohe Berge von übereinandergelegten Exemplaren, die dem ganzen ungeheuren Formate nach ausgebreitet sind.

Mit staunenswerther Schnelligkeit werden diese Zeitungsmassen durch Legionen von rüstigen Trägern gefaltet und als schwere Colli auf die verschiedenen Wagen geladen, die auf dem kleinen Platze versammelt sind. Dies ist der Transport nach den verschiedenen Eisenbahnstationen. Diese Papiermassen sind wahrhaft erschreckend, und doch gehören sie allesammt einer einzigen Unternehmung an, nämlich der Zeitungs-Agentie der Herren Smith und Sohn im Strand. Da diese Herren die bedeutendsten Abnehmer der Times sind, so ist ihnen eine bedeutende Priorität vor allen anderen Zeitungsagenten eingeräumt, welche ihre Exemplare erst viel später erhalten.

Die zweite Phase der ersten Ausgabe kündigt sich durch eine beispiellose Verwirrung an. Wagen aller Größen und Gestalten kreuzen und verweben sich auf dem kleinen Printing House Square. Eine Legion von geschäftigen Buben aller Schattirungen belebt diese Scene, und was das Merkwürdigste ist, – es geht dabei ganz anständig und lustig her und es gibt weder Zänkereien, noch setzt es Prügel, mit einem Worte, es herrscht eine gewisse geheime und unsichtbare Ordnung in dieser jeden Morgen wiederkehrenden Unordnung. Um halb acht Uhr ist die ganze Cohorte von Zeitungsverkäufern, Cavallerie wie Infanterie, verschwunden, und der Platz ist gesäubert. Die Times ist nun der Geburt ihrer zweiten Auflage überlassen.

Ich will nicht schließen, ohne des rüstigen und energischen Mannes zu gedenken, der die Times zu dem gemacht hat, was sie jetzt ist, nämlich zum größten und einflußreichsten Journale der Welt. Er hieß John Walter und war Parlamentsglied. Aber er war ein Pionier der Presse. Man erzählt sich, daß er einst – ich glaube, es war im Jahre 1835 –, als ein Expreß von Paris kam mit der Thronrede des Königs in den Kammern, – weil eben weder Editoren noch Schriftsetzer zu finden waren, – seinen Rock abwarf und die Thronrede, die er selbst eilig in’s Englische übertragen hatte, eigenhändig setzte. Die Energie dieses Mannes hat die Times geschaffen.




Die italienische Nationalität. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß der Staat, der in der jüngsten Zeit am meisten im Kampfe gegen die Verwirklichung der italienischen Nationalität gelitten, daß Oesterreich zuerst dieses Sehnen nach Unabhängigkeit in Italien angeregt und genährt hat. Als Oesterreich im Jahre 1809 (wie in Deutschland) die nationalen Kräfte zur Fortsetzung seines Feldzugs in die Waffen rief, sandte es auch den Erzherzog Johann, nachmaligen deutschen Reichsverweser, nach Italien, und dieser warf in seinen Proclamationen den Italienern vor: sie wären keine Italiener mehr, nur Sclaven Frankreichs, das Königreich Italien sei nur ein Traum; „darum erhebt euch wie die Spanier und Tyroler und werdet unabhängig vom Auslande! seid von der Wahrheit durchdrungen, daß, wenn ihr in strafbarer Schlaffheit diese letzte Gelegenheit nicht ergreift, welches Heer auch siege, ihr euch damit dem Schicksale aussetzet, nur ein erobertes Volk ohne Namen und Rechte zu sein.“

Man scheint sich dieser Worte neuerdings in Italien wieder erinnert zu haben!




Rudolph Gottschall schließt seine so eben erschienene biographische Studie: „Napoleon III.“ mit den Worten: „Wo sein System in das Spiel kommt, da kennt er nur das große Ziel und scheut kein Mittel, es zu erreichen. Die Füsilladen der Decembertage und die Verbannungen nach Cayenne sind solche „Verirrungen“ eines „excentrischen“ Gemüthes. Man weiß Aehnliches von den römischen Gewaltherrschern, und Marquis Posa sagt zu Philipp:

Zu einem Nero und Burisis wirft
Man Ihren Namen, und das schmerzt mich;
 – denn –
Sie waren gut!

„Die Verbannung nach Cayenne ist der Tod“, sagte man dem Cäsar, und mit apathischer Eiseskälte entgegnete er: „Ich weiß es!“ So mag „die Furcht“ der griechischen und römischen „Tyrannis“ auch über ihn gekommen sein, und das Gefühl: allein – auf einem Thron allein zu sein! In solchen Momenten, wo der offene Haß sich gegen ihn wendete, mag er vielleicht danach gestrebt haben, sich die Dankbarkeit der Völker als Vorkämpfer ihrer Befreiung zu sichern; doch diese persönlichen Anwandlungen und Ausweichungen waren nicht von Dauer und wurden stets wieder nach dem Cours corrigirt, den die napoleonische Idee einmal einhalten muß. Sie ist eine „Mischgeburt“ von Gewaltherrschaft und Freiheit, Despotismus und Volkssouverainetät, eine macchiavellistische Chimäre, die zuletzt an ihrem innern Widerspruch zu Grunde gehen muß.

Es ist eine Art von dämonischem Hohn, mit welchem der Gesetzgeber Europa’s seine Friedensschlüsse dictirt. Meisterhafter Schachspieler, auf immer neue Eröffnungen, Varianten und Endspiele sinnend, wirft er, wenn es ihm beliebt, das ganze Schachspiel über den Haufen – car tel est notre plaisir! Oder er lacht triumphirend über die politischen „Zwickmühlen“, mit denen er seine Gegner überrascht und den Sieg gewinnt. Diese „Willkürherrschaft“ eines Einzigen ist, was man auch sagen mag, nicht nur eine ewige Drohung gegenüber der gesetzmäßigen Entwickelung der Völker, sondern auch in einer Zeit, welche die politische Einsicht und Bildung Aller zu einem Factor des Staatslebens macht, ein auffallender Anachronismus.

Preußen an Deutschlands Spitze ist der gefährlichste Gegner des Cäsarismus! Es ist tiefere Weisheit, das sittliche Princip im Staatsleben aufrecht zu erhalten als innersten, unversehrten Kern des Wollens und Handelns, als dem Macchiavellismus der Cäsaren zu huldigen. Innere Bildung, freie Entwickelung, Wahrheit, Sittlichkeit, Treue schafft echte Volkskraft, welche die höchsten Güter der Menschheit besitzt und schirmt und schon einmal ist an diesem Felsen des preußischen, echt germanischen Volksgeistes der Wogenschlag der Cäsarischen Eroberungslust und Weltbeglückung zerschellt!

Preußen mit der ihm gebührenden Führerschaft in Deutschland und das stammverwandte England – – das sind die bis jetzt noch unbesiegten Sieger von Belle-Alliance, und ihr Bund wird „die Rache für Waterloo“ vereiteln, sollte einmal ihre Stunde geschlagen haben!“




 Feenspeise. Probe aus einem poetischen Kochbuche.

Sonst, wenn in stiller Gärten Schatten,
Um Mitternacht, im Mondenglanz,
Am klaren Quell, aus grünen Matten,
Die Elfen hielten lust’gen Tanz:

5
Nahm oft die Hausfrau zarte Speise

Und schlich sich nach dem duft’gen Reih’n;
Und stellt’ sie hin; sie nahten leise,
Zu naschen bei des Glühwurms Schein.

Man glaubte dann, sie würden bleiben

10
Und Segen bringen in das Haus;

Man hegte gern das stille Treiben
Der guten Geister, ein und aus!

Auch Deinem Hause werde Segen
Durch gute Fee’n, und holder Trost;

15
Damit sie freundlich weilen mögen,

Lehr’ ich Dir ihre Lieblingskost:

 Recept.
Früh, wenn Aurorens Rosenwolken
Erglänzen, laß – nach Feenbrauch –
Rahm, der bei Mondenschein gemolken,

20
Bei Lilienduft und Blüthenhauch,


Im kühlen Morgenthau Dir holen;
Ein ganzes Nösel und ein halb,
Doch kränz’ den Krug mit Nachtviolen,
Das scheucht der Elfen Feind, den Alp!

25
Zwölf Eier, rein und frisch vom Neste,

Laß bringen Dir durch Kindeshand,
Auch sechs Loth Zucker, den man preßte
Aus Rohr, von India’s Zauberstrand.

Laß öffnen der Vanille Schote

30
Durch eine Jungfrau, hold und gut,

Nimm Salz (den kleinsten Theil vom Lothe)
Aus eines Heilquells Wunderfluth.

Nimm auch der Südfrucht goldne Schale,
Misch zu dem Allen frischen Schnee,

35
Und back es schnell – zum süßen Mahle

Für manche holde kleine Fee!




B. Auerbach’s Volkskalender, der, was Inhalt und Ausstattung anlangt, unbestritten unter allen Kalendern den ersten Rang einnimmt, wird von jetzt ab nicht mehr in Stuttgart, sondern in Leipzig bei E. Keil erscheinen. Der Druck des nächsten Jahrgangs ist bereits so weit vorgeschritten, daß die Ausgabe der großen Auflage Ende September bewerkstelligt werden kann. Außer einer längern Erzählung von Auerbach, der Wettpflüger, mit Illustration von Scholz in Dresden, wird das schön ausgestattete Volksbuch noch Beiträge von Dr. Andree, Berth. Siegismund, Fried. Gerstäcker und eine neue Sammlung der beliebten „Geschichten des Gevattersmanns“ von Auerbach enthalten.


Zur Nachricht.

Die geehrten Leser unsers Blattes, welche im regelmäßigen Empfange der Wochennummern keine Unterbrechung erleiden wollen, machen wir wiederholt darauf aufmerksam, daß mit der heutigen Nummer das 3. Quartal schließt, und deshalb Bestellungen auf das 4. Quartal bei den betreffenden Postämtern und Buchhandlungen sofort aufzugeben sind.

Die Verlagshandlung. 

Verlag von Ernst Keil In Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_564.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2023)