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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

nicht ein aus dem Bewußtsein und Bedürfen des Volks entsprungenes Leben, sondern eine künstlich gepfropfte und gepflegte Treibhauspflanze sein, die auf diesem Boden und in dieser Luft nimmer mehr allgemeine Verbreitung finden und erfreuliche Ernten bringen werde.

Trotz dieser und anderer Vorwürfe trinken wir unser liebes Bier herzhaft nach wie vor; die Consumtion hat nicht ab-, sondern zugenommen, wenn auch nicht in demselben Maßstabe, wie die Production, da wir zu der fast unglaublichen Vermehrung der letzteren mit Genugthuung eben diejenigen fleißigen Anlaß geben sehen, welche uns um unsers phlegmatischen Trinkstoffs willen verspotten: der Export desselben mehrt sich von Jahr zu Jahr, und gar die Fremden, so bei uns zukehren, pflegen fast mit noch viel geringerer Mäßigkeit sich’s schmecken zu lassen, als wir selbst. Das Bier ist es nicht, was schwer und schlaff und träge macht, das weiß Jeder, der es kennen gelernt, und bekennt es Niemand inniger und lauter, als der Arbeiter, der aus wein- und branntweintrinkenden Landen hierher kommt; sein Genuß gibt Nahrung und Kraft, wie kein anderes Getränk, und selbst das Uebermaß davon ist weniger schädlich, als jedes andere.

Der Mittel- und Schwerpunkt alles und jedes Genusses – das soll nicht geleugnet werden – ist uns allerdings das Bier. „Kein Geld, kein Schweizer,“ ist ein viel verbreitetes, vielfach bekämpftes Sprüchwort; „kein Bier, kein Bayer“ wird dagegen von diesem selbst, wenn auch mit Achselzucken, zugestanden werden. Keine Freude, kein Genügen, wo das Bier fehlte, wo es nicht gut wäre. Es ist das Bindemittel, das überhaupt die Gesellschaft bedingt, und die elendeste Spelunke, wenn sie gutes Bier schenkt, wird von dem Münchener dem elegantesten Locale, der feinsten Küche, der kurzweiligsten Unterhaltung vorgezogen.

So ist das Bier in Bayern, am meisten jedoch in München, ein Lebenselement des Volks, ein charakterisirendes Merkmal von Land und Stadt und Leuten geworden. Die Bierfabrikation hat sich bei uns so ausgebreitet und vermehrt, daß Bayern seine gesammte Staatsschuld (natürlich mit Ausnahme der Eisenbahnschuld, für welche die Betriebsrente ausreichen sollte) fast ausschließlich von dem Aufschlag, den es auf die zum Brauen verwendete Gerste gelegt, nicht nur verzinst, sondern auch tilgt. Es kann und darf in Bayern nämlich nicht ein einziger Scheffel Gerste „versotten“ werden, von welchem der Brauer nicht vorher dem Staate 5 fl. Aufschlag bezahlt hat, eine Steuer, die im letzten Jahre 6,413,000 fl. einbrachte. Außer diesem Staatsaufschlage lastet auf der Brauerei aber noch verschiedener Localaufschlag, welcher in derselben Weise und zugleich mit jenem für gewisse Gemeindezwecke erhoben wird; in München beträgt diese letztere Steuer weitere 2 fl. 30 kr. von jedem Scheffel Gerste, und mehrere der großen Bauten, die hier der Fremde bewundert, sind auf Kosten des „Bierpfennigs“ errichtet, um welchen wir jede Maß unseres Getränkes theurer bezahlen. Denn diesen Aufschlag entrichtet nicht eigentlich der Brauer: da der Preis des Bieres nach gesetzlich festgestellten Normen auf Grund der Marktpreise des Materials, auf Grund der weiteren Betriebskosten und mit Vergünstigung eines angemessenen Gewinnes von der Obrigkeit von Termin zu Termin vorgeschrieben wird, so wird bei Berechnung dieser Biertaxe der Kostenpreis der Gerste um so viel höher angesetzt, als der Aufschlag erfordert, und die Steuer trifft nicht im Mindesten den Producenten, der sie nur auslegt und der, wie jeder Gewerbtreibende, gesonderte Abgaben entrichtet, sondern den Consumenten, der sie pfennigweise bezahlt.

Obschon es nach dieser Darstellung nun auch scheinen möchte, als sei die Brauerei in Bayern in erdrückende Fesseln gelegt, da dem Fabrikanten die Quantität seiner Erzeugnisse von Amts wegen genau controlirt, die Qualität derselben beaufsichtigt und mit Confiscation und sehr empfindlichen Strafen deren Unpreiswürdigkeit geahndet wird, da selbst der Verkauf des Fabrikats an vorgeschriebene, unüberschreitbare Taxen sich bindet, so ist sie doch eines der angesehensten und einträglichsten Gewerbe. Kein größeres Rittergut, kein Herrschaftssitz im Lande, wo nicht die Brauerei auch vom höchsten Adel unmittelbar selbst betrieben würde, keine Stadt und kein Flecken, wo nicht die Brauherren zu den ersten und wohlhabendsten Bürgern zählen. Namentlich in München, dessen Biere von je eines vorzüglichen Rufes genossen, dessen Einwohnerzahl den meisten Bedarf bedingt, und wo der Export ein auffallend bedeutender ist, haben die Brauereien und ihre Besitzer in hohem Maße sich emporgebracht; ihre Anzahl ist hier freilich verhältnismäßig nur eine geringe: während in dem benachbarten Augsburg ihrer gegen neunzig bestehen, gibt es in der Hauptstadt bei mehr als dreimal größerer Bevölkerung nicht einmal dreißig; aber diese betreiben ihre Geschäfte so großartig, daß eine einzige von ihnen, „zum Löwen“ genannt, im vorigen Jahre die Summe von 170,000 fl, als den oben beschriebenen Malzaufschlag zu bezahlen hatte, also nahe an 23,000 Scheffel Malz versotten hat.

Nun verzapfen zwar alle Brauereien auch im Detail, allein was wären ihre dreißig Zechstuben für die Menge durstiger Kehlen? Es gibt in München über 300 Bierschenken, ungerechnet die Gast- und Kaffeehäuser, in denen aber ebenfalls Bier getrunken wird. Aus den Brauereien wird täglich, von schweren feurigen Hengsten gebogen, auf lange Wagen hoch aufgeschichtet, die benöthigte Anzahl von Fässern vor jedes der einzelnen Wirthslocale gefahren, und so die Gelegenheit zum Trinken nicht nur vervielfältigt, sondern nach der äußern Erscheinung und Bequemlichkeit auch abgestuft. Denn während die feinfühlendere und prüdere Welt in den glänzenden Sälen und an den gedeckten Tischen der Café’s sich niederläßt, zieht sich der breitere Strom in die ordinären Kneipen, und für die Brauhäuser selbst bleibt das eigentliche Kennerpublicum, das auch den weiteren Weg, vielleicht an den Thüren mehrerer Wirthschaften vorüber, nicht scheut, um dort an der Originalquelle zu schwelgen. Es wäre schwer, einen Begriff davon zu geben, mit welcher Subtilität, mit welcher Sachkenntniß und Gründlichkeit ein solcher Bierkieser sein Thema behandelt, welchen Sprachschatz von Ausdrücken er zur Bezeichnung jedes einzelnen Vorzugs, jedes einzelnen Mangels desselben besitzt, und wie er jedes kleinen und großen Vortheils und Kunstgriffs sich bedient, seinen himmlischen Nektar in möglichster Frische und Würze, in höchster Vollkommenheit sich zu verschaffen.

In die Schenklocale der Brauereien selber also muß man gehen, wenn man der echten Bierkenner ansichtig und wenn man ihrer stillen Freuden Zeuge sein will. Sie sind ein gar niedlich und wirklich interessantes Völklein, diese hartgesottenen, ausgepichten Helden vom Gerstensaft, und es verlohnt sich schon, ihre Bekanntschaft zu machen. Jedes Brauhaus hat deren einige als treue Anhänger und tägliche, oft durch Jahrzehende erprobte Stammgäste; sie bilden, je nach dem Hause, dem sie anhängen, Parteien, wohl die konsequentesten, die schärfst ausgeprägten, die es gibt, denn jede schwärmt und schwört für die Fahne, die sie einmal erkoren; doch gibt es auch nicht wohl tolerantere: das „Hie Welf, hie Waiblingen!“ wird ihnen nie zu einem „Hie Schlaibinger, hie Augustinerbräu!“ jeder achtet des Anderen Glauben und Ueberzeugung, läßt ihn ungestört seines Weges ziehen – hinwärts! auf dem späten Heimwege sind sie sämmtlich ohnedies nur mit sich selbst beschäftigt.

Die meisten Anhänger und die in unverbrüchlicher Treue ergebensten zählt das königliche Hofbräuhaus, das zu so großem Rufe gekommen, seitdem München vermöge gerade diametral entgegengesetzter Besitzthümer jährlich von Tausenden von Fremden besucht wird. Diese haben in dem bescheidenen, anspruchslosen Tempel des Gambrinus ein Originalstück unseres Volkslebens entdeckt, haben ihn aus seiner verborgenen, bislang nur Einheimischen und Eingeweihten gewidmeten Thätigkeit an’s helle Licht gezogen, und ihn ebenfalls zu einer Merkwürdigkeit unserer Stadt gestempelt, die Niemand darf ungesehen lassen, weil hier allein und ausschließlich die Bierlust des bayrischen Volks, diese blos im und durch das Trinken genossene Seligkeit, noch unzweideutig zu Tage tritt. Alle andern Brauereien haben in ihren Localen, was deren Aussehen, Einrichtung und Bedienung anlangt, seit lange den Forderungen der Zeit nachgegeben, und haben sie reinlicher, eleganter, bequemer geschaffen; das Hofbräuhaus hat den ursprünglichen Typus bewahrt, nur wenige Concessionen, diese nur mit Widerstreben und sogar zur theilweisen Unzufriedenheit seiner Gäste gemacht. Es hat die Talglichter entfernt, und die Gasbeleuchtung, wenn auch spärlich genug, eingeführt; es hat in seinem Hofraum die bekannten „Arkaden“, finstere Winkel unter der Kühlrinne des Sudkessels, durch einen hellen, freundlichen Säulengang ersetzt; aber die Hausfreunde schmollen über jede solche Aenderung, sie wollen die gute alte Zeit erhalten wissen, die Zeit, wo nicht für Flinker- und Flunkerwerk Ausgaben gemacht, sondern alle Aufmerksamkeit lediglich auf Herstellung eines vollkommenen Fabrikats gerichtet war, sie wollen allen Verbesserungen und Verschönerungen ihr Heiligthum verschließen, weil die Hauptsache, ihr Bier, nicht verbessert werden könne, der Geist der Neuerung aber grundsätzlich ausgeschlossen bleiben müsse, da er nur allzuleicht auch bis in die Manipulation des Brauwesens vordringen könnte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_575.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)