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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Tages gelten entweder bei dem Volke etwas, dann will der Fürst nichts von ihnen wissen; oder sie gelten bei dem Fürsten, dann will das Volk nicht viel von ihnen wissen. In jenem Falle spielen sie überhaupt keine Rolle, in diesem müssen sie in Bädern manchmal gar den Schutz der Polizei nachsuchen. Nach der Herrschaft der Minister richtet sich die der Ministerinnen. Alle jene herrschenden Damen führen in der Badewelt ihr Regiment als Mütter oder Tanten, mehr dieses als jenes.

An jenem Vormittage nach dem Feuer saßen mehrere alte Damen an der Promenade beisammen, in einem hübschen, offenen Gärtchen, unter einem schattigen Laubdache. Andere freundliche Lauben lagen hinter ihnen, Blumenbeete umgaben sie, beinahe so bunt, wie die Blumenbeete, die sie auf und unter ihren reichen Spitzenhüten trugen. Sie sahen gewiß recht malerisch aus. Sie sprachen ebenfalls von dem Feuer.

„Und der edle Retter war unser lieber Urner?“

„Ein charmanter, reizender Mensch!“

„Und welcher Muth, welche Aufopferung!“

„Man sah ihm immer das noble Wesen an.“

„Die gute Marianne! Wie glücklich wird das liebe Kind heute sein. Sie liebt ihn so sehr.“

„Glauben Sie wirklich?“

„O, es ist kein Zweifel. Sie konnte es ihm nur nicht so offen zeigen, weil man doch immer nicht wissen konnte – Er soll zwar aus Hamburg sein, und in Hamburg gibt es Urners, und ein paar davon sind gute Häuser. Aber gewiß weiß man das doch nicht, und in einem Badeorte kann man über so etwas nicht immer sichere Auskunft erhalten.“

„Nun, nach der heutigen Nacht kann man gegen diesen braven jungen Mann wohl keinen Zweifel mehr haben.“

„Und auch Vermögen muß er haben. Er hat den Arbeitern gleich heute Morgen die hundert Thaler geschickt.“

„Wie freue ich mich für die gute Marianne!“

„Aber meine Damen, wer war denn die Gerettete?“

„Wie, das wissen Sie nicht?“

„Niemand soll sie gekannt haben.“

„O, gar Mancher mag sie gekannt haben und sehr gut, sehr genau; aber deiner durfte es sagen.“

„Das wäre ja sonderbar.“

„Wir kennen sie übrigens Alle, und wir dürfen es auch sagen, daß wir sie kennen.“

„Wir Alle?“

„Auch Sie kennen sie. Sie sehen sie täglich. Sie kommt sonst jeden Mittag hier vorbei, in stolzer, schwerer Seide, das weiße Amazonenhütchen mit den schwarzen Federn auf den braunen Locken; eine große, schöne, üppige Gestalt –“

„Ah, die!“

„Ja, die!“

„Sie empfängt Herrenbesuche.“

„Sie kostet unsern jungen Herren hier schweres Geld.“

„Daß die Polizei die Person noch duldet!“

„Ah, meine Damen, das ist ja ein wahres Unglück für unsern armen Urner, daß er einem solchen Geschöpfe das Leben gerettet hat.“

„Ich wüßte doch nicht, wie das seiner edlen, muthigen That irgend etwas nehmen könnte.“

„Aber wird die Welt nicht glauben, daß auch er sie gekannt habe?“

„Mag sie glauben!“

„Und nicht auch die arme Marianne? Ach, wie unglücklich müßte sie sein!“

„Marianne kennt ihn besser. Und dann, meine Damen, lassen Sie uns nicht vergessen, wie edel Urner sich gleich nach der That benommen hat. Er hat die Unglückliche aus dem Feuer gerettet; er am meisten hat gearbeitet, um die doppelten Mauern zu durchbrechen. Er allein hat es gewagt, in das schon brennende, von Feuer und Rauch und Dampf erfüllte Gemach zu dringen. Er hat die Bewußtlose, von dem Feuer schon Ergriffene vom Boden aufgerafft, in seinen Armen sie fortgetragen, dann aber, als sie gerettet, als sie keine Unglückliche mehr war, hat er die Unreine den Arbeitern übergeben, und stolz, um nicht einmal ihren Dank empfangen zu müssen, ist er sofort verschwunden. Gewiß, das war edel von ihm.“

Hiermit schienen die alten Damen sämmtlich einverstanden zu sein. Aber nicht so Jemand anders.

Eine junge Dame hatte sich unbemerkt zu ihnen gesellt. Es war eine feine, nicht große Gestalt. Ihr Gesicht war nicht schön, es fehlten ihm regelmäßige Züge, es fehlte ihm alle Farbe. Aber über den unregelmäßigen, bleichen Zügen lag eine ungewöhnliche Anmuth ausgebreitet. Es war die stille, milde, mehr rührende als ergreifende Anmuth eines frommen, unendlich guten Herzens, das viel gelitten, aber immer seine klare Milde, seine vertrauungsvolle Güte und Frömmigkeit behalten hat. Sie war nicht mehr ganz jung, die Dame; sie konnte sieben- bis achtundzwanzig Jahre zählen. Sie war sehr einfach, aber nicht ärmlich gekleidet. Sie hatte die Mittheilung der erzählenden alten Dame angehört. Eine leise Röthe war in das blasse Gesicht gestiegen. Sie hörte auch die letzten Worte, die den Edelmuth des Dank verschmähenden Retters priesen. Die Röthe entschwand aus ihrem Gesichte.

Die alten Damen sahen sie.

„Ah, Fräulein Marianne! Theure Freundin! Haben Sie schon gehört?“

„Sie meinen das Feuer?“ fragte die junge Dame.

„Und die edle, große That des charmanten Urner!“

„Und, theure Marianne, Sie wissen doch, wen er gerettet?“

„Ich weiß es.“

„Aber es braucht Sie nicht zu afficiren. Haben Sie gehört, in welcher wahrhaft noblen Weise er den Dank der Person verschmäht hat?“

„Ich habe davon gehört, auch hier so eben noch. Aber – ich pflege offen auszusprechen, was ich auf dem Herzen habe, und ich weiß, Sie, meine Damen, nehmen mir das nicht übel – edel habe ich diese Handlungsweise des Herrn Urner nicht finden können. Ich glaube, sie war nicht einmal nobel. Sie hat mir recht leid für ihn gethan, doppelt nach jener wahrhaft edlen That,“

„Aber mein Gott, liebe, einzige Marianne, ein solches Geschöpf –“

„Ein solches Geschöpf ist auch ein Geschöpf Gottes.“

„Aber ein sündhaftes, schlechtes, verworfenes.“

„Verworfen ist von Gott kein Mensch, aber wohl ist im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der sich bessert und Buße thut, denn über neunundneunzig Gerechte“

„Du gerechter Gott!“ schlugen die alten Damen die Hände über den Köpfen zusammen.

Die stille, sanfte Marianne war bisher in Allem gegen sie so nachgibig gewesen; sie hatte nie eine andere Meinung, nie ein Widerwort gehabt. Und heute auf einmal wollte sie sich emancipiren? Die Damen sahen sich unter einander an.

Die arme Marianne Bohle war sehr krank und ganz allein in das Bad gekommen. Sie hatte keinen Menschen dort gekannt. Wo sie war, wohin sie ging, sie war allein. So sahen die alten Damen die kranke Vereinsamte. Sie sahen auch das frühere Leiden in dem interessanten Gesichte; sie sahen, mit welcher stillen Ergebung sie Alles trug, Krankheit, Schmerz, Einsamkeit. Mitleidig waren sie, die Damen. Sie naheten sich ihr; sie nahmen sich ihrer an, erst freundschaftlich, dann mütterlich. Und Marianne war so dankbar und bescheiden und so gehorsam, mehr als verzogene Enkel, wie eine liebe, gehorsame Tochter. Und heute auf einmal eine andere Meinung, ein Widerspruch! Was war da passirt? Sie sahen sich halb verwundert und halb entrüstet an. Ein Paar schienen es zu errathen.

„Ah, ah, bisher hat sie den jungen Mann noch nicht geliebt, wie sehr er ihr auch den Hof gemacht hat. Seine edle That von heute Nacht hat ihr Herz aufgeregt. Die Leidenschaft fängt an, in ihr zu brennen. Ein solches beginnendes Feuer macht Unruhe; die Unruhe bringt mit sich selbst in Zwiespalt, und das wieder mit anderen Leuten. Die Jüngste ist sie auch nicht mehr. Verstand hat sie ebenfalls. Da überlegt man denn, man möchte gegen die Leidenschaft ankämpfen, es gibt doch allerlei Bedenken. Man kann es nicht. Da wird man denn doppelt empfindlich. – Man muß es ihr schon zu Gute halten.“

Sie hielten sie dennoch nicht zurück, als Marianne, da sie sich sehr angegriffen fühle und der Ruhe und Einsamkeit bedürfe, sich in den Hintergrund des Gartens und dort in eine stille, von der Promenade völlig abgelegene Laube zurückzog. Sie bekamen ja auch bald Ersatz durch einen andern Gegenstand ihrer mütterlichen Liebe und Zärtlichkeit.

Max Urner nahete sich ihnen, der Retter der verflossenen Nacht, der Held des heutigen Tages.

Es war ein schöner junger Mann von gewandter und stolzer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_583.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)