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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sah er aus, aber von Todtsein keine Spur. Ich kann nicht sagen, daß mir das leid that, Sir; was mir aber leid that, das war, daß mich die Theers fest hatten. Ich hatte das Handgeld genommen und mich für zwei Jahre versagt; da half kein Bitten. Unterwegs entsprang ich ihnen – aber so’n verdammter Schlingel von Hochbootsmann – Block hießen sie ihn – war mir auf den Fersen und hatt’ mich gleich wieder fest. Ich werd’s ihm aber gedenken.“

Ich empfahl ihm, sich nichts aus seinem Mißgeschick zu machen, und verließ ihn; denn der Capitän ertheilte Befehl zum Ankerlichten. Der erste Lieutenant ging ihm an die Hand, ich war überflüssig und machte den Zuschauer. An die strenge Ordnung und Disciplin eines Kriegsschiffes gewöhnt, ward ich von dem Chaos von Unordnung, Lärm und Durcheinanderlaufen angewidert, welches auf den Ruf des Capitäns folgte. So streng und musterhaft auch auf den amerikanischen Kriegsschiffen die Mannszucht gehandhabt werden mag – auf einem Jankee-Kauffahrer darf, oder wenigstens durfte man damals nicht viel von Ordnung suchen – zumal wenn ein Capitän commandirte, wie Mr. Bentham.

Wir befanden uns kaum auf hoher See, als er bemerkte, daß er vergessen hatte, sich mit Wein zu versorgen, und schleunigst wenden ließ. Als es dunkelte, lagen wir wieder vor Boston, der Capitän ließ sein Gig aussetzen und fuhr mit Block, dem Hochbootsmann, der ein guter Weinkenner war, und mehreren Matrosen an’s Land. Ich ging in meine Kajüte und machte mir’s bequem, aber ehe eine Stunde vorbei war, rief mich der Allarmruf der Schildwache auf’s Deck. Oben fand ich bereits Mr. Smith, den ersten Lieutenant, welcher mir sagte, der Matrose „von heute“, Jack Watson, sei eben über Bord gesprungen, augenscheinlich in der Absicht, zu desertiren. Ich fragte ihn, warum er nicht schnell ein Boot habe aussetzen lassen, um ihn wieder einzubringen. Worauf er mir antwortete, die Schildwache habe erst gerufen, als man in dem Dunkel nichts mehr habe unterscheiden können. „Eine verd– Mannszucht hier auf der Patience!“ setzte er knirschend hinzu. „Hätte ich’s früher riechen können, ich hätte nie einen Fuß auf ihr schmutziges Verdeck gesetzt. Wenn man einem von den faulen Burschen hier die Katze geben will, muß man erst vierzehn Tage bei Mr. Bentham petitioniren. Dam!!! Ich wollte –“

Mr. Smith mußte seinen Expectorationen ein Ziel setzen, denn eben legte des Capitäns Gig an. Gleich nach Mr. Bentham sahen wir mit Erstaunen Block an Bord erscheinen, der den entwichenen Watson am Kragen hielt. Dieser machte, von Wasser triefend, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, eine jämmerliche Figur. Der Arme war schwimmend dem Gig begegnet, und ohne zu ahnen, wer darin säße, hatte er den Rudernden, die ihn sonst sicherlich in der Dunkelheit nicht bemerkt hätten, lustig zugerufen, ob Land nahe sei? Zu spät hatte er seinen Mißgriff erkannt und war trotz aller Anstrengungen eingeholt und von Block an Bord gezogen worden.

Mr. Smith trug für den Deserteur auf mindestens zwölf Dutzend an, Watson aber schwur hoch und theuer, er habe nicht durchgehen, sondern nur seine Liebste ein letztes Mal sehen wollen, und Capitän Bentham hätte ihm am liebsten die Strafe ganz geschenkt, um nur den Lärm nicht mit anhören zu müssen; da aber Mr. Smith hiergegen gewiß Einsprache erhoben hätte, so erkannte er dem Ausreißer zwei Dutzend zu, die derselbe auch anderen Morgens auf dem Gangwege vom Hochbootsmann vollwichtig aufgezählt erhielt. Watson muckte nicht; aber von dem Augenblicke schrieb sich sein Haß gegen Block her – ein Haß, den er auf alle mögliche Weise äußerte und den ihm dieser mit Zinseszinsen zurückgab. Block schnupfte gern – eine Gewohnheit, die dem ersten Lieutenant in den Tod zuwider war. Wollte Block daher seiner Lieblingsneigung fröhnen, so schlich er zu dem Plätzchen, wo er seine Dose versteckt hatte, und nahm eilig eine Prise, wenn er sich unbemerkt glaubte. Watson bemerkte dies bald, und als der Gegenstand seines Hasses auf einen Augenblick vom Deck mußte, stibitzte er die Dose, schüttete ihren Inhalt in die See und füllte dafür eine Mischung von Pfeffer und Schießpulver hinein, die er sich zu diesem Zwecke verschafft hatte. Dann prakticirte er die Dose wieder an ihren Platz.

Als Block wieder auf Deck kam, war sein Erstes, sich eine Prise zu holen; aber kaum hatte er den Finger zur Nase geführt, als er mit einem fürchterlichen Fluch zurückfuhr. Er hatte den Braten bei Zeiten gerochen und erkannte bald, was den Tabak in seiner Dose ersetzte. Er ließ seine Wuth nicht merken, war aber keinen Augenblick darüber in Zweifel, wer ihm den Possen hatte spielen wollen; das verriethen die Blicke, die er von Zeit zu Zeit auf Jack warf. Dieser bot ihm selbst Gelegenheit zur Vergeltung. Neben dem Maste lag ein Haufen schadhaften Tauwerks sammt den dazu gehörigen Blöcken, d. i. den Rollen, in welchen die Taue laufen. Watson ging zufällig daran vorbei, spie aus und beschmutzte ein Paar von den ohnehin rostigen Blöcken. Im Nu stand Block neben ihm.

„Wer heißt Dich das Deck mit dem schmutzigen Primchensaft besudeln, Du Kerl von einem Ausreißer?“ schrie er, indem er ihn bei der Jacke faßte.

„Es war ja nur ein rostiger, Sir“, entgegnete Jack mit verstellter Demuth. „So’n alter Block ist so nichts Bess’res werth, als angespuckt zu werden.“

Ein lautes Gelächter der nahestehenden Matrosen, ein wüthender Faustschlag von Seiten des Hochbootsmanns lohnte diesen Ausfall; Jack nahm das Erstere schmunzelnd, den letzteren gleichgültig hin, und ich, der ich der ganzen Scene beigewohnt hatte, ohne von den handelnden Personen berücksichtigt zu werden, schritt nicht ein, weil ich mir vorgenommen hatte, mich an Bord der liebenswürdigen Patience an durchaus nichts zu betheiligen, was mich nicht anging – ich betrachtete mich nicht als Officier der Patience, obgleich ich den Titel eines solchen führte.

Daß sich Watson durch tausend Possen, die er dem Hochbootsmann spielte, bei diesem nichts weniger als beliebt machte, läßt sich leicht denken, und wenn ihn Block aus seinem linken Auge – das rechte war ihm bei einer Balgerei von einem Marinesoldaten ausgeschlagen worden – anblickte, so schien es mir, als hätte er jeden Augenblick Lust, seinen Gegner beim Halse zu fassen. Watson hingegen besaß, wenn er nicht eben an sein verlassenes Mädchen dachte, ein fröhliches Temperament, welches ihren Zwist zu einem Quell unerschöpflicher Heiterkeit für die Matrosen machte, und Niemand hätte gedacht, die Sache könne ernstliche Folgen haben, wenn nicht Block’s Jähzorn sie auf eben so schnelle, als tragische Weise zu Ende geführt hätte.

Es war ein sonniger Tag, ein reiner, wolkenloser Himmel – so’n Wetter, wie’s der Städter wunderschön, unvergleichlich, der Seemann aber häßlich und langweilig nennt. Die schwache Brise reichte kaum hin, die Segel zu blähen, das Schiff schien kaum vom Fleck zu kommen, und die Matrosen, mißmuthig und gähnend, beschäftigten sich theils mit Faulenzen, theils mit dem Ausbessern des Takelwerks. Jack stand in den Wandtauen[1], den einen Fuß auf die Webeleinen[2] den andern auf die Brüstung gestützt, und flickte an dem Tauwerk. Dicht über ihm befand sich Block, der mit dem Amt eines Hochbootsmanns das eines Segelmeisters verband, und ihm die nöthige Anleitung gab. Eine Zeitlang arbeiteten sie emsig und stille fort; mit einem Male rief Block, der die Pfeffergeschichte schon vergessen zu haben schien, dem Anderen zu:

„Du, Jack! Du könntest mir ’n Primchen schenken. Ich hab’ meinen Tabaksbeutel leer und möcht’ was zu kauen.“

„Ja, ja, Sir,“ rief Jack bereitwillig. „Bei mir hab’ ich keins, aber ich will eins holen.“ Er eilte in den Raum hinunter, nachdem er zuvor, von Block unbemerkt, bei dem Tabaksdosenversteck Station gemacht hatte, kam zurück, sprang auf die Brüstung und reichte dem Hochbootsmann ein dickes, schwarzgebeiztes Primchen, das dieser nickend in Empfang nahm und zum Munde führte – aber nur, um es gleich wieder puhstend und sprudelnd auszuspeien.

„Warte, Du Schurke!“ knirschte er. „Du hast mir das Primchen in Schnupftaback eingetunkt; bei meinen lieben Augen, ich schlage Dir dafür die Zähne in den Hals.“

Jack lachte.

„Du lachst? Du – Du –“

„Ja, Sir. Wenn Ihr Euren Schwur haltet, geschieht mir nichts.“

„So?“

„Ja, Sir. Ihr habt bei Euren lieben Augen geschworen; Ihr habt ja nur eins.“

Ein Matrose, der in der Nähe beschäftigt war, lachte laut

  1. Wandtaue: das strickleiterförmige Tauwerk, welches von den Masten nach der Schiffsseite hinunterläuft.
  2. Webeleinen: Leinen, welche quer über die Wandtaue laufen, wie die Sprossen einer Leiter und worauf die Matrosen beim Hinauflaufen den Fuß setzen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_589.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)