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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Es ist dies eine gute nachahmungswerthe Sitte, da sämmtliche Unverheirathete weiblichen Geschlechts bis zur abgeschlossenen Ehe in gewissen Zeiten aufgefordert und verpflichtet sind, sich dieser Quasi-Prüfung zu unterwerfen.

Die Besteigung des Thurmes schien uns wesentlich, um das Terrain zu recognosciren, auf dem wir uns bewegen wollten, und da sahen wir die üppigen, von unzähligen Wasseradern durchschnittenen Wiesen mit Hunderten von Heuschobern und wurden durch die in den Gärten wuchernden Pflanzen inne, daß wir uns in dem Lande der Gurken, Zwiebeln und des Meerrettigs befanden. Zwei Parkanlagen in diesem Bilde der Landescultur zogen uns an, und um sie näher kennen zu lernen, besuchten wir zuvörderst den Schloßgarten des Grafen von Lynar. Außer einem großen Vermögen sieht man an dem stattlichen Gebäude darin nichts, denn auch nicht eine Spur von Kunstsinn leuchtet aus demselben hervor. Dagegen ist der parkähnliche Garten, welcher es von drei Seiten umgibt, sehr beachtenswerth. Dieser ist nicht groß, aber hinsichtlich der verschiedenen Baumgattungen, versteckten Plätzchen, Brücken und Points de vue mit vielem Geschmack angelegt. Eine starke, natürliche Bewässerung hat eine große Ueppigkeit des Wachsthums hervorgebracht, und Tulpenbäume, hochstämmige Weiden, Weihmuthskiefern und Lebensbaum, Orangerie und epheuumrankte Birken, Platanen und dunkle Tannengebüsche wechseln ab mit saftigen, schwellenden Rasenplätzen und vollen, von Gesundheit strotzenden Kürbis-, Rhabarber- und Maisbosquets.

Lübbenau.       In der Kirche.

Die andere der erwähnten Parkanlagen ist eine zweite Besitzung dieser Grafenfamilie. Es ist der Ort, wo trotz aller Exclusion das Exklusive aufhört, – es ist das mit allem aristokratischen Stolze erbaute Erbbegräbniß. Ein ziemlich großes, von vier starken Mauern umgebenes Campo santo birgt die Gebeine der einstigen Grafen, und bronzene Gedenktafeln theilen die Namen etc. etc. der Todten den Lebenden mit. Ein Tannengehege umgibt den noch neuen Bau, in dem die verschiedenen, oft schon Staub gewordenen Reste der Lynare der letzten Jahrhunderte erst vor wenigen Jahren mit dem ganzen vorrechtlichen Ehrengepräge ihres Standes beigesetzt wurden.

Am Nachmittage, nach einem Diner, in dem wir eine der Schattenseiten von Lübbenau kennen lernten, bestiegen wir einen jener flachen Kähne, die nur in sandigen, ruhigen Gewässern verwendet werden. Eine Bank mit Lehne gab uns in dem ziemlich vier Fuß breiten Fahrzeuge einen ziemlich komfortablen Sitz, und „Polenz“, der Gondolier, ergriff das Ruder, um uns durch das landschaftliche Venedig zu führen.

Die Strahlen der Sonne stachen noch mächtig, als wir aus den dunklen Parkanlagen von Lübbenau in einen der unzähligen Arme der Spree fuhren, bald aber befanden wir uns in dem Bereich des Dorfes Lehde und in dem Schatten seiner einzelnen Gehöfte. Polenz berichtete uns hier in seiner eigenthümlichen Aussprache (er begleitete die Anfangsvocale stets mit einem vorherigen H, ließ dasselbe aber, wo es vorhanden, fort), „daß Lehde hinsofern hein öchst merkwürdiger Hort sei, hals daselbst 34 Grundbesitzer hund 32 Nachtwächter wären“, da nämlich jeder dieser ersteren verpflichtet wäre, eine gewisse Zahl von Nächten zu wachen, zu Kahne die Besitzungen zu umfahren hätte, und daß hiervon nur der Schulze und der Schullehrer ausgenommen wären. Es waren trauliche Enclos, umgeben von hohen Bäumen, Fischbehältern, allen möglichen Geräthschaften und Sachen, die dem Genremaler ein so wichtiges Beiwerk für das Interesse seiner Bilder liefern, und die, wie alle Zufälligkeiten, nicht componirt werden, sondern nur durch das unmittelbare Schöpfen aus der Natur dem Bilde den Reiz der Wahrheit geben können.

Lübbenau. Die Kirche ist aus.

Die Bewohner lagen größtentheils ihrer Sonntagsbeschäftigung ob, d. h. sie thaten nichts, und selbst das Grüßen unseres „Fuhrmannes“ schien hin und wieder störend auf sie einzuwirken, da der Dank erst spät, wie ein fernes Echo nachfolgte. Am lebendigsten waren noch die Hunde, die entweder bellend an ihren sie fesselnden Stricken emporsprangen oder den Kahn am Ufer, so weit es möglich, verfolgten, und die Rinder in ihren Ställen, aus denen sie nur zu Markte oder zur Schlachtbank geführt werden. Bei einem einzeln stehenden Hause, an dem mit großen Buchstaben das Wort „Wotschowska“ stand, neben der Försterwohnung, legten wir an, und bald breitete eine alte Eiche, unter der vor langen Zeiten Gottesdienst gehalten wurde, ihre mächtigen Aeste über, und eine junge Försterin ihr weißes Tischtuch vor den Fremdlingen aus. Es waren hübsche, freundliche Leute, die uns hier mit der wendischen Gastfreundschaft bekannt machten, und der mürrische Ausdruck der früher erwähnten schwand allmählich aus unserem Gedächtniß. Brod, saure Milch und ein Schnaps, der, um einen Docht gegossen, sich nur des darin enthaltenen Wassers wegen nicht als Brennspiritus legitimirt, sind die einfachen Nahrungsmittel, mit denen man unter diesem Urvolke bewirthet wird, und nur an einzelnen bevorzugten Orten kann man, wie wir später erlebten, originell, aber sehr gut zubereitete Fische und Krebse bekommen. Einsam war es da in der Försterei, und die junge liebenswürdige Frau ist, wie sie sagte, nur auf das häusliche Glück angewiesen, und nur ein paar vorüberziehende Fremde bringen einige Veränderung in dies einsame Leben.

Am traurigsten ist es zur Winterzeit, wenn hoher Schnee liegt, oder das dünne Eis noch keine Tragfähigkeit hat und dennoch zu dick ist, als daß ein Kahn durchdringen könnte. Es sieht dann besonders schlimm aus mit den Körpern der Verstorbenen, die alle nach Lübbenau gebracht werden müssen, und denen zu folgen ein Abgesandter jeder der Ortschaften des Spreewaldes verpflichtet ist. Aber dennoch läßt das Völkchen nicht von seinem kleinen Besitzthum und mühsamen Erwerb, und lebt wie seine Voreltern in Sprache und Sitten und wird alt, trotz der fieberschwangeren Dünste, oft bis in die neunziger Jahre.

Unser Steurer führte uns von diesem Haltpunkt aus in einen der neueren Canäle, die sich durch eine große Langweiligkeit auszeichnen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_592.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)