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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Meine Neugierde war stärker, als mein Eifer für das Wohl der Patience, darum zögerte ich nicht, ihm mein Wort zu geben, daß ich ihn nicht verrathen wolle.

„Wenn ich ein Wort sage, was Dir schaden kann, Jack, so schilt Deinen Lieutenant einen Spitzbuben. Ich will aus Deinem eigenen Munde hören, wie Du’s angefangen hast, die ganze Mannschaft so lange an der Nase herumzuführen.“

„Ich will’s Ihnen erklären, Sir. Sie sollen mich nicht un- undankbar – o, o!“ Er unterbrach sich, indem er schmerzhaft das Gesicht verzog und die gefesselten Hände heftig schwenkte

Ich fragte, was er habe.

„O, Sir!“ stöhnte er, „das Eisen schneidet ein. Verdammt! Ich glaube, die Hände fallen mir ab.“

Ich überlegte nicht lange, und da ich die Fußeisen für mehr als hinreichend hielt, ihn festzuhalten, so langte ich den Schlüssel herab, der über der Thüre hing, und befreite den Armen von dem eisernen Armband.

„Danke herzlich, Sir,“ sagte er, indem er die Arme schlenkerte. „Und nun will ich – aber, Sir – nicht wahr, Sie werden mir nichts in den Weg legen, mag geschehen, was immer?“

„Ich verspreche Dir’s.“

„Nun, so hören Sie, Sir. Wie Sie mich damals fragten, was ich in Boston getrieben, da sagt’ ich’s nicht: ich dachte, vielleicht sei’s besser so. – Ich bin von meinem achtzehnten Jahre an Schwimmmeister gewesen, Sir, und hab’ mich mein Lebtag gut auf mein Handwerk verstanden. Ich glaube nicht, daß mir’s irgend Einer so leicht im Schwimmen und Tauchen zuvorthut – ebensowenig im Klettern. – Ich hatte schon lange so ’ne Art Plan im Kopfe: ich wollte verschwinden und dann bei der ersten Gelegenheit an’s Land schwimmen. Wie ich nun über Bord plumpte, dachte ich nicht an meinen Fall, denn das Wasser fürchtete ich nicht, sondern es flog mir ’n Gedanke durch den Kopf, als wär’ das gerade ’ne gute Gelegenheit. Der Krahnbalken versetzte mir wohl ’nen tüchtigen Puff, aber das genirte mich wenig. Ich sank ganz lustig, steckte den Kopf noch einmal über’s Wasser, um Block die Faust zu zeigen, dann tauchte ich unter und schwamm zum Stern der Patience. Dort, Sir –“

„Nun?“

„Dort war des Capitains Fischkasten angebunden. Das hatte ich lange früher bemerkt. Der Koch hatte längst den letzten Fisch herausgenommen und in Boston keinen frischen Vorrath gefaßt, der Kasten war also leer –“

„Ah!“

„Und da er durch den Vorsprung an der Hintergallerie verdeckt war und Niemandem im Wege stand, so dachte auch kein Mensch daran und ließ ihn ruhig nachschleppen.“

Mir begann ein ungeheures Licht aufzugehen.

„Dort schwamm ich hin, Sir. Ich schob den Deckel auf und sprang in den Kasten; die Gucklöcher rechts und links verstopfte ich mit ein Paar Fetzen von meinem Gürtel. Das Zeug ging nun zwar ein bischen tief, sickerte auch immer ’n bischen Wasser herein, aber das machte nichts.“

„Aber wie stelltest Du’s an, den Blicken Mr. Smith’s und der Matrosen zu entgehen, die Dich suchten?“

„Ruderten sie Backbord, schwamm ich Steuerbord. In den Fischkasten sprang ich erst, als sie wieder an Bord waren. Da haben Sie das ganze Geheimniß, Sir.“

„Wir sind noch lange nicht zu Ende, mein Junge. Wie hast Du’s denn in dem Fischkasten so lange ausgehalten? Und vor Allem, wo hast Du Speise und Trank hergenommen?“

„Was das Aushalten betrifft, Sir, das hat wenig auf sich; ich bleibe vierundzwanzig Stunden im Wasser, auch wenn ich kein Bret unter den Füßen habe. Und das Andere wußte ich mir leicht zu verschaffen. Ich schwamm Nachts an die Schiffsseite, klomm daran hinauf – ich wußte es gut, daß die Schildwachen der Patience öfter schlafen, als wachen – und sprang durch die offene Luke in die Cambüse, aus der ich mir Vorrath holte, von Allem ein wenig, damit der Koch nichts merke. Einmal freilich war die Luke geschlossen, da trieb mich der Hunger an Bord. Das war erst unlängst. Ich kam glücklich und unbemerkt unter Deck, bis vor des Capitains Kajüte, da hörte ich Jemanden kommen. Ich duckte mich an den Boden, und als er um die Ecke bog – es war Jones – stand ich plötzlich auf. Ich meinte, den Kerl müsse der Schlag treffen, so entsetzt sah er aus. Er warf die Schüsseln von sich und rannte wie besessen.“

Ich begriff nun, wie so Jones Watson’s Geist hatte aus dem Boden steigen sehen.

„Dann kam gar der Capitain heraus; ich ließ mich aber nicht abschrecken, sondern ging geradewegs in die Cambüse, wo zum Glück Niemand war. Aber kaum hatte ich mich verproviantirt und ein Glas Whisky geleert, so kam der Koch. Ich hatte nichts mehr zu suchen, und meinen Vorrath wohl verwahrt; die Luke hatte ich wohlweislich früher aufgemacht, ich sprang nun hindurch und schwamm zu meinem Fischkasten, wo ich das Erbeutete ruhig verzehrte. Das Salzen konnt’ ich mir ersparen.“

„So weit wären wir im Klaren. – Und die Geschichte mit Block?“

„Die freut mich noch am meisten unter Allem, was ich angestellt habe, ’s war’n bischen gefährlich, aber ich konnt’ mir’s nicht versagen, gleich in der ersten Nacht einen Abstecher nach seiner Koje zu machen. Ich jagte ihm einen tüchtigen Schrecken ein, würgte ihn ein klein wenig, und wie ich mein Müthchen an ihm gekühlt hatte, lief ich davon. Unvorsichtig war ich nur ein einziges Mal, das war, wie Larson über Bord fiel. Ich tauchte unter und hinter ihm wieder auf, Alles im ersten Feuer. Damals hatt’ ich Angst, man möchte mir auf die Spur kommen; ich wunderte mich, daß es nicht geschah.“

Ich selbst wunderte mich jetzt darüber; es schien mir unbegreiflich, daß es uns nicht eingefallen war, auch die Außenseite des Schiffes zu untersuchen – und doch, wer sollte daran denken?

„Mir ist nun Alles klar, Jack,“ sagte ich, als er Miene machte, sich müde am Boden auszustrecken. „Aber noch Eins. Sage nur, was wolltest Du mit all dem Hokuspokus? Was sollte Dir das Alles nützen, wenn Du beabsichtigtest, Dich am Ende selbst wieder auszuliefern, und zwar, Du Unglücksvogel! gerade in einem Augenblicke, wo wir kaum ein paar Meilen von Portsmouth sind?“

„Wenn ich das gewußt hätte, Sir! Aber das ist’s ja eben, was mich mit Verzweiflung erfüllt. – Ganz zuerst wollt’ ich nur Block ein wenig erschrecken, und dann wieder an Bord kommen; nachgerade gefiel mir’s aber, die Mannschaft so in Schach zu halten, und ich nahm mir vor, bis Portsmouth auszuhalten.“

„Und warum führtest Du Dein Vorhaben nicht aus?“

„Ich bildete mir ein, Sir, in zwei Tagen längstens würden wir dort sein, vielleicht gar in einem; ich Dummkopf hatte nie darüber nachgefragt. Nun wurden mir die Strapazen zu groß, im Fischkasten konnt’ ich mich nicht rühren, schwimmen mocht’ ich auch nicht in einem fort, und so entschloß ich mich denn, mich dem Capitain zu stellen. Todtschlagen wird er Dich nicht, dacht’ ich. – Als die Leute eben am Besahnmast beschäftigt waren, kletterte ich zum Bugspriet hinauf, lief schnell zum Vormast hin – hell war’s nicht sehr, und wenn mich schon Einer sah, so hielt er mich für einen von den Leuten – ich stieg hinauf und blieb oben stehen, bis mich Einer sah und den Anderen zeigte. Das Uebrige wissen Sie selbst, Sir. Und nun, wie sie mich herunterführen, höre ich Mr. Smith zu Dukes sagen, er solle des Capitains Gig in Bereitschaft setzen, weil wir so gut wie im Hafen seien – ich meinte, der Donner erschlage mich. Wir sind wohl nicht mehr weit vom Land, Sir?“

„Armer Junge! Näher als ich selber dachte. In einer halben Stunde können wir vor Anker liegen.“

„Und was wird’s wohl mit mir, Sir?“

Ich zuckte die Achseln. „Ich will mein Möglichstes thun, Dir zu helfen – von meiner Seite soll Dir gewiß nichts in den Weg gelegt werden...“

„Ich halte Sie beim Wort, Sir!“

„... aber Mr. Smith – es thut mir leid um Dich.“

„Der Capitain wird mich nicht freilassen?“

„Gewiß nicht.“

„Ganz gewiß nicht?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Dann will ich mein eigener Capitain sein, Sir,“ sagte Jack und mit einem Ruck stand er vor mir auf den Füßen.

Ich prallte erschrocken zurück und sah verblüfft nach den Fußeisen; sie standen offen. Als ich wieder aufblickte, war Jack an der Luke.

„Ich erinnere Sie an Ihr Wort – Gott erhalte Sie, Sir!“

Und ehe ich einen Schritt vorwärts thun konnte, war er durch die Luke und unter dem Wasser. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_607.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)