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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Im Spreewalde.
Branitz und Muskau.
Ein illustrirter Ausflug von Ludwig Loeffler.
(Schluß.)

Das Cavalierhaus, die Ställe und Remisen sind in kleinem gothischen Styl erbaut, und die Gewächshäuser nicht besonders bemerkenswerth. Ueberhaupt sieht man in dem Ganzen noch die Anlage, zu deren Ausführung jedoch ziemlich bedeutende Kräfte verwendet wurden, während Einzelnes vollendet und unvergleichlich schön gehalten dasteht. Augenblicklich wird an einem See von nicht geringer Größe gegraben, aus dessen Mitte sich eine verhältnißmäßig große Erdpyramide erhebt. Man sagt, der phantastische „Verstorbene“ wolle dort ruhen nach Art der egyptischen Könige.

Branitz und ein Glas Cotbusser Bier ist wohl das Einzige, was dem Reisenden Absolution für die Sünde geben kann, einige Stunden in besagter Stadt zu verweilen. Als Beides daher zu dem Ueberwundenen gehörte, vertrauten wir uns dem Innern einer dickleibigen Postkutsche an, in dem die glühenden Strahlen der Nachmittagssonne und ein durcheinander wirbelndes Conglomerat von Staub und Fliegen einen recht unerquicklichen Aufenthalt erzeugten.

Gegen fünf Uhr hielt unser Kerker vor dem Posthause von Spremberg, und da uns selbst von befreundeter Seite der Kirchhof dieser Stadt empfohlen war, so durften wir doch eine solche liebevolle Aufmerksamkeit nicht unberücksichtigt lassen. Wir fanden ein würdiges Pendant zum Père-la-Chaise und Campo santo von Neapel. Wie dort, ist hier das Todtenfeld auf den Terrassen eines Berges gelegen, von dem man eine durchaus hübsche Aussicht auf Tausende von Pfählen (Beweise einer starken Tuchfabrikation) genießt. Eine halbverfallene Capelle, in der außer unzähligen an den Wänden hängenden Glaskasten mit Trauerbändern und Leichenkronen noch Bahren, Gießkannen und Gartenkörbe deponirt waren, steht auf der Spitze des Berges, umgeben von Gräbern und Denksteinen, deren Inschriften mich um den klaren Verstand der Einwohner von Spremberg in einige Besorgniß versetzten. Hier z. B. heißt es:

„So umdämmert uns die Kummerwolke
Oft im schönen Garten der Natur.“

dort:

„Uns umrauscht der Trennung Trauerflügel,“

oder es kann Jemand seinen Tod gar nicht mehr erwarten und singt:

„Vom Tod geweiht, traut die Unsterblichkeit!
Wir warten stets auf Dich begierig und bereit.“

oder auch äußert sich eine krankhafte Phantasie:

„Nun ruhst Du sanft im Schatten der Cypressen,“

in einem Klima, wo die Cypresse nur in Gewächshäusern fortkommt, und wo der einzige Schatten von versengten Grashalmen herrührt. Ja, ja! – es ist doch ein eigen Ding um die gesunde Vernunft! Weiter ließ uns Spremberg nichts zu wünschen übrig.

Gegen Abend verließen wir die Stadt in einem Einspänner, gezogen von einem jener abgetriebenen Geschöpfe, die der Italiener mit dem Ausdruck cavallo morto (todtes Pferd) bezeichnet, da er behauptet, daß das Thier bereits gestorben, und nur die leidige Gewohnheit die Maschine noch bewege. Die lange, schnurgerade Chaussee war staubig, mehrere vor uns herlaufende Wirbelwinde zeigten das Herannahen eines Wetters, und bald nöthigten uns einzelne schwere Regentropfen zu einer entschiedeneren Verpuppung und zu einer größeren Eile. Damit aber, mit der Eile, schien unser Freund an der Deichsel durchaus nicht einverstanden, und auf der Hälfte des Weges nach Muskau mußte sein Erzieher dem Gelüste des Zöglings willfahren. Eine einsame Waldschenke gab uns für einige Zeit Rast, und wir theilten das öde, von einem Dreierlicht trübe erhellte Zimmer mit zwei Kärrnern in blauen Kitteln und krummen Knieen, einem biederen Schäfer, dem Weisen der Gegend, und seinem Hunde Phylax, über dessen Geistesvermögen er sich ein Weiteres ausließ. Jede seiner Bemerkungen zeigte uns Nachdenken über gemachte Erfahrungen.

Wir setzten unsere Reise fort, und gegen elf Uhr klapperte das lose Hufeisen unseres Hochtrabers auf dem Pflaster der kleinen Stadt Muskau, dessen berühmter Park uns zu dieser Partie bestimmt hatte.

Besagter Park umgibt die reinliche Duodezstadt von allen Seiten wie der Kranz den Geburtstagskuchen, und als wir am nächsten Morgen den öden Platz vor unserm Hotel und das Frühstück genossen, gingen wir durch den unmittelbar neben uns gelegenen Eingang in denselben.

Ein ziemlich altes und nicht unbedeutendes Schloß mit zwei ernsten Thürmen und dick wucherndem Epheu tritt einem sofort entgegen. Hinter diesem führt aus einem neuen, architektonisch nicht besonders bemerkenswerthen Anbau eine Freitreppe unmittelbar auf den sonnigen, hügeligen und mit wundervollen Baumgruppen bepflanzten pleasure-ground. Zwei kolossale vergoldete Löwen auf den Treppenwangen unterbrechen nicht unschön das reiche Grün der Natur, während einige hellblau angestrichene Gitter Zeit und Ueberredungskunst verlangen, ehe man sich an ihre Farbe gewöhnt. Ein in einem Winkel verstecktes und von faulenden Pflanzenresten umgebenes Theater, wie auch der hier und dort sichtbare Mangel der Baumscheere deuten auf die weniger große Sorge hin, die man jetzt der Schöpfung des Fürsten Pückler widmet; ein Eindruck, der sich hauptsächlich nach dem Besuch des sauberen Branitz einstellt, später jedoch wieder verschwindet. Auf dem ersten großen Parkgrund, den man von einem Pavillon, der sogenannten Gloriette, vor sich hat, fehlte mir einiges Leben, und eine Anzahl Hirsche und Rehe würden vielleicht, wie auf den Besitzungen der englischen Gentry, diesen Zweck erfüllen. Der „Eichsee“, den man zunächst auf fortgesetzter Wanderung erreicht, ist zum Theil von einem Wäldchen hochstämmiger Eichen mittleren Alters umgeben, während uns ein anderer Theil des Parkes Bäume dieser Gattung zeigte, die möglicher Weise unsere Ureltern noch in Paletots von Thierfellen gesehen haben. Auch ihre Namen gehören jener Zeit der Götter und Riesen an, und eine „Hermanns-, Thor-, Odinseiche“ rechtfertigen denselben in seiner ganzen Größe. Die erste derselben hat 28 Fuß im Umfange und macht wohl den Eindruck, als ob an ihr das Schild von Thusneldens Gemahl schon gehangen haben möchte. Die Spalten der immer noch urkräftigen Rinde sind allein 3–4 Zoll tief.

Wie groß die Kosten sind, die man zur Anlage und jetzigen Vollendung des Parkes verwendet, zeigen die Beispiele, daß ein Feldstein, um ihn vom Felde an seine im Garten bei einem Fließ angewiesene Stelle zu bringen, 136 Thaler, eine eiserne Brücke aber mit Sandsteinpfeilern circa 15–20,000 Thaler gekostet hat. Ueber letztere gingen wir in die große Gärtnerei (durch welche nicht unbedeutende Revenüen erzielt werden) und über die „Schluchtbrücke“ in einen zweiten, vom Schloß entfernteren Theil des bis jetzt ungefähr drei Meilen großen Parks.

An „Sara’s Walk“ vorüber, einem engen gewundenen und träumerischen Fußpfad durch das Dickicht der Schlucht, gelangten wir zu dem „Grab des Unbekannten“. Dasselbe befindet sich nahe einer der herrlichsten Aussichten über einen Theil der großartigen Anlagen, über fette Wiesen und dunkle Waldungen nach den im bläulichen Dufte schwimmenden Gebirgen Schlesiens, und ist ein Werk der Pietät des Fürsten. Seine Inschrift auf einem steinernen Kreuz neben dem Grabe, vor dem ein Steintisch und Bank, enthält die Geschichte. Sie lautet: „Die Gebeine des Unbekannten. Aufgefunden im nahen Dickicht, zwei Fuß unter der Erde, am 4. August 1832. Hier wieder zur Ruhe bestattet nach dreimal drei Tagen. Das Gerippe verrieth einen kräftigen jungen Mann. Dem gewaltsam eingeschlagenen Schädel fehlte kein einziger Zahn. – Requiescat in pace!“ – Würdiger und einfacher konnte dies Werk christlicher Liebe nicht ausgeführt werden. Warum nahmen sich die guten Spremberger hieran kein Beispiel?

Es war eine unendliche Ruhe in der mittäglichen Natur, als wir da saßen bei dem Grabe des Unbekannten und der großen Energie des genialen Aristokraten unsere Bewunderung zollten. Es war doch eine fast zurückschreckende Aufgabe, aus Sand, Fichtenwaldung und einem Flusse, der wie ein wüster Patron fortwährend sein Bett ändert, einen Park zu schaffen, der sich den vollendetsten Mustern dieser Art würdig zur Seite stellt; es ist doch ein Sieg der landschaftlichen Gartenkunst über eine rohe Natur, wie er nicht glänzender errungen werden kann. Nur Etwas vermißte ich in diesen bewundernswürdigen Anlagen: ein wenig mehr Bewässerung nämlich würde dem Grün des Rasens, ein paar Springbrunnen der Ueppigkeit des Ganzen förderlich sein. Es ist nur das Saftige der Farben, worin er den berühmten englischen Parks nicht ganz gleichkommt, während er dieselben in Bezug auf den darin entwickelten Kunstsinn entschieden übertrifft.

Und ein solches Werk, die Mühen von sechsunddreißig Jahren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_623.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)