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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

von gesänftigtem Constitutionalismus, der Ruhm zu, die sogenannte „Schreckensgestalt“ entdeckt zu haben, und es folgte seitdem eine lange Reihe von naturwissenschaftlich-politisch-artistischen Expeditionen nach den Thoren und Vorstädten von Berlin, um diese ethnographische Merkwürdigkeit zu studiren und dem Gedächtniß der Menschheit durch den Griffel aufzubewahren. So erhielt die freisinnige Partei durch ungerechtfertigte Verwechslung mit einigen Taugenichtsen mehrere häßliche Attribute, die erst jetzt ein wenig in den Hintergrund treten. Wäre jener geniale Entdecker nur etwas erfahrener in den Geheimnissen von Berlin gewesen, er hätte gewußt, daß alljährlich am 24. August auf dem sogenannten Stralauer Fischzuge ein socialer Congreß aller höheren Schreckensgestalten von Berlin stattzufinden pflegt, ohne daß damit die geringste politische Agitation verbunden ist, und die Polizei die dortige Bewegung nicht „niederzuhalten“, sondern vielmehr „aufrechtzuerhalten“ sucht, da die vorhandenen Vorräthe von Kartoffelbranntwein einen eigenthümlich lähmenden Zauber auf besagten Congreß ausüben. Durch die Niederlage der Demokratie entging damals die Reaction glücklich genug dem Schicksale, einen bestimmten Typus zu erhalten; die Männer des wohlgeölten, biegsamen Constitutionalismus waren zu arg eingeschüchtert, als daß einer von ihnen „die reactionäre Schreckensgestalt“ hätte entdecken sollen. Nichtsdestoweniger ist sie noch heute vorhanden und bietet sich dem Griffel des Zeichners in ungleich größerer Mannichfaltigkeit dar, als jemals die sogenannten Typen der Demokratie, nur daß Niemand es noch der Mühe für werth hält, das Auge auf sie zu werfen, sie zu lithographiren und abzudrucken.

Zum ersten Male lernten wir sie bei Gelegenheit der Grundsteinlegung der Gedenksäule vor dem Invalidenhause kennen. Mit einer Eintrittskarte zur Feierlichkeit versehen, zu welcher sich nur ein kleines, höchst exclusives Publicum versammelt hatte, wurden wir auf Grund eines schlichten, dunkelfarbigen Paletots, hirschlederner Handschuhe, einer schwarzen Halsbinde und eines handfesten Rohrstockes – es war kalt und der Boden mit Glatteis bedeckt – von dem wachhabenden Polizeibeamten nicht gleich auf die reservirte Tribüne gelassen, sondern unter einen Haufen schwarzer Gestalten gewiesen, die, von Weitem betrachtet, Gentlemen glichen, in der Nähe aber unverkennbar dem Mob näher als billig zu stehen schienen. Beinahe eine volle Stunde lang mußten wir in dieser Weise zubringen, hatten also vollauf Zeit und Gelegenheit, Beobachtungen anzustellen und uns fest einzuprägen. Wie bemerkt worden, waren alle diese Herren „schwärzlich“, wir sagen absichtlich nicht „schwarz“ gekleidet, da die Zähne der Zeit und Bürste, nebst dem ätzenden Strahle der Sonne, die Farbe und Haare des Tuches nicht zum vortheilhaften Ansehen desselben arg verändert hatten. Unter demselben Nachtheile litten ihre Hüte. Einige derselben schienen ihrem ehrwürdigen Ansehen nach Zeitgenossen jenes Hutes gewesen zu sein, den der schmachvolle Geßler zum Gruße auf einer Stange aufgehängt hatte, aber auch die jüngsten Exemplare waren offenbar in der Geschichte der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts wohl bewandert. Nebenbei verriethen viele Beschädigungen, welche nur durch Gewaltthätigkeiten verursacht sein konnten, daß nicht nur ihre geschichtlichen Bestrebungen, sondern auch ihr häusliches Leben ein unglückliches genannt zu werden verdiente. Fast aller Herren Hüte waren mit der Nationakokarde geschmückt, zeigten aber dennoch Spuren, daß sie ein oder mehrere Male durch kräftige Faustschläge über die Ohren derselben herabgeschlagen worden waren; ein Angriff auf die Würde des deutschen Mannes, der ihm lebenslänglich den Stempel der Komik aufdrückt. Zu den charakteristischen Kennzeichen der Versammlung gehörte ferner eine auffallende Niedergeschlagenheit. Sie erinnerte uns an einen bekannten englischen Kupferstich, auf welchem im Vordergrunde ein am Boden liegender Kantschu, im Hintergrunde eine Gruppe moralisch zerrüttet, verwirrt und struppig aussehender Hunde abgebildet ist, so daß unter denkenden Köpfen über den eben beendeten Vorgang kein Zweifel entstehen kann. Die Leibwäsche verdiente nicht, musterhaft genannt zu werden, indessen verlieh die Präcision, mit welcher alle Herren am Kinn glattrasirt waren, der ganzen Schaar einen gemeinsamen Anstrich. Der Berichterstatter fiel daher durch seinen dichten Bart, den er, nebenbei gesagt, nicht als politische Signatur, sondern als treffliches Schutzmittel gegen rheumatisches Zahnweh seit mehr als zwanzig Jahren trägt, der Schaar sehr unangenehm auf.

Sie mied ihn, so viel sie konnte, und drängte sich gleich einer Schafheerde vor ihm, dem bärtigen Wolfe, ängstlich nach der andern Seite hin. Wir wußten damals nicht, was wir aus diesem Haufen von etwa achtzig bis hundert Männern machen sollten. Vieles in ihrer Gebehrdung sprach dafür, daß sie eine Corporation vorstellten, allein wir vermochten sie bei ihrem schäbigen Aeußeren nirgends in das sich versammelnde Publicum einzurangiren, welches überwiegend aus glänzend decorirten Generälen und hohen Staatsbeamten zu bestehen schien. Vorwaltend war der düstere Ton einer antiken Schusterhaftigkeit unter den niedergeschlagenen Herren. Sie glichen den unentwickelten Vorfahren jener niedlichen Fabrikanten, welche für uns so zierliche lackirte Stiefeln, Morgenschuhe und Gamaschen verfertigen, und mochten überwiegend zu den ehrwürdigen Ueberresten der „Altflicker“ gehören. Der Versuchung, hinter das Geheimniß zu dringen, war nicht länger zu widerstehen. Ein alter Herr schien am meisten geeignet, angeredet zu werden, denn ihm ragte eine unersättliche Tabaksnase aus dem Antlitz in das irdische Jammerthal. Wir präsentirten ihm die gefüllte Dose, und ein versöhnliches Lächeln zog über seine Gesichtszüge, als er seinen Appetit befriedigt hatte.

„Darf ich Sie vielleicht fragen, bester Herr, zu welcher Behörde, oder zu welchem Vereine alle diese Herren gehören, unter welche ich zufälliger Weise durch die Anweisung des Polizeibeamten gerathen bin?“

Die Frage erschien dem alten Herrn so wunderlich, daß er anfangs gar keine Antwort darauf fand, dann griff er in die Tasche, zog eine platte, aber nicht kleine, kreisartig gerundete Flasche hervor, that einen tiefen Zug, wischte mit dem Aermel des schwärzlichen Frackes den Mund und sagte beruhigt:

„Sie sind wohl nicht von hier, sonst würden Sie uns kennen; wir sind der Treubund!

Leider schnitt der Anfang der Festlichkeit die weitere Unterhaltung ab, ein Herr in guten Mannesjahren, mit der Decoration eines mittleren Ordens, näherte sich dem Haufen und gab ihm das Zeichen, die hinteren Plätze der Tribüne zu besteigen. Die schwärzlichen Trauergestalten suchten unverzüglich eine Art zwei Mann hoher Front herzustellen, machten die ausgespannten Regenschirme zu und setzten sich in Reihen in Marsch nach der Treppe. Wir aber schlossen uns der trübseligen Compagnie an und bedauerten nur, keinen geschickten Zeichner in der Nähe zu haben, um einige dieser verkümmerten Gestalten der Merkwürdigkeit wegen zu copiren.

Politische Kenner werden sofort bemerkt haben, daß besagte Reactionäre sich noch keiner vollständigen Siegesgewißheit erfreuten und noch schwer unter dem Drucke lästiger Erinnerungen litten; sonst hätten sie sich nicht durch einen Bart im Gesichte eines ganz unpolitischen, harmlosen Mannes einschüchtern lassen. Mehrere Jahre später sollten wir wieder ein Rudel Reactionäre, aber unter ganz veränderten Umständen antreffen. Von Demokratie war nicht mehr viel die Rede, selbst die der Zeitungen ihrer Parteifarbe war so verschossen, wie ein rothgefärbtes Hutband nach einer Gebirgsreise. Alle furchtsamen Personen hatten sich die Bärte abgeschnitten, oder doch militärisch zugestutzt und gekürzt; die Reaction war dick und fett geworden und schlug sich selbstbewußt auf den Bauch. Ihr Novembermann, der Minister, stand in voller Blüthe. Er war nahe daran, in seinen untergebenen Kreisen eine Art Volksthümlichkeit zu erlangen, hätte nicht sein etwas napoleonisch markirter Gesichtsausdruck ein schweres Gegengewicht in die Wagschale gelegt. Dennoch gab es Orte, wo man ihn wie den großen Buddha verehrte. Namentlich war da eine Bierkneipe, in welcher er fast den einzigen Gegenstand der Unterhaltung bildete. An einem Abende hatte sich der Minister nämlich in dem Incognito Harun Alraschids, Josephs des Zweiten oder des kleinen Corporals eingefunden und sich an dem Tische der versammelten Bürger ein Glas Weißbier einschenken lassen. Anfangs war er bei seinem mehr als schlichten Aeußern den reactionären Philistern nicht aufgefallen, und auch aus seiner Unterhaltung hatte Niemand auf einen ungewöhnlichen Mann, am allerwenigsten aber auf einen Staatsmann schließen können, denn der Unbekannte hatte gesprochen, wie im Parlamente, wenn er von den Revolutionären in Schlafrock und Pantoffeln, oder von der lahmen Ziege, von der entnervenden Lectüre des Montesquieu oder dem Vogel Phönix „Preußen“ redete, schlicht und recht, ohne rednerischen Schmuck, ein Mann, dessen Tagearbeit nicht in Maulwerk und Sprechenismus besteht. Als er aber schied, hatte er sich dem Wirthe zu erkennen gegeben. Dieser goß die Bierneige des Ministers nicht in den Topf, woraus die Biersuppen für die Gäste gekocht

werden, sondern vertheilte den Balsam tropfenweise an die Reactionäre,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_625.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)