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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Herzogthume eine Burg erbauen zu lassen und seine Freunde und Kampfgenossen um sich zu versammeln. Ihm waren drei Punkte seines Landes gleich lieb zur Ansiedelung, der Werder vor Rehme, die Höhe bei Bünde und das fruchtbare, von Bergketten anmuthig umschlossene Angerthal. Da ihm die Wahl schwer wurde, wollte er die Entscheidung dem Zufall überlassen. Er erklärte daher, er werde an der Stelle der drei bezeichneten Punkte seine Burg erbauen lassen, wo zuerst ein Gotteshaus fertig sei. Man begann an den drei Orten zu gleicher Zeit den Kirchenbau. Der Baumeister im Angerthal, ein Mohr, hielt sich einfach an des Königs Wort, ein Gotteshaus haben zu wollen. Er baute seine Kirche ohne Thurm, und sie wurde zuerst fertig.

Ueber die Eile, mit welcher die Kirche im Angerthale erbaut worden, ist die Schönheit und Solidität des Baues nicht vernachlässigt worden, wie das die Kirche noch heut zu Tage trotz ihrer etwas verworrenen Structuren verräth. An ihrer östlichen Seite zeigt sich in beträchtlicher Höhe ein in Stein ausgehauener Mohrenkopf. Er soll der des Baumeisters sein, welcher ihn als Erinnerung an sich dort hat anbringen lassen. Die Augen dieses Kopfes blicken nach der Gegend, wo die beiden andern Kirchen liegen, und es will den Beschauer bedünken, als trage das Gesicht einen überaus triumphirenden Ausdruck, als wolle der Mund ausrufen: „der Sieg ist mein!“

Bei der Kirche des Angerthales ließ nun Wittekind seine Burg errichten, und ringsumher im Angergau siedelten sich seine Freunde und Kampfgenossen an. Ein kleiner Mauerüberrest am südlichen Abhange des erhöht liegenden Kirchhofs ist jetzt das Einzige, was von der einst so großen stattlichen Burg noch vorhanden. Dem nach Wittekind’s Residenzschlosse forschenden Fremden wird dies Stückchen Ruine mit einem gewissen Stolze gezeigt und ihm außerdem noch an einem Hause in Enger ein achteckiger ausgekehlter Stein bemerklich gemacht, der früher die Königskrone getragen und über dem Portale der Burg seinen Platz gehabt hat. Benennungen einzelner Orte haben sich noch aus jener fernen Zeit im Munde des Volkes erhalten, wie z. B. „der Burggraben“, „Wittekindsgarten“, „die Küche“, „das Backhaus“, „die Pferdeschwemme“, „das Vogelhaus“ etc. Im Jahre 1818 hat man beim Graben in einem Garten, wo früher die Küche der Burg gewesen sein soll, einen gemauerten Heerd und verschiedenes, noch gut erkennbares Küchengeräth gefunden. Es wird als Erinnerung an die „Wittekindszeit“ sorgfältig aufbewahrt.

Von der einst so stolzen Stadt Enger ist jetzt keine Spur mehr zu entdecken. Es ist ein kleines, unbedeutendes Landstädtchen, vielleicht darf man Enger ein armseliges Dorf nennen. Jedenfalls ist es aber Westphalens interessantestes Dorf, und die Bewohner desselben sind stolz auf seine einstige Größe. Selbst die Kirche, Wittekind’s Begräbnißstätte, macht einen unscheinbaren Eindruck. Eigenthümlich ist sie dadurch, daß der Thurm einige Schritte weit von ihr entfernt steht. Wittekind hat ihn später dazu erbauen lassen. In seiner sowie des Baumeisters Absicht hat es zwar gelegen, ihn dicht an die Kirche zu setzen; doch unüberwindliche Hindernisse haben sich der Ausführung dieses Planes entgegengestellt. Stets ist in der Nacht eingestürzt, was am Tage erbaut worden, und man hat zuletzt eingesehen, daß es unmöglich gewesen, den Thurm an der beabsichtigten Stelle zu errichten, da der Boden nicht die Last getragen. Auch an dem Platze, wo er jetzt steht, hat man ihn nicht breiter und höher aufzuführen vermocht. Er hat daher, um nur endlich vollendet zu werden, die unansehnliche Gestalt behalten müssen, die er noch jetzt zeigt.

Glücklich und zufrieden, geachtet und geliebt, lebte Wittekind lange Jahre im Angergau. Als er bereits ein hohes Alter erreicht hatte, wünschte er zu wissen, wie seine Freunde und Unterthanen sich bei seinem Tode benehmen würden. Zweien seiner Vertrauten theilte er seinen Plan mit, den er sich ausgedacht, die Treue und Anhänglichkeit der Engerer und Westphalen zu prüfen. Sie mußten die Nachricht seines Todes verkünden, die Stunde seines Leichenbegängnisses bekannt machen. – Ganze Züge Leidtragender erschienen in der Burg. Wittekind bemerkte mit Rührung, wie sehr man ihn liebte. Als die Schaaren seiner treuen Anhänger wehklagend den geschlossenen Sarg umstanden, trat er gesund und fröhlich unter die Trauernden. Man jubelte über dieses Ende des Leichenbegängnisses, und Niemand war König Wittekind böse wegen dieser Prüfung. Er machte Alle, die gekommen waren und selbst später kamen, zehntfrei. Letztere, die sich verspätet hatten, nannte man von dem Tage ab die Naloper (Nachläufer), und noch existirt in der Nähe von Bünde ein Hof, der den Namen „Nalop“ trägt.

Als Wittekind wirklich todt war, wurde er in der Kirche zu Enger beigesetzt. Die Thüre an der Westseite der Kirche, durch die der Sarg hineingetragen, ist sogleich vermauert und nachdem niemals wieder geöffnet worden: Der Platz, wo die Leiche ausgestellt gewesen und ihr Tage lang die größten Ehrenbezeigungen erwiesen sind, heißt noch bis heutigen Tages die „Leichendeele“. Feierlich ist ein Act darüber aufgenommen, daß in der Kirche zu Enger nur Westphalens tapferer Kriegesheld ruhen solle; und obgleich in spätern Jahren, zu wiederholten Malen, von edlen altadeligen Familien oder der Geistlichkeit Versuche gemacht worden sind, in dem kleinen, aber berühmten Gotteshause eine Gruft zu erhalten, Niemandem ist die Beisetzung gestattet worden, und der greise König ruht dort allein, Keinen hielt man würdig, Platz neben ihm zu erhalten!

Durch List sind einmal der Kirche zu Enger Wittekind’s irdische Ueberreste entzogen und nach der Kirche zu Herford gebracht worden, welche Stadt in frühern Zeiten wegen ihrer vielen Klöster und Heiligengräber den Namen Sancta Herfordia trug.

Wittekind hatte nämlich bei der Kirche zu Enger ein Capitel gestiftet. Die Herren dieses Capitels mußten den Gottesdienst halten und den Unterricht der heranwachsenden Jugend leiten. Es war von dem Könige reichlich mit Grundstücken, Gebäuden und Zehnten ausgestattet. Noch viele Jahrhunderte nach Wittekind’s Tode hielten die Capitelherrn Gottesdienst an des Sachsenherzogs Grabe; doch als Kriege das Land verwüsteten, Raubgesindel die Gegend unsicher machte, die stolze Stadt immer mehr sank, da hielten sie es für unnöthig, in Enger zu bleiben und ihre Pflichten zu erfüllen. Sie verpachteten ihre Ländereien und Besitzungen, bestellten für den Gottesdienst in Enger einen Pfarrer und entflohen nach Herford. Sie verlangten, daß die dem Capitel Zehntpflichtigen ihre Abgaben nach Herford bringen sollten; doch diese, ärgerlich und empört, daß die Capitelherrn Enger und das Grab ihres Wohlthäters verlassen, erklärten auf das Bestimmteste, daß sie nicht das Geld nach Herford bringen würden. Sie stützten sich auf den Ausspruch: „ihre Abgaben an das Capitel, nach des Königs Tode, an dessen Grabe entrichten zu sollen.“

Da nahmen die geistlichen Herren, als sie weder durch Bitten, noch durch Gewalt die ihnen gebührenden Abgaben erhielten, ihre Zuflucht zu einer List. Sie kamen im Geheimen nach Enger, schlichen sich bei Nacht in die Kirche, öffneten die Königsgruft, entnahmen ihr die Leiche Wittekind’s und brachten sie nach Herford.

Sie nahmen auch Wittekind’s Trinkbecher mit sich, welcher sich ebenfalls in der Kirche befand. Er war ein Geschenk Karl's des Großen an Wittekind gewesen. Er soll aus grünem Stein, der kein Gift vertragen, geschnitten gewesen sein und eine Einfassung von vergoldetem Kupfer gehabt haben. Eine Kapsel von unbekanntem Holze hat den Mundbecher umschlossen gehalten. Sie hat eine gelbliche Farbe gezeigt und die Inschrift getragen:

Visdai de Affrica rex.

An dem Rande des Bechers haben die Worte gestanden:

Munere tam claro – ditat nos Affrica raro.

zu Deutsch:

„Also herrliche Gaben – Wir selten von Afrika haben.“

Sehr bald ist in Enger der Raub der Gebeine Wittekind’s entdeckt worden. Die Stadt hat sie sofort als ihr rechtmäßiges Eigenthum reclamirt und eine Klage gegen das Capitel anhängig gemacht. Dieses triumphirte, und das heilige Herford verweigerte die Herausgabe. Beide Städte lebten über 400 Jahre in stetem Kampfe um des Sachsenherzogs irdische Ueberreste. Vorzüglich waren es die Nachkommen der Freunde und Waffengefährten Wittekind’s, seine sogenannten Sattelmeier, die nicht nachließen, die Gebeine ihres hochverehrten und geliebten Königs „Weking“ unablässig zu fordern und darauf zu bestehen, daß Sancta Herfordia seinen Raub herausgäbe. Ihnen ist es wohl allein zu danken, daß der Kirche zu Enger endlich ihr altes Recht wieder zuerkannt worden, und sie Wittekind’s Gebeine zurückerhalten hat.

Eine Anzahl Nachkommen jener berühmten Wittekind’schen Sattelmeier, auch Gesaljas, Saalgenossen, genannt, leben noch in Westphalen. Ihre Besitzungen liegen meistentheils bei Enger und Schildesche, einem Dorfe in der Nähe von Bielefeld. Diese Sattelmeier sind lauter reiche, angesehene Leute, die nicht wenig stolz darauf sind,

daß ihre Vorfahren Wittekind’s Freunde und stete Gefährten gewesen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_634.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)