Seite:Die Gartenlaube (1859) 655.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

die etwaigen Entgegnungen haben Sie wörtlich, ohne Umschreibung und Auslassungen, dem Herrn Oberst zu überbringen. Uebrigens seien Sie nicht ängstlich; der Herr Oberst liebt eine gewisse Keckheit und soldatische Offenheit. Zeigen Sie ihm keine Furcht, und Sie werden nichts von ihm zu fürchten haben. Sollte er gegen Sie aufbrausen, so seien Sie überzeugt, daß sein „Millionenhund“ oft eine wohlgemeintere Bedeutung hat, als die sarkastischen Höflichkeiten derjenigen Herren Officiere, die da meinen, daß ein rasches Wort nicht zu ihrer classischen Bildung passe. Nun gehen Sie und melden Sie sich bei dem Herrn Brigadier, zweite Etage links; Sie treten ohne Anmeldung ein.“

Mit dem sechsten Glockenschlage der Uhr des nahe gelegenen Rathhauses trat ich in das Zimmer des Alten.

Derselbe war mit einem bereits sehr abgetragenen Uniformoberrock bekleidet und saß auf einem Rohrstuhle, während sich zwei Wachtelhunde der echten Victoria-Race auf dem weichen Polster eines prächtigen Plüsch-Sophas wiegten. Vor dem Sopha stand ein ovaler Tisch, auf welchem sich die Ueberreste eines compacten Dejeuners in malerischer Unordnung präsentirten. Verschleppte Knochen und umhergestreute Fleischbrocken ließen erkennen, daß die Hunde nicht leer ausgegangen waren. Vor dem Couvert, mit welchem der Tisch belegt war, standen zwei kurzhalsige Flaschen, von denen die eine bereits ganz und die zweite beinahe bis zur Hälfte geleert war. In einem mächtigen Glase perlte eine gelbbraune Flüssigkeit, die ich für Madeira hielt. Der Oberst rauchte aus einer kurzen Pfeife und trieb mächtige Rauchwolken gegen die Decke des Zimmers. Sein stark markirtes Gesicht strahlte in allen Farben des Regenbogens. Er war groß, corpulent, überaus kräftig gebaut und sehr wohl conservirt. In seinen grau-blauen Augen funkelten noch alle Leidenschaften des Jünglings.

Ich trat auf drei Schritte an ihn heran und machte meine Meldung. Er musterte mich mit der größten Aufmerksamkeit.

„Kehrt!“ Ich fühlte an dem elektrischen Strom, der mir am Rücken herunterlief, wie seine Augen langsam von der Spitze des Czako’s bis auf die Sporen herunterglitten.

„Front!“

„Wie heißen Sie?“

„L.“

„Wie lange dienen Sie?“

„Sechs Monate und sieben Tage.“

„Hoh, Hoh!“ rief der Alte mit gutmüthigem Lachen, „noch Rekrut und schon die Tressen? Da habe ich also wohl die Ehre, einen der jungen Herren vor mir zu sehen, die auf Officier-Avancement in der Brigade dienen?“

„Ich bin als Avantageur in die Brigade eingestellt, nachdem ich das vorgeschriebene Tentamen bestanden habe,“ erwiderte ich die mit starker Ironie versetzte Frage des Alten.

„O, ich zweifle nicht daran! Was im Civil nicht fortkommen kann, glaubt im Militair noch immer General werden zu können. Auf dem Gymnasium faul und widerspenstig, drei Jahre in einer Classe, mit jedem Semester eine schlechtere Censur und keine Hoffnung, jemals durch’s Abiturienten-Examen zu kommen, da faßten Sie den patriotischen Entschluß, Ihre verkannten Talente dem Militärdienste zu widmen, und das Vaterland gewann die Hoffnung auf einen Feldmarschall. Nicht wahr, so kamen Sie in die Uniform?“

War denn der Alte allwissend! In dieser Voraussetzung lag entsetzlich viel Wahrheit. Das Blut schoß mir in’s Gesicht, ich kämpfte diese verrätherische Wallung aber schnell nieder, richtete mich keck auf und mit einem Selbstbewußtsein, zu welchem mich nur die Noth der Situation forciren konnte, antwortete ich: „Herr Oberst, ich bin aus wahrhafter Neigung Soldat geworden und hoffe, der herrlichen Waffe, der ich anzugehören die Ehre habe, keine Schande zu machen.“

In diesem Augenblick trat der Brigade-Adjutant in’s Zimmer.

„Verfluchtes Maulwerk, dieser knirpsige Millionenhund von Bombardier!“ wandle sich der Alte an denselben. „Er ist kaum so groß wie ein siebenpfündiger Mörser, raisonnirt aber wie ein langer Vierundzwanzigpfünder.“

Und sich an mich wendend, sagte er mit ungemeiner Gutmüthigkeit: „Sie können abtreten, mein Kind. Nehmen Sie sich aber in Acht, daß Ihnen der schwere Säbel, an welchen Sie der Capitain v. R. gebunden hat, bei der Kehrtwendung nicht die noch sehr in der Entwickelung begriffenen Spazierstöcke entzwei schlägt.“

Ich machte nach Vorschrift Kehrt.

„Front!“ commandirte der Alte, und sich an den Adjutanten wendend, sagte er: „Lieber W., schenken Sie dem Kinde ein Glas Madeira ein, denn das hat doch noch weiter nichts im Magen, wie ein Weltmeer von warmem Spülwasser, was sie Kaffee nennen. Schenken Sie man immer den Humpen voll, dem wird es nicht zu viel. Ich kenne die Sorte! das Saufen haben sie aus dem Fundament gelernt und vertragen können sie soviel, wie eine fünfundzwanzigpfündige Haubitze.“

Der Alte zeigte schmunzelnd auf das volle Glas hin.

Ich leerte es, wie vorgeschrieben, mit einem Zuge und setzte es dann auf ein Nebentischchen.

„Brav!“ rief der Alte. „Sie können gehen.“

Es war mir doch um fünfzig Pfund leichter auf der Brust, als ich diese meine erste Vorstellung hinter mir hatte.

Jedenfalls durfte ich mit meinem Debüt zufrieden sein. Ich gewann an Selbstbewußtsein und Sicherheit, und dies mußte sich auch in meiner Haltung aussprechen, denn als ich auf die Straße trat, richtete sich die Ordonnanz, die phlegmatisch an ihrem Pferde lehnte, sofort in jene Stellung auf, die der Untergebene dem Vorgesetzten gegenüber einzunehmen hat. Das Gesicht des Kanoniers war ein großes Fragezeichen; ich wußte mir aber eine so unnahbare Haltung zu geben, daß derselbe es nicht wagte, sich mir mit einer vertrauten Frage zu nahen.

Nach einer halben Stunde wurden die Pferde für den Alten und den Adjutanten herausgeführt.

Das Pferd, welches der Oberst reiten sollte, war ein Fuchs ohne Abzeichen. Das starke, feurige Thier trug die gewichtige Masse seines corpulenten Reiters mit ungemeiner Leichtigkeit und folgte jeder Hülfe willig und leicht. Bevor der Alte es bestieg, betrachtete er das schöne und gut gepflegte Roß mit offenbarem Vergnügen. Er streichelte dessen stolzen Hals, sprach es freundlich an und schwang sich dann mit Leichtigkeit in den Sattel.

Der Ordonnanz gelang dies nicht so gut. Der Mann hatte sein Pferd offenbar zu kurz gezügelt, es war unruhig, und als er den Fuß in den Bügel setzte, um sich empor zu schwingen, gelang ihm dies erst nach dem dritten Versuche, und auch dann noch auf eine wenig graziöse Weise.

Der Betrachtung des Alten war dies nicht entgangen.

„Will der münsterländische Pumpernickelfresser gleich wieder von der Schindmähre herunter!“ rief er mit einer Stimme, die das ganze Stadtviertel alarmirte. „Wälzt sich der Tölpel wie ein vollgestopfter Wollsack auf den Gaul. Ich werde Ihm ein adrettes Aufsitzen lehren.“

Der Kanonier sprang schnell aus dem Sattel und nahm die vorgeschriebene Stellung am Kopfe seines Pferdes ein.

„Ich werde jetzt das Commando zum Aufsitzen geben,“ rief der Oberst, „und wehe Ihm, wenn er wieder wie ein lendenlahmer Schulmeister auf die Mähre krabbelt.“

„Fertig zum Aufsitzen!“ commandirte der Alte mit einer Stimme, die weit durch die Straßen schallte.

„Auf – gesessen!“

Der Mann saß im Sattel und hatte die vorgeschriebenen Tempo’s mit Leichtigkeit und ohne Tadel ausgeführt.

„Warum geht es denn jetzt?“ rief der Alte, und indem er sein Pferd in Bewegung setzte, sagte er zu dem an seiner Seite reitenden Adjutanten: „Ich kenne diese Art schon. Das ist einer von der verlotterten Batterie des Capitains v. C. Landkarten klexen kann der gelehrte Herr schon, aber um den Dienst bekümmert er sich nicht. Das ist zu kleinlich für diese beepauletteten Akademiker. Na, das muß auch noch anders werden, oder ich will nicht T. heißen.“

Der Capitain v. C. war ein höchst wissenschaftlich gebildeter Officier, der sich namentlich gern und viel mit Geographie und Landkarten beschäftigte. Auf dies sein Lieblingsstudium bezog sich die Anspielung des Alten.

Wir näherten uns dem Thore, durch welches die Straße nach dem Schießplatze führte. Die von Infanterie besetzte Thorwache trat in das Gewehr, um dem Brigadier die seinem Grade gebührenden Ehrenbezeigungen zu erweisen. Die Leute hatten noch nicht ihre Morgentoilette gemacht und sahen unsauber, maladrett und verschlafen aus. Der Oberst bemerkte dies und konnte es nicht ungerügt lassen. An den die Wache commandirenden Unterofficier herantretend, sagte er:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_655.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)