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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Ach ja, geh nun zu Bett, mein armes Kind,“ flüsterte sie zärtlich, „Du bist überwacht und aufgeregt; morgen wird Dir hoffentlich nicht Alles mehr in so trübem Licht erscheinen, und mit neuem Muthe wirst Du Dich in Dein Schicksal finden.“

„Mein Schicksal wird mich finden, Mutter!“ entgegnete er mit dumpfem Tone, „ich kann mich mit den entsetzlichen Sprachen nicht länger abquälen; es würde doch zu nichts führen, und meine ganze Ehre steht auf dem Spiele.“

„Gib Dir von nun an doppelte Mühe, mein lieber Heinrich,“ sagte die Mutter ermuthigend; „ich will treulich mit Dir wachen und zu Gott beten, daß er Dir Kraft gebe, Deine Abneigung zu überwinden. – Thu’s aus Liebe zu mir und zu Deinen armen kranken Geschwistern,“ fügte sie bittend hinzu.

„Ach, Ihr fordert das Unmögliche von mir!“ rief er verzweifelnd und händeringend aus. „Der Rector, der es ehrlich mit mir meint, rieth mir heute selbst, noch vor Beginn des Semesters abzugehen, da ich das Maturitätsexamen schwerlich bestehen werde!“

„Ich weiß mir keinen Rath mehr,“ flüsterte weinend die Mutter, „aber ich setze mein Vertrauen auf Gott: der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, wo Dein Fuß wandeln kann. – Doch gehe nun zur Ruh; Mariechen regt sich schon wieder, und es ist spät.“

„Wie weit ist’s in der Nacht, Mutter?“ frug er, plötzlich aufschauend, mit seltsamem Blick.

„Bald zwölf Uhr, mein Sohn.“

„Bald zwölf – da ist Alles still und einsam auf den Straßen.“ –

„Ganz still – und wenn der Wind oben in Eurem Dachkämmerchen nicht gar zu arg tobt, kannst Du ungestört schlafen. Doch nun gute Nacht, mein armer Heinrich; Gott schenke Dir eine sanfte Ruhe, Deinen Kummer zu vergessen.“

„Das ist ein guter Wunsch,“ sagte er ernst; dann die Hand der Mutter ergreifend und ihr liebevoll in’s Auge schauend, flüsterte er mit innigem, aber schmerzlichem Ausdruck: „Gute Nacht denn – meine liebe, liebe Mutter. –“

Er riß sich von ihr los und schritt nach der Thür, während sie rasch aber lautlos in’s Schlafzimmer eilte, da Mariechens leises Wimmern sich wieder vernehmen ließ. –

Nach mehrstündigem Wachen am Bett des Kindes, wobei das bleiche, schmerzerfüllte Bild des geliebten Sohnes der armen Mutter unablässig vor der Seele schwebte, wurde die Kleine ruhiger, und die übermüdete Frau durfte endlich auch die Ruhstatt suchen.

Noch schlief sie den Schlaf der Erschöpfung, als sie durch die ängstlichen Stimmen der jüngern Söhne aus demselben aufgeschreckt wurde.

Blutigroth und trübe war der rauhe Herbstmorgen heraufgezogen, aber trüber noch zog er in die beklagenswerthe Familie des Secretairs ein, denn Heinrich – der geliebte treue Heinrich – wurde vermißt. Sein Bett war unberührt, und Niemand konnte Auskunft über ihn geben; Niemand hatte ihn erblickt, seit er um Mitternacht so schmerzlichen Abschied von der Mutter genommen. Jetzt erst vergegenwärtigte sie sich seinen stieren Blick, sein trauriges Lächeln und den heißen Händedruck, womit er ihr gute Nacht wünschte, und eine entsetzliche Ahnung tauchte in ihrer Seele empor, sie mit tödtlicher Angst erfüllend. Wie ein Alp lag diese Ahnung ihr auf dem Herzen, und nur mechanisch erfüllte sie ihre häuslichen Pflichten, während Vater und Brüder nach allen Richtungen hin eilten, den Verschwundenen zu suchen und nach ihm zu forschen.

Manchmal, wenn sie recht inbrünstig zu Gott gebetet hatte, er möge das Entsetzliche – was Keiner aussprach, und doch Jeder im Stillen fürchtete – von ihrer Familie abwenden, kam eine gläubige Zuversicht in ihre Seele, und sie hoffte wieder auf eine frohe Kunde von dem theuren Verlornen. Aber als Tage und Wochen dahin schwanden ohne die leiseste Spur von seinem Schicksale, starb auch diese Hoffnung langsam dahin, und eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich des Mutterherzens.

Stumm trug der Vater die schwere Sorge um den geliebten, durch seine Härte zur Verzweiflung getriebenen Sohn, und keines der übrigen Kinder wagte in seiner düstern Gegenwart ein lautes Wort.

Endlich tauchte ein Gerücht auf; der Fluß habe einige Stunden unterhalb der Stadt die Leiche eines Jünglings an das Ufer geschwemmt. –

Welch entsetzlicher Gang für den bekümmerten Vater war es, als er an einem heiteren Herbstmorgen hinauswanderte, die Todtenschau zu halten! Er vermochte nicht, die geliebten schon entstellten Züge enthüllen zu lassen – die einfache Kleidung des Ertrunkenen verrieth ihm die ganze gräßliche Wahrheit. –

Als der letzte Morgen des October in goldner Pracht über den Horizont emporstieg, ward in aller Stille das unschuldige Opfer der traurigsten Verhältnisse auf dem friedlichen Dorfkirchhofe beerdigt.

Es war ein schauerlich einsamer Leichenzug, der dort aus der niedrigen Todtenhalle hervortrat und sich still nach der Ecke der Kirchhofsmauer bewegte. Nur der gebeugte Vater und die beiden Brüder gaben dem geliebten Todten das Geleit; die Mutter vermochte es nicht. Dohlen und Raben krächzten dort oben vom Kirchthurme ihr traurig eintöniges Lied, und selbst die Dorfkinder standen in scheuer Entfernung.

Was in jenen schrecklichen Augenblicken in der Seele des unglücklichen Vaters vorging, ward nur dem Allwissenden kund, denn nie hat der tiefgebeugte Mann ein Wort über jene entsetzliche Begebenheit gesprochen, selbst nicht zu seiner treuen Gattin, die ihm in dem tiefen Kummer so gern tröstend und theilnehmend zur Seite gestanden hätte. Aber er war von jenem schrecklichen Tage an wieder der milde, zärtliche Vater, der er früher gewesen, und frei durften später die beiden jüngern Söhne ihren bescheidenen Beruf wählen; nur bat er sie mit zitternder Stimme, ihn nicht in der Sphäre des Beamtenthums zu suchen.

Das Unglück erweckte der bisher unbeachteten Familie teilnehmende Freunde; man half ihnen, wo man vermochte; wohlhabende Gönner sorgten für ärztliche Hülfe und für den Unterricht der Kinder, so daß von da an ihr äußeres Leben frei von drückenden Sorgen verfließen konnte – aber das traurige Andenken an den heißgeliebten Tobten verließ sie nie.

Jahre sind seitdem verflossen, doch den einsamen Hügel in der Ecke des Dorfkirchhofes schmückt noch immer grünender Epheu, und alljährlich am Geburtsfeste des theuren Dahingeschiedenen, das in die mildere Jahreszeit fällt, wallfahrtet die trauernde Familie hinaus nach dem stillen Friedhofe, um sein Grab mit frischen Blumen zu schmücken.




Blätter und Blüthen.

Staub. Wir alle wissen, daß die Atmosphäre – das unwägbare Element der Alten – eine schwere elastische, aus zwei Gasen zusammengesetzte Substanz ist. Das eine dieser Gase, der Sauerstoff, ist das Princip des Lebens; das andere, der Stickstoff, dient dazu, die allzu energische Wirkung des erstern zu mildem, und macht die Atmosphäre eigentlich zu einer Art verdünnter Auflösung von Sauerstoff.

Ebenso wissen wir, daß in der Atmosphäre Kohlensäure, Wasserdunst und leichte Spuren von Jodin vorhanden sind, und daß diese fünf Körper – Sauerstoff, Stickstoff, Kohlensäure, Wasserdunst und Jodin – sich blos im Zustande Mischung, nicht aber in dem chemischer Combination befinden.

Neben diesen einfachen und zusammengesetzten Substanzen sind noch jene Myriaden von Atomen vorhanden, welche bei vollem Tageslicht nicht wahrnehmbar sind, aber in einem einzelnen Sonnenstrahl wie kleine Silberflittern wirbeln und funkeln – jene in der Atmosphäre schwebenden Körperchen, deren allmählicher Niederschlag das ausmacht, was man gewöhnlich Staub nennt.

Dieser bisher nur flüchtig beachtete Körper ist es, welchem ein neuerer französischer Naturforscher, Namens Pouchet, in der letzten Zeit seine Aufmerksamkeit gewidmet hat. Wer diesen unermüdlichen Forscher von seinen Apparaten, Gläsern und Büchsen umgeben und ihn dieselben mit so unablässiger Aufmerksamkeit betrachten sieht, könnte glauben, er sei ein moderner Alchymist, der den Stein der Weisen suche, oder ein Geiziger, der sich an dem Anblicke kostbarer Juwelen weide. Und dennoch enthalten diese Röhren und Gläser weder Gold noch Perlen noch Edelsteine, sondern einfach weiter nichts als atmosphärischen Staub.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die größte Ausdauer erforderlich war, um diese kostbaren Pulver zu sammeln. Es gibt hier Proben aus allen Theilen der Welt, Dieser Staub zum Beispiel kommt aus der Abtei Fécamp;

jener aus einem verfallenen Tempel Griechenlands; dieser von dem Thurme

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_659.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)