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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

in einer Unterhaltung vorkommen kann, wie Vielerlei man gehört und gelesen haben muß, um doch überall ein wenig zu Hause zu sein. Gustav war über meine Unwissenheit verwundert und verlegen, gereizt und betrübt. Er sagte nichts und suchte sich zu beherrschen, aber ich sah, wie es in ihm arbeitete. Ich las jeden Gedanken in seinem Innern, denn wenn ich auch sonst nichts verstand, ihn verstand ich. Dazu braucht man ja auch keine Bildung, dazu braucht man blos so herzlich zu lieben, wie ich Gustav geliebt hatte und noch immer liebte.“

Sie schwieg und schöpfte lange und tief Athem. Die sonst unermüdliche und fleißige Hand ruhte, ein Zeichen ungewöhnlicher Aufregung. Hastig und mit zitternder Stimme fuhr sie nach einer kleinen Pause fort:

„Gustav hatte mir treu seine Liebe bewahrt, aber was die Trennung nicht vermocht hatte, das that das Beisammensein. Sein Herz erkaltete und nur seine Großmuth, wie sein Pflichtgefühl, hinderte ihn, zu gestehen, daß die Jugendgeliebte dem Manne nicht genügte, nicht genügen konnte. Ich fühlte das und wußte, was ich zu thun hatte. Sein Glück ging natürlich über mein eigenes, und wie hätte ich auch glücklich sein können, während er litt? Und er mußte leiden, wenn ich sein wurde. Gott im Himmel, hatte ich darum gearbeitet und entbehrt, daß er durch mich elend wurde? Hätte ich noch eine Jugend gehabt, ich hätte sie wieder mit Freuden für ihn hingegeben, wie konnte ich mich also besinnen, ob meine übrige Lebenszeit öde, hoffnungslos sein sollte? Ich gab ihn also auf und wurde wieder Putzmacherin. Aber was ich litt, das kann keine Zunge aussprechen! Es sind seitdem zwanzig Jahr verflossen, aber noch jetzt –“ fügte sie mit zuckenden Lippen und bebendem Ton hinzu, „noch jetzt zittert das thörichte Herz bei der Erinnerung an das damalige Weh.“

„Warum thaten Sie das auch? warum rissen Sie sich von ihm los?“ rief Aline schmerzlich. „Sie waren noch jung genug, Sie hätten ja noch Alles nachholen, sich noch hinreichend ausbilden können! Sie liebten ihn, und ich weiß es aus eigener Erfahrung, wie die Liebe jede Fähigkeit steigert; nichts ist so leicht, wie Kenntnisse zu erwerben, um dem Manne, der uns theuer ist, zu genügen. Es ist dann, als lernten wir gar nicht, als erinnerten wir uns nur eines Vergessenen, das stets in unserem Geiste lag, uns aber jetzt erst zum Bewußtsein kommt!“

Die Putzmacherin schüttelte den Kopf und fuhr mit der Hand über Stirn und Augen, als wollte sie mit der Thräne, welche die Bilder der Vergangenheit ihr erpreßt, auch gleich diese, oder wenigstens ihren Schmerz, fortwischen. Dann nahm sie den Hut auf, woran sie gearbeitet, und steckte bedächtig in zierlichen Fältchen den Atlas auf Kopf und Krempe. Die Wogen des Schmerzes haben im Alter nicht mehr die gewaltige Kraft, wie in der Jugend; wenn die Erinnerung sie auch noch zuweilen aufwallen läßt, so ebnen sie sich doch bald wieder.

„Mit Ihnen war das etwas ganz Anderes, Sie waren jung!“ sagte sie mit wehmüthigem Lächeln. „Ich war vierundzwanzig Jahr und obendrein kränklich. Meine Kraft war gebrochen, wie Ihre Schwiegermutter es mir einst vorhergesagt, ohne daß ich es ihr geglaubt. Andere Mädchen mögen in meinem damaligen Alter noch jung sein, ich fühlte, daß meine Jugend vorüber war. Die anhaltende Arbeit, der Mangel an Bewegung und freier Luft hatten mich mehr angegriffen, als ich es bisher in meiner Hoffnungsfreudigkeit bemerkt. Und sogar, wenn ich den Muth und die Stärke in mir gefühlt, noch genügende Bildung zu erlangen – es hätte nichts mehr geholfen, glücklich wären wir doch nicht geworden. Ich kann es, nicht so recht sagen, aber hier in meinem Herzen weiß ich’s ganz deutlich, daß es nimmer gut gethan hätte. Wenn ein Mann ein junges unwissendes Mädchen lieb hat, dann mag es sich unter seinen Augen ausbilden; es thut der Liebe keinem Eintrag, es erhöht sie manchmal wohl noch, wenn er seine Braut selber unterrichtet. Ganz anders war das mit mir. Gustav hatte mich gewiß von ganzem Herzen lieb gehabt, hatte ihn mir doch sieben Jahr hindurch keine Andere abwendig gemacht. Ich war nicht gerade unleidlich als junges Mädchen, und Gustav hatte mein Bild von damals aus seiner Jugendzeit mit sich in sein Mannesalter genommen. Während unserer langen Trennung hatte sich mein Andenken natürlich sehr verschönert und in den paar Tagen, die er einmal hier zubrachte, konnte er nicht von seinem Irrthum zurückkommen. Die Freude hatte meine Wangen geröthet, meinen Augen Glanz gegeben und meine Stimmung war auch wie in der Jugend. Als er mich endlich verblüht und alternd wiederfand, da hätte seine Liebe nur fortbestehen können, wenn ich klug und gescheidt gewesen wäre, wenn meine Unterhaltung ihn angezogen hätte. So fehlte mir Alles, Jugend, Schönheit, Geist, Kenntnisse, selbst Liebenswürdigkeit; denn ich fühlte mich so elend und auch so gedrückt und verschüchtert von der Erkenntnis; meiner Armuth, daß ich unmöglich heiter und angenehm sein konnte. Ich hatte nichts, als mein treues Herz, und das war nicht genug für einen Mann, der noch so jung war, wie Gustav, der in seiner Frau auch eine Freundin und Gesellschafterin haben wollte. Er sah, daß seine Wahl eine unglückliche, übereilte gewesen war, daß er sich in jugendlicher Thorheit zu früh und an die Unrechte gebunden hatte, und seine Liebe erkaltete. Hätte ich nun auch mit Ernst und Ausdauer gestrebt, Alles zu erlernen, was mir fehlte, so hätte er mich deshalb gewiß geachtet, aber wäre seine Liebe dadurch wieder erweckt worden? Gewiß nicht! Und dann wäre es mir auch nicht gelungen, das Versäumte nachzuholen, denn ich war dumpf und stumpf geworden und nicht mehr geschickt, ein frisches, regsames Leben zu beginnen. Ja, wäre ich jung gewesen, hätte ich gewußt, daß er mich liebte, dann wäre das ein Anderes gewesen. So benahm mir der Gedanke, daß es mit seiner Liebe vorbei sei und vorbei sein müsse, vollends das letzte Bischen Sinn und Verstand. Damals dachte ich das Alles nicht so ganz klar; aber ich fühlte es in mir desto lebhafter, daß ein Abgrund zwischen uns lag, den nichts ausfüllen konnte. – Ich reiste schnell ab und sagte Gustav nur schriftlich, daß ich einsehe, wir paßten nicht mehr für einander, darum gäbe ich ihm seine Freiheit zurück. Er schrieb mir wieder und suchte mich zu einer Sinnesänderung zu bewegen. Seine Worte hätten jedem Fremden warm geklungen, ich kannte aber die Sprache des Herzens und las in seinem Briefe nur, daß er ein zu ehrenhafter Mann war, um ein Mädchen sitzen zu lassen, und – daß er Mitleid mit mir hatte. Ich blieb standhaft und die Zeit lehrte, daß ich Recht gehabt. Er verheirathete sich mit meiner Schwester und lebt mit ihr in der glücklichsten Ehe, wie ich später von Madame Albrecht hörte. Ich selber hatte nie eine Berührung mit ihnen – ich konnte es nicht, weil mein Schmerz dadurch ja immer auf’s Neue erwacht wäre. Aber stets dankte ich Gott für sein und meiner Schwester Glück.“

Sie hielt eine Weile inne und schaute ihre Arbeit an. Wie weit waren wohl ihre Gedanken von derselben! dennoch fuhr sie fort, zu nähen oder Stecknadeln einzustecken, und es schien, selbst die mechanische Beschäftigung stille lind ihr erregtes Gemüth.

„Madame Albrecht nahm mich mit offenen Armen auf,“ sprach sie weiter. „Sie war zwar schon wohlhabend, allein die Erziehung und Ausstattung ihrer Kinder kostete viel, sie konnte mich also wohl brauchen. Meine Natur war aber zu sehr angegriffen, ich wurde krank und nur ihre sorgliche Pflege half mir wieder auf. Zuerst war ich, Gott verzeihe mir’s, wenig dankbar dafür, daß ich am Leben geblieben, aber ich lebte nun doch einmal und richtete mich wieder hier ein in diesem Stübchen, wo ich sonst auch gearbeitet hatte. Was brauche ich erst zu sagen, wie schwer und langsam mir die Stunden hinschlichen? Sie können sich das wohl denken. Aber die Zeit milderte nach und nach den wilden Schmerz, und mit jedem abgelaufenen Jahre wurde es stiller in dem unruhigen Herzen, vernarbte die Wunde in der Brust mehr. Zuerst war mir jede Gesellschaft zuwider, war mir am wohlsten, wenn ich keinen Menschen sah oder hörte, und ich lebte nur für meine Arbeit. Auch später konnte ich mich nie recht an die Leute anschließen, so herzlich mir auch Alle hier im Hause entgegenkamen und so sehr ich Jedem auch das Beste wünschte. Gott weiß, ich war nicht mißgünstig, es war gewiß nicht Neid, aber ich konnte kein frohes Lachen hören, kein blühendes, zufriedenes Gesicht sehen und besonders kein fröhliches Kind. Es gab mir dann allemal einen tiefen Stich in's Herz und ich mußte an die Vergangenheit denken, in der ich auch glücklich war, und daran, wie ich mir die Zukunft so anders geträumt und vorgestellt hatte, als sie nun wirklich geworden war. Auch lesen oder Musik hören konnte ich nicht, ich mochte nicht einmal spazieren gehen, denn Alles erinnerte mich ja an frühere Zeiten und an mein Unglück. Mein Gemüth war zu wund, Alles that ihm weh. Zuletzt, als ich ruhiger geworden war, hatte ich mich so an meine Abgeschlossenheit und an die Arbeit gewöhnt, daß mir nirgend so wohl war, wie hier in dem kleinen Stübchen unter Hüten und Hauben. Die ganze Welt hatte für mich beinahe aufgehört zu sein, war mir wenigstens ganz fremd geworden, und ich hatte nie den Wunsch, meine Lebensweise zu ändern.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_662.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)