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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)


Leiter hinab in die Todtengruft, wo man die von der Fäulniß noch nicht zerstörten Särge in wilder Unordnung durch- und aufeinander stehen sah. Einer von denen, die zu gleicher Erde standen, schien die übrigen an Länge zu übertreffen. Der Todtengräber und sein Gehülfe sollten die auf demselben stehenden Särge vorsichtig herunterheben, aber sowie sie den Versuch dazu machten, brachen die vom Moder völlig zerfressenen Särge in sich zusammen und bildeten einen Haufen von halbverfaulten Bretern, Moder und menschlichen Gebeinen.


Schiller’s Eltern.


Noch waren einige besser erhaltene Särge in der Gruft vorhanden, und man beschloß, um die Untersuchung derselben mit mehr Erfolg vornehmen zu können, sie hinauf in den der Erdoberfläche gleichliegenden Raum des Cassengewölbes, an das Licht den Tages, bringen zu lassen. Die Sargtrümmer in der Gruft wurden beim Laternenlicht sorgfältig durchsucht, wobei man es namentlich auf die metallenen Schilder abgesehen hatte, die man mit der Bezeichnung des Namens und Todesjahrs an die Särge zu befestigen pflegte. Man fand in der That einige solche Schilder, die jedoch dem zerstörenden Einfluß der dort herrschenden Feuchtigkeit dergestalt unterlegen waren, daß sie bei der bloßen Berührung in Stücke fielen. Nur an zweien waren noch einzelne Buchstaben und Zahlen zu erkennen, aus denen hervorging, daß sie zum Sarge Schiller’s nicht gehört haben konnten.

Nach dem Ausweis der Acten waren seit der letzten, 1789 stattgehabten Aufräumung dreiundzwanzig Leichen in das Cassengewölbe beigesetzt worden. Man fand aber nur noch sechs Särge vor, die soweit erhalten waren, daß sie an Seilen aus der Gruft herauf an’s Tageslicht gebracht werden konnten.

Diese sechs Särge wurden nun sorgfältig untersucht; die mit dickem Rost überzogenen Blechschilder mit der Namensinschrift wurden vorsichtig abgenommen, und man konnte nun die Inschriften auf der weniger verrosteten Rückseite deutlich durch einen Spiegel lesen. Doch der Name Schiller fand sich nicht darunter.

Es gelang meinem Vater, den Tischlermeister zu ermitteln, welcher Schiller’s Sarg verfertigt hatte. Mit ihm begab er sich abermals in das Cassengewölbe. Weder unter den sechs heraufgezogenen, noch unter zwei in der Gruft stehenden Särgen war einer, den der Meister als seine Arbeit anerkannte. Der Mann erinnerte sich noch wohl, daß er Schiller’s Sarg verfertigt und die Leiche selbst mit eingelegt hatte; auch führte er an, die Beerdigung habe, wie er noch genau wisse, wegen des Verwesungszustandes der Leiche sehr schnell geschehen müssen. Dabei sei Alles mit möglichster Kostenersparniß geschehen, und daher habe er einen sehr einfachen Sarg verfertigen müssen, auf den nicht einmal ein Schild gekommen sei. Ein solcher leicht gearbeiteter Sarg habe jedenfalls der im Gewölbe herrschenden Fäulniß nicht lange widerstehen können.

Das niederschlagende Resultat dieser Nachforschungen bestand also darin, daß die Ueberreste Schiller’s sich in keinem der acht nothdürftig erhaltenen Särge, sondern unter den wirr durcheinander liegenden Sargtrümmern und Gebeinen der übrigen funfzehn Begrabenen befanden.

Betrübten Herzens gab mein Vater die Hoffnung auf, die irdischen Ueberreste des geliebten Dichters vor dem nahe bevorstehenden spurlosen Verschwinden zu retten, wie er so sehnlich gewünscht hatte. Zu diesem Kummer gesellte sich noch ein unerwarteter Verdruß. Obgleich jene Nachsuchungen in möglichster Stille angestellt worden waren, hatte sich doch die Kunde davon schnell in der guten Stadt Weimar verbreitet. Man wußte, welchem Zwecke sie galten, und doch – wer sollte es glauben? – entstand ein vielstimmiges Geschrei der Entrüstung darüber, daß man die Ruhe der Todten frevelhaft gestört habe. Und diese laut sich erhebenden Stimmen gehörten keineswegs blos den Classen an, bei denen man Pietät für die Uebereste des großen Dichters und somit bereitwillige Zustimmung oder doch Entschuldigung für jenes Unternehmen weniger zu erwarten berechtigt war; nein, auch hochstehende und hochgebildete Männer sprachen ihre Mißbilligung in bitterer Weise aus. Daß aber von Zeit zu Zeit die in dem Cassengewölbe aufgehäuften Gebeine und Verwesungstrümmer zusammengeschaufelt und ohne Weiteres in eine gemeinschaftliche Grube in einer Ecke des Kirchhofes eingescharrt wurden, fand man ganz in der Ordnung. Vorurtheil, dein Name ist Publicum!


(Schluß folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_672.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)