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Vertrauen in die Majorität seiner Leiter ist eine der Stärken der jetzigen italienischen Geschichte und ist eine der neuen Erscheinungen, die in Italien doppelt überraschen. Zu diesen gehört auch der praktische Bon sens, der, wie sich Victor Emanuel schon nach dem Frieden von Villafranca ausdrückte, gegenwärtig durch ganz Italien weht.

Auch Ratazzi, d’Azeglio und die meisten der Männer, die in den letzten zehn Jahren das Land zu regieren oder zu vertreten berufen waren und in nächster Zukunft berufen sind, erfreuen sich trotz mancher Verschiedenheit der Ansichten, trotz der vielfachen Verschiedenheit in Geistes- und Charakteranlagen eines großen Vertrauens, weil man ihres guten Willens, ihrer Vaterlandsliebe sicher ist. So Ratazzi trotz seiner französischen Centralisationsideen, die dem italienischen Charakter und seiner historischen Entwickelung so wenig angemessen sind. Mit aller Gemüthsruhe sieht man die unumschränkte Gewalt, die man im Drange der Umstände der Regierung einräumte, in seiner Hand vereinigt und sieht den vielen und wichtigen Reformgesetzen entgegen, die aus seinen und der anderen Minister Cabineten hervorgehen sollen. Lamarmora ist am wenigsten beliebt, da er als schroffer und absolutistischer Charakter bekannt ist, dessen veraltete Ideen etwas verrostet sind; aber man weiß, daß er nach bestem Wissen handelt. Massimo d’Azeglio mit seinem Künstlergemüthe war dem Volke immer sympathisch. Was ihm in der Meinung anderer Nationen geschadet hätte, brachte ihn im Gegentheil in Italien dem Volke näher. Der Künstler ist dem Italiener nicht der ungewöhnliche Mensch, über den man lächelt oder auch, sobald es sich um Praktisches handelt, die Achsel zuckt, sondern der normale Mensch. Azeglio hat in seiner Jugend ein Libretto geschrieben, dann dieses Libretto in Musik gesetzt, dann die Decorationen dazu gemalt. Dann hat er seine Oper mit den Sängern einstudirt, dann saß er im Orchester und spielte die erste Violine; im gegebenen Moment ging er auf die Bühne und sang die Tenorpartie. Diese Geschichte, die Jedermann kennt, würde hinreichen, ihm das Wohlwollen Aller zu sichern, wenn er auch nicht außerdem für sein Vaterland gelitten und gearbeitet hätte, und wenn man auch nicht wüßte, daß er mit seinem liebenswürdigen Wesen so Manches zu Hause und in der Fremde zum Nutzen des Staates durchsetzt, was Andere mit aller Politik und Diplomatie nicht zu erreichen im Stande sind.

Zu der Zufriedenheit mit den Leitern, König, Staatsmännern und Volksvertretern, kommt noch jene gewisse Selbstzufriedenheit, die man in allen kleineren freien Staaten, wie in Belgien, Dänemark etc. findet und die in Sardinien um so größer ist ihrer Neuheit wegen und als in einem Staate, der es fühlt, daß er an der Schwelle des Berufes angekommen, für den ihn seine ganze Geschichte vorbereitete und bestimmte, und als dieser Beruf bereits angefangen hat, eine Wahrheit zu werden. In Folge dieser allgemeinen Zufriedenheit mit sich selbst herrscht hier, trotz der bewegten Zeiten und der Schleier, die die Zukunft verhüllen, ein Behagen, wie man es unter solchen Umständen aus der Ferne für unmöglich halten würde. Trotz aller Opfer an Geld, Kraft und selbst Menschenleben, die der Krieg gekostet und die die Vorsicht auferlegt, lebt man so sicher in den Tag hinein, als ob man bei Zukunft und Weltgeschichte assecurirt wäre. Man empfängt den Eindruck, daß Piemont heut auf dem Schlachtfelde geschlagen und von der ganzen Diplomatie verlassen werden könnte und daß es trotzdem kein Jota aus dem Programme seiner Zukunft streichen würde; daß seine so wie Italiens Aufgabe feststehe, wie eine absolute Idee, an der keine Aeußerlichkeit, keine Zufälligkeit etwas ändern könne.

Aber Rom wurde nicht in einem Tage gebaut. Zu einem solchen Gemüthszustande gelangt ein Staat nicht in der kurzen Zeit zwischen Palestro und Villafranca, auch nicht während eines Ministeriums Cavour. Wir wollen uns nicht in die Geschichte vertiefen und nachweisen, wie das Haus Savoyen, als es, durch den kleinen Stein des Anstoßes, die Republik Genf, gezwungen, seine Ausdehnungsgelüste dem Norden zu aufzugeben, von dem Moment an, wie es sich am Fuße der Alpen ansiedelte, nun dem Süden in Italien zustrebte; wie später seine Herzoge und Könige, die in den meisten Kriegen zwei und drei verschiedene Allianzen schlossen und mit derselben Treue österreichische, spanische, französische Farben trugen, und zwar als geistreiche, energische Spitzbuben, aber doch als Spitzbuben erscheinen, in den heimischen Geschichtsbüchern aber, in den heimischen Anschauungen, Traditionen, Sagen, Liedern als Nationalhelden auftreten; auch nicht in die Archive wollen wir uns vertiefen, obwohl die Turiner Archive so verlockend schön geordnet sind, daß man daselbst alt werden könnte, wie ein Pergament, obwohl man da höchst interessante, auf die consequente piemontesische Politik deutende Actenstücke findet, wie z. B. jenen noch ganz unbekannten, von oder unter Victor Emanuel dem Ersten aufgesetzten, aus neunzehn Artikeln bestehenden Plan zur Vereinigung des ganzen Italiens, ein Plan, der so geistvoll, so bedeutend, so voll politischer Voraussicht ist, wie das Testament Peters des Großen. Wir wollen es nicht mit Pergamenten und Papieren zu thun haben; wir studiren eine Stadt und ihre Geschichte auch nicht aus Fremdenführern, sondern in ihren Straßen.

Was uns zuerst auffällt, ist die für die Größe der Stadt verhältnißmäßig außerordentlich große Anzahl von Monumenten. So ein kleiner Staat, der erst etwas werden will, muß es sich, um den gehörigen Muth zu seiner Laufbahn zu haben, erst klar machen und sich fortwährend daran erinnern, daß er Kräfte hervorbringe, die ihn zu einer Zukunft befähigen, und wenn sein Programm dahin geht, eine zerrissene Nation zu einigen, muß er zeigen, daß er im Gedanken den Zeiten vorgreift, daß wenigstens der Gedanke der Einheit schon bestehe. Alle Männer Italiens sind schon Sardiniens Männer, alle seine Provinzen hat es schon im Geiste erobert. Dagegen kann kein Gesandter, keine diplomatische Note etwas sagen. Sehen wir uns unter den Monumenten um. Da ist auf der Piazza San Carlo das älteste und schönste Monument des neuen Turin, die berühmte Reiterstatue Emanuel Philiberts von Marochetti. Wir wollen den kräftigen Streiter, das eben so schöne Pferd, die originelle Bewegung, die Lebensfülle des Ganzen nicht beschreiben, wir machen nur darauf aufmerksam als auf das Denkmal des Mannes, den man als einen nationalen Helden betrachtet, weil er die Vergrößerungspolitik Savoyens am energischsten und zugleich sehr klug durchführte; man vergißt gern, daß diese Politik zur Zeit noch eine persönliche, eine Hauspolitik gewesen. Nach Emanuel Philibert eine große Lücke der Zeit nach, denn mit einem Male stehen wir in den neuesten Zeiten und staunen, wie rasch diese große Anzahl von Monumenten aus dem Boden gewachsen sein müsse. Auf der Promenade begegnen wir dreien auf einmal. Da sitzt zuerst der Denker Balbo, der den italienischen Gedanken nie aus den Augen verloren und der katholisch war, weil Italien einmal katholisch ist; unweit vom Grafen Balbo steht das populäre Element in der Armee personificirt in der Statue des Generals Bava, der von der Pike auf gedient und sein Vaterland liebt, und gleich neben diesem der revolutionaire General, der Verschwörer und Flüchtling, der Neapolitaner Guilielmo Pepe, und zwar in dem Momente dargestellt, wo er den Befehl seines Königs, der ihm die Rückkehr gebietet, zerreißt und den Po überschreitet, um dem revolutionairen Venedig mit neapolitanischen Truppen zu Hülfe zu eilen. Ist wo anders in der Welt von einem Könige einem General ein Denkmal errichtet worden, weil er den Befehl seines Königs zerrissen? Die Ursache ist, daß alle italienischen Generale, die ihren particularen Fürsten nicht gehorchen, sardinische, italienische Generale sind. Vor dem Palast Carignan selbst erhebt sich das Denkmal Vincenzo Gioberti’s und zwar in bürgerlicher Tracht, jedes Attributes baar, das an den Geistlichen, also an Rom erinnern könnte. Gioberti hat die Einheit Italiens gepredigt, wenn auch durch Irrthum eine Zeit lang das Primat Roms; und er war ein Bürger Piemonts, selbst wenn er nicht in Turin das Licht des Tages und in der Verbannung den zukünftigen Tag Italiens erblickt hätte.

Vor dem königlichen Schlosse, immer vor den Augen des Königs, steht jener simple Soldat mit gezogenem Degen und mit entrollter Fahne, welchen Mailand noch im Jahre 1856 als eine Huldigung für die sardinische Armee, die bei Novara geschlagen wurde, hinstellen ließ. Also überall in den Straßen geistige Besitzergreifung Italiens, Neapels, Roms, des lombardisch-venetianischen Königreichs, überall Herausforderungen der Machthaber in diesen Ländern, die als unberechtigt betrachtet werden, weil sie nur Particularisten und Separatisten sind. Ihr Rathhaus schmückt die Stadt mit der Statue Karl Alberts, dem man so viel vergibt und vergißt, weil er zuerst offen das Schwert für die populäre Idee gezogen, und unweit von ihm steht Prinz Eugen, der edle Ritter, um daran zu erinnern, wie viele Rettungen der Erbfeind Oesterreich einem Sohne dieses königlichen Hauses zu danken habe, zugleich daran, daß dieser Prinz Turin befreit hat. Selbst der früh verstorbene Herzog von Genua steht da, weil er sich gegen Oesterreich geschlagen und weil er ein Sohn Karl Alberts ist. So sind alle diese und andere Monumente nur gewaltige Lettern, die immer und

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