Seite:Die Gartenlaube (1859) 743.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

war, billigte diese Vorsicht und empfahl sich, das Kästchen mit dem Geschmeide fest im Arme haltend, von dem höchlichst beunruhigten alten Herrn.



7. Beunruhigende Nachricht.

Nach Verlauf einiger Minuten erst gedachte der Domcapitular wieder des Briefes. Er nahm ihn auf, um ihn zu öffnen, und erkannte die Schriftzüge des Grafen. Eine trübe Ahnung bemächtigte sich seiner, als er das Couvert erbrach. Das Schreiben war aus Frankreich ohne nähere Ortsangabe datirt und meldete dem Domcapitular zuerst die in sehr kurzer Zeit erfolgende Rückkehr Aurelio’s und als Neuigkeit, die wahrscheinlich ihren Weg noch nicht zu dem verehrten Oheim gefunden haben werde, einen zweiten Besuch der unsichtbaren Kobolde in der Schatzkammer der Fürsten von O*. Am Schlusse des Briefes, den Rütersen mit schwimmenden Augen durchflog, war sogar ein Verzeichniß der Kostbarkeiten aufgeführt, welche bei diesem zweiten, so rätselhaften Eingriff in den Schatz verschwunden sein sollten. Scherzend fügte der Graf diesem Verzeichniß die Worte bei:

„Nun bitte ich Sie inständigst, verehrter Herr Oheim, lassen Sie sich um Himmels willen nicht bereden, irgend etwas von seltenen Werthsachen zu kaufen! Kein Juwelier kann augenblicklich dafür einstehen, daß nicht irgend ein tückischer, schadenfroher Kobold ihn zum Besten hat und ihm Sachen zum Kauf anbietet, an denen ein Stückchen seines guten Namens hängen bleibt. Mir aber zahlen Sie Ihre verlorene Wette! Behändigen Sie unmittelbar nach Empfang dieser Zeilen das bewußte Kästchen dem Herrn Simonides und tauschen Sie für den Inhalt desselben ein Geschmeide ein, an welchem meine geliebte Rosaura Freude hat, so lange sie lebt. Simonides ist der einzige Juwelier, dem Sie vertrauen dürfen. Ich selbst habe ihn eines Tages absichtlich auf die Probe gestellt, und er hat sie merkwürdig gut bestanden. Auf baldiges Widersehen!“

Diesem Briefe war ein duftendes Billet an Rosaura beigeschlossen.

Der Domcapitular wußte nicht, sollte er sich über diese Nachrichten Aurelio’s freuen oder betrüben. Daß er alsbald zurückkommen werde, war ihm lieb, was er ihm aber von dem räthselhaften Verschwinden werthvoller Kleinodien aus dem Schatze der Fürsten von O* mittheilte, erfüllte ihn mit ernsten Besorgnissen. Glaubte er doch in den Worten des Grafen selbst die Befürchtung zu lesen, die angeblichen Kobolde möchten sich eines Tages unerwartet in sehr greifbare Wesen verwandeln. Nur so konnte er sich die allerdings scherzhaft gehaltene Warnung Aurelio’s erklären, Was aber sollte er dem Grafen sagen, wenn dieser bei seiner Rückkunft das Geschmeide für Rosaura zu sehen wünschte? Es war anzunehmen, daß Aurelio von Weckhausen aufbrausen, in der ersten Aufregung vielleicht den Obergerichtsrath zur Rede setzen werde und damit gerade das, was durch Entfernung des offenbar geraubten Kästchens verhindert werden sollte, herbeiführen könne.

Gern hätte sich der geängstigte Rütersen seiner Nichte vertraut. Damit ward aber auch nichts gebessert, denn wer konnte wissen, ob Rosaura nicht aus Angst das Vorgefallene ihren Freundinnen ausplauderte? Er beschloß also vorläufig die Mittheilungen des, wie es schien, sehr heiter gestimmten Grafen geheim zu halten. Einigen Zeilen an seine Nichte legte er das Billet Aurelio’s bei, indem er Rosaura ihn zu besuchen bat. Er schützte Unwohlsein vor, sonst – schrieb er – würde er lieber aufs Land kommen, als sie zu sich in die geräuschvolle Stadt einladen.

Rosaura ließ nicht lange auf sich warten. Freudiger als je begrüßte sie ihren Oheim, dem sie mittheilte, Aurelio wünsche Tags nach seiner Ankunft einige Freunde bei sich zu sehen. Sie schlug zur Bequemlichkeit des Oheim vor, diese kleine Gesellschaft wie früher im Hause des Domcapitulars zu empfangen.

Rütersen schien von dieser Mitteilung nicht sehr erfreut zu sein, was er Rosaura gegenüber durch sein Unwohlsein entschuldigte. Die fröhliche Nichte mußte ihn, sodann die Namen der von Aurelio Bezeichneten nennen, unter denen der Obergerichtsrath Bornstein gleich obenan stand. Den Schluß der Verzeichneten machte Simonides.

„Der Juwelier?“ sagte Rütersen. „Wie kommt der Graf dazu, diesen Mann unter seinen Gästen sehen zu wollen?“

„Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet, meint Aurelio,“ lautete Rosaura’s Antwort. „Weshalb, kann ich auch nicht errathen.“

„Wirst Du Aurelio’s Weisung folgen?“

„Ohne Frage, gütigster Oheim! Die Freude wäre ja nur eine halbe, wenn er Einen der ausdrücklich Genannten vermißte.“

„Wahrscheinlich will er Dir eine Ueberraschung durch Simonides bereiten lassen,“ sprach der Domcapitular. „Ich weiß, daß er zu verschiedenen Malen mit dem Juwelier verkehrte.“

„In der ersten Zeit unserer Ehe, später nicht mehr,“ versetzte Rosaura. „Er war unzufrieden, weil Simonides bei jedem Geschäft eine kleinliche Pedanterie an den Tag legte. Aurelio hat mir wiederholt versichert, er halte jeden Edelstein für unecht oder für entwendet –“

„Entwendet?“ unterbrach Rütersen seine Nichte. „Wie kann ein Geschäfts- und Handelsmann gegen einen Grafen solch’ beleidigende Aeußerung zu thun wagen!“

„Ich wunderte mich auch darüber,“ sagte Rosaura, „Aurelio aber macht wenig Aufhebens davon. Die Juweliere seien ohne Ausnahme mißtrauische Leute, meinte er, nur gingen Andere nicht so überaus vorsichtig zu Werke wie Simonides. Ich vermuthe, daß gerade diese übertriebene Vorsicht die Veranlassung geworden ist, weshalb Aurelio den Mann eingeladen hat. Er wird ein Geschäft, einen Tausch vielleicht mit ihm abschließen wollen, denn ohne Juwelen kömmt Aurelio von keiner Reise zurück. Als Gast nun, von seinem Wirthe mit Aufmerksamkeit behandelt, kann Simonides die scharfen Ecken seines mißtrauischen Wesens, ohne beleidigend zu werden, nicht in so schroffer Weise herauskehren.“

Rütersen fand, daß die Gräfin Recht haben könne, und Rosaura traf Anstalten, Einladungskarten herumzusenden. Alle Geladenen nahmen an.

Der Domcapitular erholte sich von der Erschütterung, die ihm theils die Eröffnung Bornstein’s, theils der Brief des Grafen verursacht hatte, und sah Aurelio’s Rückkunft mit ziemlicher Ruhe entgegen. Da inzwischen nichts geschah, was ihm auffällig hätte erscheinen können, so glaubte er, mit der Auslieferung des verfänglichen Schmuckkästchens sei eine drohende Gefahr, die unter allen Umständen viel von sich würde reden gemacht haben, wäre sie bekannt geworden, von seinen nächsten Verwandten glücklich abgewendet. Ihm blieb nur noch übrig, einen günstigen Moment abzuwarten, um dem aufbrausenden Grafen die Nothwendigkeit seines Handelns klar zu machen.

So vergingen noch etwa acht Tage. Ein zweiter, direct an Rosaura gerichteter Brief Aurelio’s war ebenfalls in munterer Laune geschrieben und enthielt am Schlusse die lakonische Frage: „Hat der gütige Oheim Wort gehalten?“

Rosaura verstand diese Frage nicht und legte sie deshalb dem Domcapitular vor, der doch darum wissen mußte.

Lächelnd erwiderte Rütersen darauf: „Es ist Alles auf’s Beste besorgt. Beruhige Dich nur!“

Sich selbst sagte er, daß Graf von Weckhausen mit dieser Frage nur den Umtausch des alten Schmuckes in ein neues brillantes Geschmeide für Rosaura gemeint haben könne.




8. Eine entscheidende Unterredung.

Zur festgesetzten Stunde umarmte Aurelio seine von Glück und Jugend strahlende Gattin, um sich dann in Rosaura’s Gesellschaft zum Domcapitular zu verfügen. Dieser empfing den Grafen ernster als sonst, erkundigte sich aber mit Theilnahme nach dessen Erlebnissen.

„Im Allgemeinen,“ gab Aurelio zur Antwort, „hat das Glück mich begünstigt. Die Ausbeute meiner Gruben hat sich sogar noch ergiebiger als in früheren Jahren erwiesen. Wenn die Personen, mit denen man nun einmal zu thun hat, nur etwas zu verlässiger und weniger arrogant wären! Ein paar Menschen, denen ich vorzugsweise mein Vertrauen schenkte, haben mich leider recht hämisch hintergangen, und so schwer es mir fiel, sie zu entfernen, mußte ich mich doch für immer von ihnen trennen.“

„Hatten sie das ihnen geschenkte Vertrauen gemißbraucht?“ fragte der Domcapitular.

„Auf die schmählichste Weise,“ fuhr der Graf fort. „Sie kennen mein langjähriges Verhältniß mit dem genuesischen Hause –“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_743.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)