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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

den Kobolden, welche dem Fürstenhause zürnen, war richtiger. Sie hatten doch die Güte, meine Bitte zu beachten?“

Rütersen sah jetzt dem Grafen ernst in’s Auge. Aurelio behielt den lächelnden Zug bei, der den Ausdruck seiner Mienen verschönernd belebte.

„Wenn ich es nun nicht gethan hätte,“ fragte er den Grafen nach einer kleinen Weile, „würden Sie mir wohl für mein Zögern dankbar sein?“

Das Lächeln in Aurelio’s Antlitz verlor sich und machte einem Schimmer von Traurigkeit Platz.

„Es würde mich meiner geliebten Rosaura wegen betrüben,“ versetzte er.

„Meine Nichte besitzt der Kostbarkeiten mehr als nöthig sind, um glücklich leben zu können,“ fuhr der Domcapitular fort. „Ein kluger Mann, welcher die Liebe seiner Gattin für das höchste Gut hält, das der Himmel ihm geschenkt hat, muß weise Maß zu halten verstehen und die Frau nicht durch zu reiche Geschenke verwöhnen. Weil es mir nun schien, als wäre es Ihnen unmöglich, dies Maß zu beobachten, habe ich Ihren Auftrag nicht vollzogen.“

Aurelio’s leise Betrübniß verwandelte sich, wie sein Mienenspiel verrieth, offenbar in Aerger. Er stand auf, stieß den Stuhl, der ihn getragen hatte, unsanft zurück, und sagte in fast unehrerbietig klingendem Tone zu Rütersen: „Dann will ich das Versäumte sogleich nachholen. Rosaura hat mein Wort zum Pfande und erwartet schon lange, daß ich es einlösen werde. Ich ersuche um Auslieferung des Kästchens mit dem alten Schmucke.“

Ehe der Domcapitular auf diese sehr bestimmt ausgesprochene Forderung antworten konnte, überreichte ihm der eintretende Bediente ein Billet mit der Bemerkung:

„Von dem Herrn Obergerichtsrath Bornstein.“

Rütersen stand jetzt ebenfalls auf, trat an’s Fenster und öffnete es, ein Wort der Entschuldigung an den Grafen richtend. Während er die erhaltenen Zeilen durchlas, ward er sehr blaß. Sinnend faltete er das Billet wieder zusammen und kehrte zu seinem Sessel zurück. Er stützte sich auf die Lehne desselben und sagte dann mit Nachdruck: „Jenes Kästchen befindet sich nicht mehr in meiner Verwahrung. Ich ward von einem Freunde gebeten, es ihm zu überlassen.“

Aurelio von Weckhausen erschrak sichtlich.

„Fürchteten Sie vielleicht, man könnte bei Ihnen nachfragen, auf welche Weise Sie in den Besitz desselben gekommen seien?“ sagte er übereilt.

„Ich nicht, aber ein Freund von Ihnen fürchtete etwas der Art,“ versetzte der Domcapitular. „Es wird nöthig werden zu ermitteln, von wem das Kästchen herrührt und wer es Ihnen käuflich überließ.“

Der Graf war offenbar unangenehm von dieser Mittheilung überrascht, er wußte sich indeß schnell zu fassen, und ohne die letzte Frage Rütersen’s zu beantworten, sagte er: „Sie dürfen mir den Namen dieses Freundes nicht vorenthalten, theurer Herr Oheim. Jedenfalls findet hier eine Verwechselung zweier Gegenstände statt, die einander ähneln. Ich gestehe offen, daß ich eine solche Möglichkeit immer gefürchtet habe und daß ich gerade deshalb einen Umtausch des Schmuckes, welchen mein Geschenk an Rosaura birgt, schon seit längerer Zeit wünschte. Ich muß also, wie Ihnen einleuchten wird, unsern ebenso aufmerksamen als vorsichtigen Freund sogleich sprechen.“

„Obergerichtsrath Bornstein wird gewiß erfreut sein, Sie wieder zu sehen,“ meinte der Domcapitular.

„Bornstein?“ wiederholte Aurelio nachdenklich. „Also Bornstein! … Ich hätte es vermuthen können! ....“

Darauf ward er plötzlich auffallend zerstreut, sprach noch kurze Zeit über gleichgültige Dinge mit dem Oheim seiner Gattin, fragte wiederholt, ob auch sämmtliche Eingeladene bei dem morgenden freundschaftlichen Abendcirkel erscheinen würden, und empfahl sich endlich unter einem Strom von Dankesworten, wie der Domcapitular sie noch nie in so reicher Fülle von dem Grafen vernommen hatte.

Kaum sah sich Rütersen allein, als er auch Befehl ertheilte, seinen Wagen anspannen zu lassen. Das erhaltene Billet Bornstein’s zu sich steckend, fuhr er zu dem Obergerichtsrath. Unterwegs gab er sich der Hoffnung hin, er werde den Grafen bei Bornstein treffen. Aurelio von Weckhausen hatte sich aber nicht daselbst sehen lassen. Die Unterredung des Domcapitulars mit dem Obergerichtsrath dauerte lange. Sie endigte mit der Versicherung des Letzteren, daß alles Aufsehen vermieden werden solle. Auf die Haltung des Grafen nur würde es ankommen, ob das Unerläßliche still vor sich gehen könne, oder ob man Gewalt werde brauchen müssen.

„Und meine Nichte?“ rief der erschütterte Domcapitular. „Sie hat keine Ahnung von dem, was ihr bevorsteht! … Wer auch konnte vermuthen, daß sich ein Verbrecher in diesem vollendeten Gentleman verberge!“

„Die Gräfin ist vorbereitet,“ erwiderte Bornstein, „Uebrigens fällt auf den Grafen der geringere Antheil an der Schuld. Er half das Verbrechen nur fördern, er beging es nicht selbst. Der wirkliche Verbrecher ist jener Marchese Oruna, in dem sich, wie man ermittelt hat, in der That der illegitime Erbe verbirgt, welcher Ansprüche auf den Thron der Fürsten von O* erhebt. Gelang die kühne That – und es fehlte wenig, sie wäre vollständig gelungen – so würde Graf von Weckhausen als ein reicher Mann von seiner gewagten Vermittler- oder, wenn Sie lieber wollen, von seiner zweideutigen Hehlerrolle zurückgetreten sein und völlig makellos in der Gesellschaft dagestanden haben.“

„Ich bitte um Schonung meiner Nichte,“ bat Rütersen, als er den Obergerichtsrath verließ, „Das Kästchen ist doch noch in Ihren Händen?“

„Gewiß,“ sagte Bornstein, dem erschütterten Greise die Hand drückend. „Und damit es in die Hände keines Unberufenen und Uneingeweihten komme, werde ich Sorge tragen, daß es dem Grafen zu rechter Zeit wieder eingehändigt wird.“

„Sie wollten? … Können, dürfen Sie die Großmuth so weit treiben? …“

„Verlassen Sie sich ganz auf meine Vorkehrungen, Herr Domcapitular,“ fiel Bornstein ein, „Sie entsprechen vollkommen dem Ziele, das wir erreichen müssen. Und da ich voraussetzen darf, daß auch der Graf in dieser Stunde bereits von dem wahren Stande der Angelegenheit unterrichtet ist, wird er mich gewiß verstehen und sich meinen Anordnungen durchaus nicht widersetzen. Als Mann von Erziehung wird er im Augenblick des Unglücks erkennen, was er dem guten Ton und der Ehre seines Standes schuldig ist.“




9. Das Ende.

Rosaura war früher als Aurelio auf ihren schönen Landsitz zurückgekehrt. Hier fand sie ein Schreiben Bornstein’s vor, welches die Anzeige enthielt, daß ihr Gatte in Folge eingetretener Umstände wahrscheinlich spät, vielleicht auch gar nicht die Stadt werde verlassen können. Eine plötzlich eingetretene Trauerbotschaft aus seinen fernen Besitzungen fordere ein längeres Verweilen des Grafen, um sogleich die nöthigen Weisungen zu geben, Bornstein fügte hinzu, Graf von Weckhausen habe ihn als Freund gebeten, der Gräfin diese Mittheilung zu machen.

Zwar wunderte sich Rosaura über diese Nachricht, besonders auffällig erschien sie ihr jedoch nicht. Sie kannte die intime Verbindung ihres Gatten mit dem Obergerichtsrathe und vermuthete deshalb, Aurelio werde den Rath, wo nicht die Vermittelung des Freundes bedurft haben, um etwaigen Verlusten in Zeiten vorzubeugen.

Sehr erfreut war die Gräfin, als Aurelio kurz vor Mitternacht doch seine Behausung betrat, nur sein Aussehen flößte ihr Schrecken ein. Es mußte ihm in der That etwas Entsetzliches zugestoßen sein, sonst hätte der blühende Mann, den sie nur froh und glücklich zu sehen gewohnt war, sich innerhalb weniger Stunden nicht so auffallend verwandeln können.

„Entdecke mir Dein Leid, Aurelio,“ flehte Rosaura mit schmeichelndem Liebestone. „Es wird Dir leichter werden, wenn Du Deinen Schmerz, Deinen Kummer mit mir theilst!“

„Morgen sollst Du Alles erfahren,“ erwiderte der Niedergeschlagene. „Morgen nach dem Souper.“

„Wäre es nicht besser, wir ließen absagen? Der Oheim würde gern dafür Sorge tragen.“

„Nein,“ sagte Aurelio fest. „Ich wünsche nicht, daß dieser Unfall, der meine Existenz gefährden kann, im Publicum bekannt wird. Die Nachricht hat mich, weil sie zu unerwartet kam, allerdings überrascht, bis morgen Abend jedoch habe ich mich wieder gefaßt und ich werde fest sein in meinen Entschließungen.“

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