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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

mochte ihren eigenen Gedanken nachhängen, ich lebte nur in meiner Liebe und hatte für nichts Anderes Sinn und Theilnahme. Eines Abends fand ich heimkehrend auf dem Fensterbrett einen kostbaren Blumenstrauß mit rother Seide festgebunden, sonst kein Zeichen – das Zimmer lag im Erdgeschoß und es war nicht allzuschwer, vom Garten aus das Fenster zu erreichen, zur Noth selbst hineinzusteigen. Das seltsame Geschenk beschäftigte mich; ich sann hinüber, herüber, von wem es kommen könne. Zuerst schrieb ich es Adelen zu; man sagt, alles Gute käme von den Göttern, zu mir kam es von ihr allein. Ich dichtete einige Verse für die unbekannte Geberin, legte sie am andern Tage, als ich ausging, auf die Stelle, wo ich die Blumen gefunden hatte – bei meiner Rückkehr waren sie verschwunden. So wiederholte sich dies Spiel noch oft; blieb ich zu Hause, auch noch so versteckt, bemerkte, sah und empfing ich nichts – dann gingen allein die Gärtnerburschen durch die Alleen, schritt meine alte Freundin im Strohhut, ihr englisches Buch in der Hand, an meinem Fenster wunderlich ernst vorbei. Einmal saß ich dort, über ein Buch gebückt, da flog mir eine wunderschöne weiße Rose an den Kopf. Aufschauen und aus dem offenen Fenster springen war bei mir eins – ich hörte auch ein helles, fröhliches Lachen, sah ein strahlendes Antlitz aus dem Grün auftauchen – aber die Fee entschwand doch schneller, als ich nahte. Umsonst durchsuchte ich alle Lauben, bog umsonst jedes Gebüsch auseinander, endlich, des Suchens und Forschens überdrüssig, ergab ich mich darein, der Laune eines Koboldes zum Spielball zu dienen.

„Clemens, der kalte, besonnene Clemens, behauptete lachend, mein überirdisches Wesen sei entweder ein Gärtnermädchen oder eine Nähterin, die irgendwo in einer Dachstube des weitläufigen Gebäudes wohne. Hätte ich nicht Adele geliebt, leicht möglich, daß mich dies Abenteuer mehr gereizt, daß ich sorgfältiger nach der Unbekannten geforscht hätte. Eines Abends lag statt der Blumen, einer Gabe, an die ich schon gewöhnt war, ein Brief auf dem Fenster, den die innigste und mächtigste Leidenschaft eingegeben zu haben schien, der mir aber zugleich einen Vorwurf und eine Schuld aus meiner Liebe zu Adelen machte und sie falsch und treulos schalt. Es gab eine Zeit, wo ich jedes Wort dieses Briefes auswendig wußte, wo es mit feurigen Buchstaben in meiner Seele eingeschrieben stand. Denn es war etwas Hinreißendes, Berauschendes, Dithyrambisches darin, das mich wie ein hochheiliges Lied anklang, und doch daneben so viel Stolz, Eifersucht und Herrschsucht eine so genaue Beobachtung meines täglichen Treibens, daß ich mir selber wie bezaubert, wie beständig von einem bösen Geiste belauscht vorkam und zornig fragte: wer ist denn diese Frau, die dich auf jedem Schritte verfolgt, als wärst du ihr entflohener Sclave? Bist du nicht mehr frei? Hofft die Thörin, daß du ihretwegen, die nicht mehr als ein Nebelbild für dich ist, Adele vergessen wirst? Hofft sie deine Liebe gewaltsam zu erobern und nicht als deine freie Gabe zu empfangen? Das war es – ich mag meine Neigung nicht wie die Siegesbeute einer Amazone dahingeschleppt sehen, keine Frau zu mir sagen hören: Du sollst mich lieben! … Ich faßte mich, ich antwortete weder auf diesen leidenschaftlichen Erguß, noch brach ich mit Adelen. Und ich fand noch einen und einen dritten und letzten Brief. Wie beklagte ich diese Unselige, sie schrieb in Verzweiflung, sie klagte sich, mich, die Welt an – endlich auch Clemens! Sie sprach das verhängnißvolle Wort aus, daß er Adele liebe, wieder geliebt werde und ich der Getäuschte sei. Noch heute weiß ich nicht, welch’ ein Beweggrund, welche dämonische Gewalt sie getrieben, sich so in mein Leben zu drängen, mit eiserner Hand meine Freundschaft und Liebe wie thönerne Götzen zu zerbrechen … was hatte ich ihr gethan? was gegen sie verschuldet? In meiner Phantasie, denn gesehen hab’ ich sie nie, trägt sie das Antlitz einer schönen aber todbringenden Furie.“

Mit einem tiefen Seufzer senkte Isolde, als hätte sie ein Schwertstreich getroffen, das Haupt auf die Brust und faltete die Hände – er aber vor sich hinstarrend, sprach weiter: Ja, todbringend! Denn nach dieser Aufklärung mußte ich mit Clemens brechen, ihn fordern, mich mit ihm schlagen … an der blitzzerschmetterten Buche, heute sind es fünf Jahre her. Wir schlugen uns lange, ingrimmig, schon blutete ich aus mehreren Wunden, da erschien sie, die Hexe, die ewig liebliche, betrügerische Adele. Sie hatte von unserm Streit erfahren, sie wollte uns versöhnen. Vor ihren Augen, ihren Worten senkten sich unsere Degen – dann folgte eine närrische Scene, eine bewunderungswürdige Tollheit der Jugend und der Begeisterung. Mit meinem Blute schrieben wir unsere Namen in den Baumstamm, gelobten uns mit Kuß und Handschlag Trennung im Augenblick, Wiedersehen nach fünf Jahren und eine ewige Freundschaft.

„So geschah es denn auch; da Clemens wegen der Kränklichkeit seines Oheims und seiner zukünftigen Stellung bei der Regierung das Land nicht verlassen konnte, reiste ich ab, mit kaum verharschten Wunden des Leibes und der Seele; Adele war zwei Tage nach unserm Zusammentreffen nach Paris gegangen. Solche Geschichten treten wohl auf Augenblicke vor den Eindrücken der Gegenwart zurück, allein sie erlöschen nie, und Sie begreifen, daß ich ihnen nachsinnend bald mehr der Unbekannten, als der Freunde gedachte, vor Allem, seit ich in meinem Goethe einmal zufällig die weiße Rose gefunden, die sie mir in das Fenster geworfen … es war das einzige Angedenken, das ich noch von ihr besaß. Da wünschte ich mir die Macht, sie zu mir herzubeschwören, damals wie jetzt!“

Er strich die Haare von seiner Stirn zurück und hielt die Hand eine Weile vor den Augen. Als er sie dann zurückzog, war Isolde aus der Fensternische an den Tisch herangetreten, und der Schimmer des eben aufgehenden Mondes, der voll in das Gemach hineinschien und um ihre Locken spielte, verklärte sie fast zauberhaft.

„Und wenn sie nun vor Ihnen stände,“ fragte sie mit sanftem rührendem Ton, „was würden Sie ihr sagen?“

„Ihr sagen? – Anschauen würde ich sie so lange, bis jeder Zug ihres Gesichts mein geworden, und zu ihr sprechen: warum rissest Du den Schleier entzwei, der mir die Welt verbarg? warum raubtest Du mir die fröhliche Jugend, die offene Hingabe? warum sollte ich meine theuersten Güter an Dich, Phantom, setzen? Sieh, Du hast mich einsam, traurig und verschlossen gemacht, ich habe nie wieder einen Menschen Freund genannt, nie wieder an Frauenliebe geglaubt. Du hast mir gesagt, daß Clemens wie Adele gelogen … was konnte ich von den Andern erwarten? Wenn es Deine Absicht war, mein Herz von den Täuschungen des Glücks und der Freude abzuwenden und zu jenem ernsten und trüben Ton zu stimmen, der durch unser Leben und Sterben gleich mächtig klingt; so hast Du sie erreicht. Ob Du mich liebtest, ob Du mich haßtest – grausam ist Dein Haß, grausam Deine Liebe!“

„Grausam!“ hauchte sie kaum vernehmlich vor sich hin.

Jetzt schlug die Uhr auf der Console mit raschen Schlägen die zwölfte Stunde. Bruno sprang auf: „Sie sehen, Gnädige, wie recht die Unbekannte mit ihrer Weltanschauung hatte. Alles ist Lüge, Schein und Verrath unter den Sternen – Clemens kommt nicht!“

„Und weil er treulos handelt, müssen wir Alle in gleicher Schuld stehen? Gibt es darum keine Aufopferung, keine Liebe mehr bis in Schmach und Tod?“

In dieser Aufregung war sie wunderschön; wie die strenggeschlossene Knospe sich plötzlich im Gewitterregen öffnet, so schien ihre Gestalt, ihr Wesen in leidenschaftlicher Wallung sich zu entfalten und aufzublühen. Hingerissen ergriff Bruno ihre Hand, sie schrie leise auf und entzog sie ihm hastig. Es war ihm, als hätten seine Finger an einem der ihrigen einen goldenen schmalen Ring berührt, und schon hatte sie ihn abgestreift und aus dem Fenster geschleudert.

„O!“ rief sie tiefaufathmend, mit wildzuckenden Lippen – „nun bin ich frei!“ Dann aber ließ ihre Erregung nach, sie senkte erröthend den Kopf vor Bruno. „Sie gehen?“

„Mein Gepäck ist unten im Dorfe. – ich denke, morgen in der Frühe abzureisen.“

„Morgen?“ Sie erhob mit fragendem und durchbohrendem Blick das dunkle Auge. Er fühlte zusammenfahrend, daß er diesem Blicke nicht so entgehen könne. – „Gut, nicht morgen – an einem andern Tage,“ sagte er abgebrochen.

Sie lächelte triumphirend: „Ich bin Ihnen für Ihre Geschichte die meine schuldig. Sie bewiesen mir ein so edles Vertrauen, ich tausche Gleiches mit Gleichem, Auge um Auge, Seele um Seele!“

Was sie nun noch sprachen, waren nur noch Laute der Freude und des Entzückens, von denen allein ihr „Gute Nacht!“ mit silbernem Ton in ihm fortklang, wie unsagbar süße Musik, als er wenige Minuten nachher die Straße von dem Schlosse in das Dorf hinabwandelte.

(Fortsetzung folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_020.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)