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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

eine bedeutende Strafe. Mein S. war zu gelinde, er konnte kein Kind ernst tadeln. Seine Schule war daher bei der ersten Revision nicht, was eine Seminaristenschule sein soll. Ich nannte ihn bei der Revision „Sie“. Er weinte und schwieg. Nach einiger Zeit besuchte er mich. Ich: „Was wollen Sie bei mir?“ Er: „Ich wollte Sie bitten, meine Schule wieder zu revidiren.“ Ich: „Daß ich mich noch einmal ärgere?“ Er: „Nein! Ich will mir nur das „Du“ wieder verdienen!“ Er verdiente sich nicht nur das Du, sondern auch eine bessere Stelle. Einem jungen Lehrer schrieb er: „Du siehst, ich alter Mann kam heute bei stürmischem Wetter und schlechtem Wege zu Dir. Warum? Weil ich glaube, ich bin Gott für jeden preußischen Bauerjungen Verantwortung schuldig, wenn ich nicht Alles thue, was ich zu thun vermag, um ihn zum Menschen, zum Christen zu bilden. Denke Du auch so! Du hast’s bei Gott zu verantworten, wenn Du nur in einer Stunde eines Deiner Kinder vernachlässigst, nicht Alles an ihm thust, was Du für seine Menschen- und Christenbildung mit angestrengter Kraft zu thun vermagst. Junger Mann, das Vaterland hat Dir ein Werk anvertraut, das kindlichen, das männlichen Sinn fordert. Habe jenen, strebe nach diesem, so wird sich herzlich freuen Dein väterlich gesinnter Freund Dinter.“

So redete ein Dinter mit seinen strebsamen Lehrern; ist’s zu verwundern, daß diese das unmöglich Scheinende leisteten, ihn liebten und ihre Liebe in seiner Weise, in der Beförderung von Menschenwohl darzulegen bemüht waren? Dabei suchte der Freund ihre äußere Lage zu verbessern, wann und wo er konnte. Doch wir müssen hiervon schweigen, und wollen nur noch erwähnen, daß er als Professor der Theologie sich gleicher Liebe von den Studenten zu erfreuen hatte. In seinem Hause lebten acht Studenten und Gymnasiasten, die er zum größten Theil auf eigene Kosten oder gegen ein billiges Kostgeld erhielt, ja selbst studiren ließ; außerdem zahlte er mehrere baare Stipendien an arme Studirende. Es war Junggesellensteuer, zur Strafe dafür, daß er nie geheirathet. Er selbst lebte einfach, trank zu Hause nie ein Glas Wein, kleidete sich einfach, fast zu einfach, wohnte nicht herrlich. „Lachet nur,“ rief er Denen zu, die darüber spotteten! „Meine armen Jungen lachen auch, wenn ich noch einige Thaler zum Weihnachtsgeschenke habe, oder zum Jahrmarkte.“ Wöchentlich arbeitete er 83 Stunden und stand im hohen Alter noch stets früh fünf Uhr auf. Ohne Furcht sah er der Zukunft entgegen. „Sterben?“ spricht er, „nun wahrlich, davor fürchte ich mich nicht. Das Einpacken mag kein angenehmes Geschäft sein, aber Reisen ist wahrlich schön, zumal Reisen in’s Vaterland, zum Vater. Ein Gott, der mir’s hier so wohl gehen ließ, macht alle guten Geister in seinem Himmel glückselig, mich auch. Und wenn er mich droben wieder zum Schulmeister macht, und mir ein Heer Geisterchen für seinen Himmel zu bilden anvertraut, so erfüllt er den heißesten meiner Wünsche, macht mich so selig, daß ich selbst Gabriel und Raphael um ihre Herrlichkeit nicht beneide.“

Und diese Stunde schlug ihm nach einem rastlos thätigen, zum Segen der Menschheit vollbrachten Leben, ganz wie er sich’s immer gewünscht hatte, ohne langes Krankenlager. Den 19. Mai 1831 unternimmt er noch einige Revisionsreisen, kommt den 21. Mai Abends zu einem befreundeten Pfarrer, legt sich zur Ruhe und schläft ungewöhnlich lange. Doch um acht Uhr wacht er auf und arbeitet dann an der damals von ihm herausgegebenen Bibel als Erbauungsbuch. Es zeigen sich Anfälle von Schwindel. Gleichwohl revidirt er noch einige Schulen, will sein Werk in einem dritten Kirchspiele fortsetzen, doch es geht nicht mehr. Man holt ihn nach Königsberg zurück. Ein Nervenfieber gesellt sich zu seinem abgematteten Zustande, nach drei Tagen, den 29. Mai früh sechs Uhr, ist er ein Raub des Todes. Er schlief ruhig und zufrieden ein.

Er ruhe sanft. Er war ein arbeitsamer, guter, religiöser Mensch, ein Christ in des Wortes tiefster Bedeutung. Die deutsche Volksschule hat ihm viel zu danken, jede seiner einundfünfzig zum Theil bändereichen Schriften ist ein Denkmal seines praktischen Geistes. Die theologische Tagesmeinung suchte sie nach Preußens Vorgange vor mehreren Jahren nicht nur aus den Schulen, sondern, Gott sei es geklagt, selbst aus den Lehrerbibliotheken zu entfernen. Die Zeit bricht schon an, wo man rufen muß: „Ist kein Dinter da?“ Mögen die, welche aus seiner Schule hervorgegangen, ihm geistesverwandt sind, fest an seinem Grundsatz halten: „Durch den Kopf zum Herzen, keine Wärme ohne Licht!



Blätter und Blüthen.

Ein Sperling als Briefträger. Die Wittwe des Philosophen Helvetius liebte alle kleinen Vögel ungemein und suchte sie zu schützen, so viel in ihren Kräften stand. Während des Winters reinigte sie jederzeit ihren Altan von Schnee und streuete dort für die kleineren Körnerfresser Nahrung hin. Eines Tagen erschien einer ihrer besonderen Lieblinge, ein Haussperling, welcher der Dame so viel Vertrauen schenkte, daß er ihr aus der Hand fraß, mit einem aus dem abgeschnittenen Finger einen Handschuh gefertigten Beutelchen am Halse und flog seiner Wohlthäterin sogleich auf die vorgehaltene Hand, gleichsam bittend, ihn doch von seiner Last befreien zu wollen. Die Dame nahm ihm das Beutelchen ab und fand in demselben ein Zettelchen mit den Worten: „Rechtliche Leute Ihrer Nachbarschaft entbehren des Nöthigsten; werden Sie für dieselben weniger thun, als für ihre kleine gefiederte Familie, welcher Sie jeden Morgen so große Wohlthaten erzeigen?“ Die gute Dame besann sich keinen Augenblick lang, sondern eilte zu ihrem Schreibpulte, nahm eine Banknote von ziemlichem Werthe aus demselben, steckte sie in das Beutelchen, fing ihren kleinen Briefträger, küßte ihn, übergab ihm das Geld und trieb ihn zum Wegfluge an. Wenige Tage später erschien der niedliche Bote wieder mit seinem Briefbeutel und folgender Antwort: „Sie haben einen achtbaren Künstler und seine zahlreiche Familie gerettet; Gott segne Sie dafür! Ihren gütig geleisteten Vorschuß erhalten Sie nächstes Frühjahr zurück.“ Und wirklich brachte der geflügelte Bote der mildherzigen Geberin zur rechten Zeit das als Darlehn betrachtete Almosen zurück, zugleich aber ein Dankschreiben folgenden Inhalts: „Wir bitten unsere verehrte Wohlthäterin, unserer Geldschuld uns zu entbinden, aber zu erlauben, daß wir die Dankesschuld, welche sie in unsere Herzen eingegraben hat, für immer in diesen bewahren dürfen, weil wir ja doch niemals im Stande sein können, sie zu tilgen.“ – Der Erzähler dieser verbürgten Geschichte fügt hinzu, daß der Sperling später noch einen Besuch bei seiner Gönnerin abstattete und von dieser festgehalten wurde, um womöglich die Familie kennen zu lernen, in welcher er aufgezogen worden war. Und diese Absicht wurde auch vom Erfolge gekrönt; denn seine Herrin, die Tochter des Künstlers, bat durch die Zeitungen um Rückgabe ihres Lieblings, und Frau Helvetius erlangte hierdurch Gelegenheit, den Wünschen ihres Herzens vollständig Genüge zu leisten.

Dr. Brehm.


Kleiner Briefkasten.


H. L. in Dresden. Wir haben für derartige Spielereien – denn als solche sehen wir die gewünschten Briefe an – keinen Platz in der Gartenlaube.

R. R. in Kronstadt. Von den österreichischen Buchhandlungen wird unsere Zeitschrift, so viel wir wissen, mit 1 fl. 15–20 kr. verkauft, doch können die traurigen Coursverhältnisse der neuern Zeit wohl eine Preiserhöhung herbeigeführt haben. Außerdem sprechen in Kronstadt die theueren Fracht- und Postspesen etwas mit.

S. in Pulsnitz. Ihre Auflösung des Räthsels hat durch ihre geistreiche Form sehr angesprochen.

Hbgr. in Kolomna (Gouvernement Moskau). Wenn die russische Postbehörde in Moskau den Abonnementspreis für die Gartenlaube einstreicht, so ist sie auch verpflichtet, den Jahrgang regelmäßig und vollständig in den erscheinenden Wochennummern zu liefern. Wenn briefliche Reclamationen nicht helfen, so nehmen Sie die Presse zu Hülfe, es ist das beste Mittel, Uebelstände bekannt zu machen und zu beseitigen.

A. W. in Oppeln. In der letzten Nummer werden Sie bereits eine Mittheilung gefunden haben.

Nlgn. in Nördlingen. Wir bedauern, auf Ihre Vorschläge nicht eingehen zu können.

C. A. W. in Hamburg. Die Gartenlaube druckt nur Originalbeiträge ab, am wenigsten aber kann sie sich dazu verstehen, aus den leichtfertigen Mühlbach’schen Machwerken nachzudrucken.

B. in O. Die „Blätter aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube“ werden, wie Sie in heutiger Nummer ersehen, fortgesetzt. Es freut uns, daß dieselben auch in Ihrer Gegend ansprechen.




Zur Berichtigung. In einem Theil der Exemplare der Nr. 7 sind zwei sinnentstellende Druckfehler stehen geblieben, die wir zu berichtigen bitten. Es muß heißen:

Seite 103, Spalte 1, Zeile 21 v. u. Beengung des Magens, statt Bewegung des Magens.
Seite 104 in der Unterschrift der Illustration: s) Milz, statt Milch.



Mit dem 1. Januar begann ein neues Quartal der bei Ernst Keil in Leipzig erscheinenden Zeitschrift:

„Aus der Fremde.“ Wochenschrift für Natur- und Menschenkunde der außereuropäischen Welt,
redigirt von A. Diezmann.

Wöchentlich ein Bogen mit und ohne Illustrationen. Vierteljährlich 16 Ngr.

Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen Bestellungen an.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_144.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)