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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Bearbeitungen der Messingtheile und das Drehen der Schrauben, werden in großen Localen „fabrikmäßig“, im vulgären Sinne, gefertigt und hierzu Frauen und Kinder verwendet. Die weitaus größte und für die Herstellung einer Uhr wichtigste Summe der kunstgeübten Hände arbeitet daheim im Stübchen, im Kreise ihrer Familie unter Mitwirkung und Mitverdienst derselben. Der eigentliche Uhrenfabrikant oder Etablisseur hat in der Regel keine Arbeiter im Hause, höchstens einen Visiteur auf dem Comptoir. Die einzelnen Uhrenbestandtheile: Räder, Spiralen, Federn, Zeiger, Zifferblätter, Gehäuse etc. läßt der Etablisseur ebensowenig speciell und ausdrücklich fertigen, sondern bezieht diese je von den Arbeitern (oder man könnte treffender sagen „kleinen Fabrikanten“), welche sich auf eine specielle Branche geworfen haben. Zwei der interessantesten Special-Geschäftszweige sind die der Rubinschleifer und Spiralmacher.

Bekanntlich haben die Cylinder- und Anker-Uhren den Vortheil, viel regelmäßiger und unabhängiger von äußeren Einflüssen zu gehen, als die früheren Spindeluhren. Diese Regulirung des Ganges wird zunächst durch die „Cylinderhemmung“ herbeigeführt. Letztere aber veranlaßt zugleich auch größere Friction und Abnutzung der davon betroffenen Theile, und um diese zu paralysiren, ist man auf den Einfall gekommen, die Stahlzäpfchen der Räder nicht wie früher lediglich in Löchern der Metallbestandtheile (der Pfeiler- und Klobenplatte) laufen zu lassen, sondern dafür härtere, minder abnutzbare Körper zu wählen. Dies sind die Rubinsteinchen, welche, je mit einem Loch versehen, an denjenigen Stellen eingelassen werden, wo die Stahlzapfen laufen. Cylinderuhren haben entweder vier oder acht Steinchen (huit trous en pierres), Ankeruhren deren dreizehn. Bei dieser Einrichtung kann eine Uhr vierzig Jahre und länger in Bewegung sein, ohne daß sich das Mindeste abnutzt.

Die Rubinchen sind meist kleiner als ein Hirsekorn und so dünn wie Papier. Diese mit geschlemmtem Diamantstaub zu schleifen, ist vielleicht die minutiöseste Arbeit, die es überhaupt in der Weltindustrie gibt. Meist wird sie von zarten Mädchenhänden besorgt. Ein Rubinenschleifer hält gewöhnlich zehn bis zwanzig Mädchen. Ist das Steinchen, welches mikroskopisch untersucht wird, geschliffen, so kommt es in die Bohrmaschine, um das Loch einzuschneiden. Diese Arbeit ist weniger ein eigentliches Bohren, als vielmehr ein unendlich subtiles Hämmern oder Meißeln mit einer Nadel, die in kaum denkbar kurzen Zwischenräumen gleichsam in zitternder Bewegung immer auf ein und dieselbe Stelle hintupft, – vielleicht einige hunderttausend Mal in einer Stunde. Die Nadel, wenn sie vom härtesten Stahl wäre, würde aber dem Edelsteine dennoch nichts anhaben können; darum wird auch diese Lochmeißelung mittelst Diamantstaubes vorgenommen, welcher, da die Nadel aus sehr weichem Stahl gefertigt ist, sich in die Spitze festsetzt, und so zum Angriffsbohrer wird. Je vier Steine werden ein „jeu“ genannt und kosten (von der kleinsten Sorte) etwa zwei Francs. Die Producte dieser Liliputaner-Industrie während eines ganzen Jahres lassen sich füglich in einer etwas großen Pillenschachtel aufbewahren, und doch beträgt der durch dieselben repräsentirte Stoff- und Arbeitswerth etwa hunderttausend Franken.

Nicht minder interessant und eben so minutiös ist die Verfertigung der Spiralen. Betrachtet man dieses in jeder Taschenuhr sichtbare Maschinentheilchen, das so dünn und zart wie ein Haar, in ewiger Unruhe seine Federkraft spielen läßt und unaufhörlich sich zusammenzieht und wieder ausdehnt, so bewundert man sicherlich die unendliche Geduld und Geschicklichkeit, welche dazu gehören muß, solche nur guten Augen erkennbare Körperchen aus hartem, sprödem Metall zu schaffen. Und diese Stahlhärchen, diese mikroskopischen Manufacte werden, was ihre letzte und difficilste Form anbetrifst, wenn auch unter Anwendung complicirter Werkzeuge, doch fast von freier Hand gearbeitet. Bei keinem anderen Fabrikate wird die Wertherhöhung des Rohmaterials durch die Arbeit bis zu solchem Grade getrieben, als bei den Spiralen. Sie sind, als einer der zartesten von Menschenhänden darstellbaren Gegenstände des Kunstfleißes, ohne Uebertreibung zugleich der größte Triumph der Arbeit zu nennen. Einige Zahlen werden die unglaubliche Differenz näher beleuchten, welche hier zwischen dem Stoff und der fertigen Waare liegt. Eine Spirale von mittlerem Kaliber wiegt circa funfzehn Milligramm; es gehen deren also etwa sechsundsechzig Stück auf ein Gramm. Würde nun bei der Umwandelung des fertig bereiteten Stahls durch Schmiede- und Walzarbeiten zu papierdünnem Blech, durch Zerschneiden desselben zu jenen haarfeinen Streifchen und bei der weiteren Bearbeitung bis zum fertigen Handelsproduct durchaus kein Materialverlust eintreten (der aber natürlicherweise eintritt), so würden aus einem Centner Stahl 31/2 Millionen Stück solcher Spiralen gefertigt werden können. Das Dutzend kostet beim Fabrikanten im Jura, je nach Größe und Güte, 1/2 bis 3 Francs. Nimmt man also etwa 13/4 Franc (14 Silbergroschen) pr. Dutzend als Mittelwerth der überhaupt producirten Spiralen an, so ergibt dieser Preisansatz, auf das Gewicht reducirt, einen Handelswerth von 525000 Franken pr. Centner. Der Centner des besten englischen Stahls kostet aber höchstenn nur 170 bis 200 Franken. Es ist somit fast die ganze obige Werthsumme reiner Arbeitsgewinn, eine Potenzirung des Rohmaterials auf das mehr als Halbmillionenfache seines ursprünglichen Stoffwerthes. Keine Branche irgend eines der großen Industriezweige erzielt auch nur annähernd ein solch enormes Resultat.

So wie diese beiden näher beleuchteten Specialbranchen, gibt es deren noch viele, die, eine jede scheinbar unabhängig von der anderen für sich fabrikationsmäßig producirend, in den großen Herstellungsproceß der Uhrenfabrikation auf das Genaueste eingreifen (Fabricant d’aiguilles, fabr. de balanciers, fabr. de Calottes, cercles et cuvetten, fab. de pignons, de ressorts-de-barillets, de cadrans en émail et métalliques, faiseur de raquettes etc. etc.). Es ist eine gemeinsame Norm, ein Allen als gemeinsames Productionsgesetz geltendes mathematisches Maß, nach welchem sie arbeiten, – es ist ein gemeinsames Ziel, an welchem Alle endlich zusammentreffen: die fertige Uhr.

Die einzelnen Bestandtheile, die, wenngleich von den verschiedensten Seiten bezogen, dennoch nach Nummer und Kaliber auf’s Genaueste zusammenpassen, gehen nun durch eine Menge Hände. Zuerst bekommt sie der „Triebmacher“, der die Getriebe einschneidet, so daß sie ineinander greifen; dann erhält sie der „Finisseur“, der die einzelnen Theile „finirt“, die Räder zusammen- und die Brücken aufsetzt. Darauf der „Echappement planteur“, der die Raquette (Unruhe) und die Echappement-Theile, die wieder von anderen Branche-Arbeitern gefertiget sind, plantirt. Hierauf gelangt das ziemlich vollständige innere Werk in die Hände des Zifferblatt-Aufsetzers (Fabricant et poseur de cadrans), der, wenn er geschickt ist, täglich 10 bis 15 Francs verdienen kann. Alle diese Leute wohnen und arbeiten für sich in ihren Häusern, so daß die längliche Schachtel, in welcher jederzeit sechs Uhren Platz haben, mit letzteren in ihren verschiedenen Entwickelungsstadien fortwährend unterwegs ist, von einem Hause zum andern wandernd. Ist das Zifferblatt aufgesetzt, so wandert das Werk zum „Faiseur des boîtes“ oder „Schalenmacher“, der das goldene oder silberne Gehäuse nach Angabe des Fabrikanten, wie schwer und theuer dasselbe sein darf, darumlegt.

Vorläufig ist dieses Gehäuse noch ganz blind und roh, ohne jede Decoration. Die Genfer Schalen sind eleganter, gustöser, nobler als die im Jura gefertigten, während die großen Uhrenschalen vorzugsweise in Locle dauerhaft, solid und kräftig in den Scharnieren hergestellt werden. Für Damenuhren namentlich, „Savonettes“, kann man nur Genfer Arbeit gebrauchen. Allgemein wird für silberne Schalen dreizehnlöthiges Silber, für goldene achtzehnkarätiges Gold verwendet. Um diesen Gehalt der edlen Metalle zu garantiren, kommen die rohen Schalen auf das Controle-Bureau, wo sie probirt und gestempelt werden. Schleuderer und Fabrikanten, die à tout prix Geschäfte machen wollen, lassen indessen auch, indem sie das Controle-Bureau umgehen, geringer legirte Schalen machen.

In solch geringerer, aber sehr elegant aussehender Waare macht Chaux de Fonds besonders Geschäfte, während Locle immer mehr auf äußerst solide Arbeit sieht. – Steckt nun das Werk in der rohen Schale, so kommt es zum Cuvette-Macher, der den inneren Messing-Deckel anbringt. Bei solchen Uhren, deren Cuvette von Silber oder Gold ist, fertigt dieselbe der Monteur des boîtes. Nun erst erhält das Ganze der Repasseur, welcher das Werk in der Schale justirt, die Brücken, Kloben etc. finirt, überhaupt das ganze Uhrwerk zuerst in Gang setzt. Damit aber ist es noch nicht fertig, denn Werk und Schale werden nun nochmals auseinander genommen, ersteres wird regulirt, vergoldet und die Stahltheile polirt, – indessen der Guillecheur oder Graveur (zwei getrennte Branchen) das Gehäuse decoriren und durch die bei ihnen arbeitenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_167.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)