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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

befand. Die beiden Männer hatten mit Hinzuziehung des Aufsichtsbeamten lange zu suchen, bis sie die für Frohns Gestalt passenden Equipirungsstücke unter den reichen Vorräthen gefunden hatten; endlich stand der schlanke, kräftige Mann in einer vollständigen Verwandlung da: in einem feinen Scharlachrock mit schwarzen Aufschlägen und goldenen Tressen und Achselschnüren, Beinkleidern von Büffelleder, die in hohen, mit Manschetten umgebenen Reiterstiefeln endeten; über dieser Uniform ein schwarzsammtner Flügelrock ohne Aermel und darüber eine Patrontasche am sammtnen Bandelier; ein dreieckiges Hütchen mit Tressen hatte den Schlapphut ersetzt, ein Degen und eine schöne, mit goldenen Nageln beschlagene Hellebarde bildeten die Bewaffnung.

Der Adjutant des Feldmarschalls sah lächelnd zu der stattlichen Gestalt auf; dann gab er seinem Begleiter die nöthigen weitern Anweisungen, und nach Verlauf von kaum einer Stunde sah sich Frohn als wohlbestallter Arcieren-Leibgardist Ihrer kaiserlich-königlichen apostolischen Majestät eingeschrieben, instruirt und in Eid und Pflicht genommen. Da in dem Hotel des Corps nicht sofort ein Quartier für ihn bereit war, so wurde ihm anheimgestellt, vorläufig in der Stadt zu wohnen. Er trat deshalb noch vor Mittag wieder unter das gastliche Dach des Herrn Fellhamer zurück, um sich contractmäßig in Besitz seines Nachtquartiers zu setzen, das ihm mit Vergnügen von dem erstaunten Hausherrn überlassen wurde. Der verkommene Gesell von gestern war heute für ihn eine Respectsperson von bedeutendem Gewicht. Denn ein Arcierengardist war in jener Zeit ein privilegirtes Wesen, wenn auch nicht mehr seine Hellebarde oder sein Flügelrock etwas von der Heiligkeit eines Altars hatten, wie in früheren Zeiten, wo ein zur Hinrichtung hinausgeführter Verbrecher, der einem Arcier begegnete und dem es gelang, seine Hellebarde oder seinen Flügelrock zu berühren, für diesen Tag seines Halses sicher war und in sein Gefängnis, zurückgeführt werden mußte.


3.


Unser Held konnte mit seiner neuen Lage sehr zufrieden sein. Der Dienst war über alle Maßen leicht. Er bestand darin, bei Hoffesten, an Gallatagen, bei feierlichen Auffahrten von Botschaftern zu paradiren und einige Wachtposten in der inneren Hofburg zu besetzen. Durch diesen Nachtdienst wurden etwa wöchentlich vierundzwanzig Stunden in Anspruch genommen; die übrige Zeit konnte der neue Arcier seine glänzende Scharlachuniform im Prater, auf der Bastei oder auf dem Graben spazieren führen, oder die Stunden im Verkehr mit seinen Cameraden verbringen.

Nebenbei fand Frohn eine unterhaltende Beschäftigung darin, die häuslichen Verhältnisse seiner Wirthsleute zu beobachten. Die Verhältnisse seines Hauswirths hatten etwas, das einen jungen Mann zu dieser Beobachtung geradezu herausforderte. Sie schienen nämlich allseitig beherrscht von dem Einfluß, welchen ein unsichtbar bleibendes Wesen darüber ausübte, ein Wesen, das nie leibhaft vor seinen Augen erschien, das, in unnahbarer Zurückgezogenheit weilend, dem ganzen Haushalt ein Gepräge stiller Würde und gemessener Zurückhaltung auszudrücken schien, und das trotz seiner Nixenhaftigkeit den christlichen Namen Thereserl führte, ein Name, der übrigens in Frohns Gegenwart sehr selten erwähnt wurde, und immer beinahe nur wie in der Zerstreuung, als ob man just seine Anwesenheit vergessen habe.

Der „Franzl“ ließ sich übrigens auch bei Frohn nicht wieder blicken; doch fehlten die Spuren nicht, daß er sich fortwährend der süßen Gewohnheit des Daseins erfreue. Von Zeit zu Zeit wurde es lauter im Hause unten; es gab kleine Scenen und Wortwechsel. Wenn Frohn zufällig sich auf dem Gange vor seinem Zimmer befand, so vernahm er, daß die Ausdrücke von Meinungsverschiedenheit, die so lebhaft zu ihm heraufschwirrten, von dem gutmüthigen Manne mit großem Haarbeutel und rothblumigem Schlafrock, dem Hausherrn, von dem kleinen rundlichen Hausmütterchen und von dem hoffnungsvollen Franzl ausgestoßen wurden, welch Letzterer nicht im Hause wohnte, aber zuweilen mit der freundlichen Absicht darin auftauchte, in das stagnirende und lautlose Alltagsdasein, das diesen friedlichen häuslichen Heerd umgab, etwas Abwechselung und wohlthätige Erregung zu bringen. Weshalb Franzl nicht im Hause wohnte, erfuhr Frohn in seinen gelegentlichen Unterhaltungen mit der Hauswirthin nicht. Der Streit, den sein Kommen zu entflammen pflegte, wies am deutlichsten darauf hin, daß seine Aufführung sich nicht der Billigung seiner würdigen Erzeuger zu erfreuen hatte.

Unser Arcier hätte kein junger, über viel Zeit gebietender Mann sein müssen, wenn ihn nicht verlangt hätte, den stillwaltenden Hausgeist, das Thereserl, zu erschauen. Lange Zeit blieben seine Bemühungen vergeblich. Endlich aber, es mochte in der dritten Woche seines Aufenthalts im Hause sein, traf Frohn eines Abends das Thereserl einmal richtig unten in der Wohnstube an. Es war ein bildhübsches und dabei höchst anmuthiges Geschöpf; auch war sie mit großer Sorgfalt gekleidet, nicht auffallend, nicht geschmückt, aber mit jener einfachen und gediegenen Eleganz, welche den Damen der höheren Gesellschaftsclassen so wohl steht, wenn sie den guten Geschmack haben, sie breitspurigem Pomp vorzuziehen.

Das Thereserl war mittler Größe, hatte ein allerliebstes rundes Gesicht und ein Paar dunkle, feurige Schelmenaugen. Es erwiderte Frohns tiefe Verbeugung mit dem Anstand einer großen Dame. Es lächelte sehr anmuthig dabei, aber dies Lächeln hatte etwas Erzwungenes; auf dem hübschen Gesicht lagerte ein sehr großer Ernst. Auch der Papa im Schlafrock und die sonst so rührige Mama sahen heute mit einer Miene darein, als hätten sie eben mit ihrem feinen Töchterchen eine Unterredung über sehr wenig heitere Dinge gepflogen. Frohn nahm, nachdem er sich der Demoiselle vorstellen lassen, das Wort und suchte durch eine lebhafte Unterhaltung die peinliche Stimmung zu verscheuchen und zugleich das Thereserl zu fesseln, damit sie nicht sogleich seinen Augen verschwinde und sich wieder in ihr mysteriöses Elfenreich, das irgendwo in den nach hinten auf den kleinen Garten hinausgehenden Gemächern des Hauses liegen mußte, zurückziehe. Sie schien jedoch seinem Geplauder kein übermäßig großes Interesse zu widmen, sondern zu ihren offenbar nicht heitern Gedanken oder Sorgen zurückzukehren. Erst als die Hausfrau Frohn aufforderte, doch ihrer Tochter seine merkwürdige Flucht aus der Festung Magdeburg zu erzählen – er hatte seine Wirthsleute früher ein paar Abendstunden lang damit unterhalten – und als der Arcier sehr bereitwillig darauf einging, horchte das hübsche Kind auf, und endlich hingen ihre Blicke gespannt an seinen Lippen.

Als er geendet hatte, sah sie ihn noch lange aus ihren schönen Augen, aber mit einem Ausdruck an, der ihn jetzt wieder glauben lassen mußte, sie habe gar nicht gehört, was er gesprochen, sondern sei einzig mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt und darin verloren.

Wie aus ihrem Sinnen erwachend, sagte sie endlich im reinsten Wiener Dialekt, der von ihren kirschrothen Lippen ganz allerliebst lautete:

„So brav san’s – und so solid san’s a, wie d’ Herrn Eltern sog’n – schaun’s, das mog i halt!“

„Die Demoiselle ist zu gütig gegen mich,“ erwiderte Frohn, sich lächelnd gegen sie verbeugend.

Das Thereserl erröthete über ihre Lebhaftigkeit. Nach einer Weile, während der alte Herr im Schlafrock seine unmaßgeblichen Gedanken über Frohn’s Geschichte verlautbarte, stand sie auf und verschwand, gefolgt von der Mama, die nach ihr die Stube verließ.

Frohn hatte nun also doch das schöne Kind mit eigenen Augen gesehen und sich überzeugt, daß sie nicht etwa eine poetische Illusion und keine unsichtbare Titania sei, die durch Zaubereinflüsse das stille Haus regiere. Und damit war der Bann gebrochen, der sie für ihn bisher umgeben hatte; er sollte sie viel früher wiedersehen, als er gehofft hatte.

(Fortsetzung folgt.)


Die Befreier Siciliens.

Wir geben hier, nach einer Zeichnung des Künstlers, welchen die „Illustrated London News“ nach Sicilien geschickt hat, die Portraits Einiger der „Befreier Siciliens“, in ihren eigenthümlichen bequemen Uniformen, um Garibaldi, den modernen Ritter ohne Furcht und Tadel, gruppirt. Die Geschichte dieses Helden ist unsern Lesern bekannt. General Stephan Türr ist ein Ungar, stammt


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_564.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)