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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nicht um Urlaub, und um zehn Uhr ritt er auf seinem Rappen im Gefolge des Königs Joseph zum Burgthor hinaus.

„Es scheint,“ sagte er sich, „es soll so etwas wie eine Prüfung sein; die römische Majestät will sehen, ob ich Ihren Wunsch höher stelle oder die Kriegsartikel und ein paar Tage Arrest!“

Die Herren im Gefolge des Königs waren diesmal weniger kühl und vornehm gegen ihn; sie sahen, daß Frohn durch irgend etwas die entschiedene Gunst des jungen Monarchen gewonnen habe, der ihn so wiederholt in seine Nähe zog, und außerdem war unser Arcier ein viel zu guter Waidmann und viel zu guter Camerad bei der Jagdmahlzeit, um sich nicht bald Freunde zu gewinnen.

Der römische König aber richtete niemals das Wort an ihn; er schien keinen Blick für ihn zu haben; ja, es war, als ob er die Anwesenheit des rothen Arciers gar nicht wahrnehme; und doch war dieser sichtbar genug und fand keinen Grund, sich hinter die Andern zu verstecken, was ihm auch sehr schwer geworden wäre! Frohn war gerade deshalb um so mehr überzeugt, daß König Joseph irgend eine Absicht mit diesen Einladungen verbinde; aber er zerbrach sich nicht den Kopf darüber, welche es sein könne.

Am späten Abend kehrte die Jagdcavalcade vom Kahlenberge zurück.

„Arcier Frohn,“ sagte am andern Morgen beim Appel der Premier-Wachtmeister-Oberst, der heute die kleine Schaar commandirte. „Arcier Frohn,“ sagte der gestrenge alte Herr, „die drei Tage Stubenarrest haben bei Ihm nicht gewirkt, wie lange muß man Ihn auf die Wache schicken, damit Er daran denkt? Geb’ Er einmal selber die Dosis an, die bei Ihm verfängt? Werden’s acht Tage thun? Nun, wir wollen sehen! Melde Er sich dazu. Aber das sage ich Ihm: zeigt Er mir zum dritten Male seinen Ungehorsam, so behandle ich’s als einen Fall schwerer Insubordination und laß Ihn sofort krumm schließen und in Eisen legen! Darauf hat Er mein Wort, Arcier Frohn! Verstanden?“

„Zu Befehl, Herr Oberst.“

Der Herr Oberst wandte sich grämlich ab, und Frohn ging sich zum Arrest zu melden. Acht Tage in der Officierstube des Militärgefängnisses zugebracht – es war eine lange, langweilige Zeit. Doch brauchte sie wenigstens nicht einsam zugebracht zu werden. An einem Ort mit so großer Garnison gab es immer einige Leidensgefährten, und Würfel, Karten, Jagd- und Kriegsgeschichten[WS 1] zeigten sich immer von befriedigender Wirkung als Vertilgungsmittel der überflüssigen Stunden.

Als die acht Tage glücklich hingebracht waren und Frohn sich bei seinem Vorgesetzten meldete, um eine für das Soldatenthum der Vergangenheit charakteristische und wahrhaft dämonisch ausgesonnene Formalität zu erfüllen, die nämlich, für die gnädige Strafe zu danken, hielt ihm der Wachtmeister-Oberst eine ernste väterliche Ermahnungsrede:

„Arcier Frohn,“ sagte er, „Er ist sonst ein tüchtiger Soldat, genau und accurat im Dienst und, obwohl Er ein junger Mensch ist, von solidem Betragen und löblichster Conduite. Ich habe auch nicht unterlassen, Seiner Excellenz unserm Chef, der großen Antheil an Ihm nimmt, das Beste über Seine Führung zu berichten. Desto mehr ärgert’s mich, daß wir Ihn jetzt schon zum zweiten Mal haben strafen müssen. Er weiß selber, daß Strafen bei der Arcieren-Leibgarde nicht vorkommen dürfen; das Strafjournal ist so sauber und rein geblieben, wie’s vom Buchbinder gekommen ist, bis auf Ihn, um den nun auf einmal schon zwei Blätter haben verkleckst werden müssen. Will Er denn das Corps um seinen guten Ruf bringen? Sollen die von der Trabanten- und Nobelgarde sagen, wir wären nicht besser als ein Haufen Rekruten? Strafen, Herr? Nichts da! Ich will keine Strafen im Corps, und Er soll erfahren, was das Krummschließen bedeutet, falls Er mich zwingt, wieder mit Strafen drein zu fahren – merk’ er sich das und sehe Er nun sich vor!“

Nach dieser Rede, die der kleine alte Herr mit steigendem Aerger dem straff und wie eine Säule vor ihm stehenden Untergebenen gehalten hatte, wurde Frohn entlassen.

Zwei Tage nachher, als Frohn eben auf Wache gewesen war und sich nach geschehener Ablösung nach Hause begeben wollte, begegnete ihm unter dem Portale des Ausgangs aus der Burg der Hofcavalier des römischen Königs, welcher der Vermittler der früheren Jagdeinladungen gewesen war. Er trat auf Frohn zu, und dieser erschrak nicht wenig, als der Cavalier lächelnd und mit großer Artigkeit sagte:

„Der Herr Arcier kann sich Glück wünschen, daß Seine römisch königliche Majestät ihn so oftmalen in ihrem Gefolge zu sehen verlangen. Es ist ihr expresser Befehl, daß Sie morgen früh um neun Uhr mit nach Hetzendorf zur Jagd hinausreiten.“

„Ich bin Seiner Majestät für diese Gunst aufs Tiefste verpflichtet,“ versetzte Frohn, „aber ich hoffe zu Gott, daß ich dies Mal …“

„Urlaub zu nehmen wird nicht erforderlich sein,“ fiel der Hofmann mit einem verzweiflungsvoll ruhigen und gleichgültigen Lächeln ein. „Seine Majestät haben ausdrücklich zu bemerken geruht, sie wünschten es nicht.“

„Aber –“ begann der Arcier.

Der Hofcavalier hörte jedoch nicht auf ihn.

„Halten Sie sich an den Wunsch des Königs,“ sagte er mit einem bedeutsamen Tone. „Also morgen Schlag neun Uhr!“

„Den Teufel hab’ ich von diesen sich drängenden königlichen Gunstbeweisen,“ flüsterte Frohn zwischen den Zähnen, während der Cavalier mit einer vertraulichen Handbewegung sich beurlaubte und rasch weiter schritt. „Er hat nicht einmal ein freundliches Wort, nicht einmal einen Blick für mich, und dafür soll ich mich jetzt gar noch in die Eisen legen lassen! Eine ausgezeichnete Gnade! Als ob Krummschließen ein Kinderspiel wäre! Wenn’s nicht König Joseph wäre, müßt’ ich denken, er wollte mich zum Danke für das, was ich gethan habe, so lange zu Insubordinationen verführen, bis man mich aus dem Arcieren-Corps ausstößt, um einen Menschen beseitigt zu wissen, dem er sich verpflichtet fühlt. Für ein menschlich fühlendes Gemüth sind solche Individuen ja gewöhnlich unangenehme Persönlichkeiten, die man gern möglichst weit weiß! Der Henker werde klug daraus! Nun, einmal wollen wir’s noch wagen, dann aber nicht mehr!“

Am andern Morgen um neun Uhr war der Arcier auf dem Burgplatz, wo die Pferde des römischen Königs und seines Gefolges eben vorgeführt wurden. Einige Stunden später, beim Appel, wurde der Name Joseph von Frohn vergeblich ausgerufen und vom Vice-Second-Wacht- und Rittmeister mit einer sehr ernsten Dienstmiene in sein Taschenbuch verzeichnet.

Die römisch königliche Majestät jagte auf den Feldern um Hetzendorf bis gegen drei Uhr Nachmittags. Das Jagdmahl wurde in den schmucken hübschen Räumen des kleinen Lustschlosses eingenommen. Die Gesellschaft war heiter und laut und lustig genug dabei. Nur am untern Ende der Tafel saß einer der Gäste, dem die guten Bissen heute sehr wenig zu schmecken schienen, und um dessen Lippen bei den auftauchenden Scherzen ein eigenthümlich gezwungenes Lächeln irrte. Beunruhigten ihn vielleicht die flüchtigen und spöttischen Seitenblicke so, welche er von Zeit zu Zeit aus den Augen des römischen Königs auf sich gerichtet zu sehen glaubte?

Der König hob endlich die Tafel auf. Der Kaffee wurde servirt; Frohn hatte eben den Inhalt seiner Tasse hintergeschlürft, als er plötzlich seinen Namen rufen hörte. Es war König Joseph selber, der rasch auf ihn zutrat und, indem er seine großen blauen Augen mit einem eigenthümlichen Ausdruck schelmischer Freundlichkeit auf ihn richtete, sagte:

„Er hat ja wohl Hetzendorf noch nicht gesehen?“

„Nein, Ew. Majestät.“

„So komm’ Er, ich will Ihm die andern Gemächer zeigen.“

König Joseph schritt nun voraus in eine Ensilade von nicht großen, nicht üppig und luxuriös, aber sehr geschmackvoll eingerichteten freundlichen Räumen. Er machte mit ungezwungener Freundlichkeit den Cicerone darin.

„Dies ist das Schreibcabinet der Kaiserin, meiner Mutter,“ sagte er; „den Ofenschirm mit den Chinoiserien hat meine Schwester, die Erzherzogin Marie Antoinette, gemacht. Dies Zimmer hier bewohnt der Kaiser, wenn der Hof hier ist. Sehe Er sich den runden Tisch an, es ist sehr schöne Florentiner Mosaik, mein Vater liebt sie, obwohl ich gestehen muß, daß ich die römische Mosaik um Vieles schöner finde. Die zwei Gemälde dort sind von Teniers dem jüngern, ein Paar Prachtstücke und wahrhaft bewundernswürdig, d. h. wenn man nicht vorzieht, diese Pöbelkneipen abscheulich zu finden … hier dies kleine Cabinet dient als Schlafzimmer des Kaisers – aber wie ist das … wie kommt diese Uniform hierhin?“

Damit deutete König Joseph auf eine vollständige und sehr glänzende blaue Husaren-Uniform, welche auf dem Bette lag, das den Hintergrund des zuletzt betretenen Cabinets ausfüllte. Der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kriegsgegeschichten
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_611.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)