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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Anstrengung und trotz des größten Lärmens der Treiber, durch die Linie derselben hindurch und kommt dann nicht vor den Schuß.

Ein Theil des Waldes, der District Nieznanow, ist mit so dichtem Gestrüpp und Unterholz bedeckt, daß ein Eindringen in denselben für ein menschliches Wesen geradezu unmöglich ist. Dieser District dient dem Wilde gewissermaßen als Remise, das heißt: es zieht sich hierher zurück, wenn es verfolgt wird. Hier ist in Folge dessen also die eigentliche Wildkammer des Bialowiczaer Waldes, und wenn große Jagden veranstaltet werden sollen, so sucht man das Wild aus diesem Zufluchtsorte durch alle nur erdenklichen Mittel, wie vieles Schießen, Feueranmachen etc. etc., herauszubringen, um es sodann dem eigentlichen Schauplatze der Jagd zuzutreiben.

Die Jagd auf Bären geschieht gewöhnlich in der Art, daß einige Jäger mit Hunden, womöglich nach einer „Neuen“, d. h. nach frisch gefallenem Schnee, den Bären aufspüren, ihn durch die Hunde zum Stehen bringen und dann ihm die tödtliche Kugel zusenden. Eine Gefahr ist nur selten mit dieser Jagd verknüpft, da selbst bei einem schlechten Schusse der Bär gewöhnlich lieber das Weite sucht, als sich gegen seine Angreifer zur Wehre setzt. Thäte er dies aber auch, so ist es dennoch bei einiger Gewandtheit durchaus nicht schwer, sich vor den Verfolgungen des gereizten Thieres zu retten und den rechten Augenblick wahrzunehmen, um ihn mit einem besser gezielten Schusse zu erlegen.

Die Auerhahn-Balz, welche hier sehr großes Vergnügen gewähren müßte, ist den Jägern von Bialowicza völlig unbekannt. Dieser edle Vogel wird nur bei zufälligen Begegnungen geschossen, und müßte sich demnach bis in’s Unendliche vermehren, wenn nicht, wie allbekannt, die Auerhenne eine der dümmsten und ungescheidtesten Mütter wäre, welche weder die Eier, auf denen sie brütet, noch die jungen Vögel gegen ihre vielen Feinde zu schützen und zu vertheidigen weiß. –

Das edle Waidwerk hat seine Glanzzeit hinter sich! Noch vor hundert Jahren wurde dasselbe mit weit größerer Pracht und bedeutungsvollerem Ernst betrieben, als es heutzutage der Fall ist. Der Wald von Bialowicza hatte seine Glanzepoche zu der Zeit August’s III., Königs von Polen, der bekanntlich ein leidenschaftlicher Jäger war. Auf seinen Befehl und in seinem Beisein fanden daselbst die größten und berühmtesten Jagden statt. Schon Monate vor dem Termine zum Beginn einer solchen Jagd wurden viele Tausende von Leibeigenen aufgeboten, um das Wildpret von allen Seiten des damals noch viel bedeutenderen Waldes nach dem zur Jagd bestimmten Districte heranzutreiben. Ein Terrain von wenig hundert Morgen beherbergte dann am bestimmten Zeitpunkt eine unglaubliche Anzahl des verschiedenartigsten Wildes. Dasselbe wurde hier zuerst „eingelappt“, d. h. der ganze Ort wurde mit Stricken, an welchen Lappen nur lose befestigt waren, die sich beim geringsten Windzuge hin und her bewegten, umschlossen. Dies genügt, um das scheuere Wild, für einige Zeit wenigstens, von dem Durchgehen zurückzuhalten. Hinter diesen Lappen stellte man die Jagdnetze, starke, von Hanf geflochtene, acht Fuß hohe Netze mit großen Maschen, welche an fest eingegrabenen Pfählen befestigt wurden. Beide Einhegungen reichten aber noch nicht hin, um den Bison für längere Zeit festzuhalten. Der ganze Raum wurde daher schließlich noch mit einem hohen und festen Holzgatter umfriedigt. Brincken, welcher sich eine solche Jagd von einem Augenzeugen beschreiben ließ, erzählt, daß dicht vor den Umhegungen eine Art von Pavillon errichtet worden war, in welchem der König mit den vornehmsten seiner Gäste Platz genommen hatte. Etwa zwanzig Schritte von diesem Pavillon entfernt war eine Lücke in den Umhegungen gelassen, nach welcher hin alles hier eingeschlossene Wild getrieben wurde. Nur die Mitglieder der königlichen Familie waren mit Büchsen versehen und schossen. Die Königin erlegte zwanzig Bisons und fand noch so viel Zeit und Seelenruhe, sich die Pausen durch Lectüre zu verkürzen. Sie fehlte nicht ein einziges Mal. Eben so gut schoß der König selbst. Sobald ein Bison stürzte, bliesen die Piqueure auf ihren Halbmonden Fanfaren. Nach der Jagd wurde das Wildpret gestreckt, d. h. nach Gattung und Größe neben einander am Erdboden ausgebreitet, worauf es von dem ganzen Hof und allen Anwesenden unter schmetterndem Hörnerklang besichtigt wurde. Alsdann wog man es und vertheilte es unter die Bauern. Zur Erinnerung an diese Jagd, welche eine der ergiebigsten gewesen zu sein scheint, ließ der König ein Denkmal in der Nähe des Jagdschlosses Bialowicza errichten.

In ganz früher Zeit – das darf hier wohl noch eingeschaltet werden – jagte der gemeine Mann den Bison zu Fuß, mit Lanzen. Zwei Menschen genügten hierbei. Der Eine ging dem Bison, sobald die Hunde denselben gestellt hatte, mit eingelegter Lanze kühn zu Leibe und suchte ihm einen tödtlichen Stoß beizubringen; der Andere aber trachtete darnach, durch Schreien und durch Schwenken rother Tücher die Aufmerksamkeit des Thieres von dem Angreifer ab und auf sich zu lenken. Die Hunde trugen das Ihrige zu dieser Jagd bei, und in den allermeisten Fällen gelang die Erlegung des wüthenden Bison. Sigismund der Große von Litthauen, gest. 1440, ließ einen Verbrecher ganz in rothe Stoffe kleiden und in einem Circus mit einem eingefangenen Bison kämpfen, welcher sein unglückliches Opfer trotz der heldenmüthigsten und verzweifeltsten Gegenwehr bald übermannte und zerstampfte.

Um einen Bison lebendig einzufangen, bediente man sich des Mittels, daß man eine junge, schlanke und biegsame Birke mit ihrem Wipfel zur Erde bog und dort lose befestigte. Eine starke Schlinge von Draht oder Stricken wurde daran angebracht, und der Bison durch duftiges Heu oder eine sonstige „Körnung“ angelockt. Bei der ersten Berührung dieser Lockspeise schnellte die Birke in die Höhe und machte das Thier trotz der gewaltigsten Anstrengungen zum Gefangenen.

Das Resultat der heurigen Jagd am 18. October 1860 war folgendes: der Kaiser schoß 4 Auerochsen, 2 Elen, 3 Rehe, 4 Wölfe, 2 Füchse, 1 Eber; der Großherzog von Weimar 2 Auerochsen, 1 Wolf; Prinz Karl von Preußen 4 Auerochsen, 1 Wolf; Prinz Albrecht von Preußen 1 Auerochsen, 1 Dachs; Prinz August von Württemberg 2 Auerochsen, 1 Schwein, 1 Hasen etc. Das Resultat der zweiten Jagd am 19. October war: der Kaiser 2 Auerochsen, 1 Kalb, 6 Damhirsche, 1 Dachs, 1 Fuchs, 1 Hasen; der Großherzog von Weimar 1 Auerochsen, 2 Wölfe, 2 Rehe, 1 Sau, 1 Ueberläufer; der Prinz Albrecht 1 Keiler, 1 Dachs; der Prinz August 1 Schwein, 1 Wolf und anderes Wild; der Prinz von Hessen 2 Auerochsen, 1 Sau etc. Im Ganzen an diesem Tage: 13 Auerochsen, 8 Damhirsche, 9 Rehe 7 Sauen, 3 Dachse, 2 Hasen, 8 Wölfe.




Reisebriefe.
Von Fr. Gerstäcker.
Nr. 1.
San Lorenzo am Pailon in Ecuador, 27. Juni 1860.     

„Sehr werthe Gartenlaube!

Deine Leser mögen auf der Karte suchen so viel sie wollen, den Platz hier finden sie nicht, und – aufrichtig gesagt – hat es Mühe gekostet, bis ich ihn selber gefunden habe. Merkwürdig bleibt es aber doch, wie sich die Verhältnisse der Menschen ändern, denn vor sieben Wochen saß ich noch gemüthlich in der wunderschönen Rosenau und im Kreise der Meinen, und jetzt – bin ich Hausbesitzer in Lorenzo in einem der entferntesten Winkel des Erdballs, sehe die Fluth vor meiner Thür – eine Thür habe ich eigentlich nicht – steigen und fallen – koche mir meinen eigenen Kaffee, fange mir meine eigenen Fische, und thue genau so, als ob ich auf der ganzen Welt keinen Menschen weiter hätte, der mich nur im Geringsten etwas anginge.

„Aber wo ist denn Lorenzo?“ – Das will ich Ihnen sagen. San Lorenzo ist genau der nämliche Fleck, den Du vor noch gar nicht so langer Zeit so ganz entsetzlich als „Neu-Deutschland“ herausgestrichen hast, verehrte Gartenlaube, und um mir die Sache einmal selber mit anzusehen, bin ich eben hierhergegangen. Daß ich mir dabei eine ganz besondere Suppe eingebrockt, die es Monate lang gebrauchen wird auszuessen, ist eine Privatsache. Jedenfalls bin ich in das tollste Leben, das ich jemals geführt, mit beiden Füßen wieder mitten hineingesprungen, und das Einzige,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_744.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2021)