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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

des Rheines und der Lippe so geschwollen, daß sie, die gewohnten Ufer verlassend, sich über die Wiesensfläche ergossen und nur eine höher gelegene Stelle und einen schmalen Streifen Landes, der zu ihr hinführte, frei ließen. Dorthin marschirte die Truppe. Auf der Höhe angekommen gebot der Führer Halt, mit dumpfer Stimme, als fürchte er sein Geheimniß zu verrathen. Die Soldaten ergriffen schweigend ihre Hacken und Schaufeln und wühlten in der weichen Erde. – Das Räthsel der verschlossenen Thore, das mich einige Stunden zuvor mit ahnendem Grauen erfüllt, war gelöst; die Antwort, die mir der alte Sergant verweigert, gab mir die Arbeit der Soldaten. Sie gruben drei Gräber – Gräber jedenfalls für Opfer des napoleonischen Despotismus. Ein banger Schauder machte mich beben. Unwillkürlich mußten mir die Heldenmüthigen elf jungen Officiere von Schill’s Corps einfallen, die, zu Stralsund nach verzweifeltem Kampfe gefangen, in Wesel des Urtheils harrten. Noch zweifelte ich, noch wagte ich nicht zu glauben, daß die Ueberhebung des fremden Tyrannen so weit ginge, deutsche Jünglinge, die, auf deutschem Boden für des Vaterlandes Befreiung die Massen führend, in ehrlichem Kampfe unterlegen waren, mit kaltem Blute zu morden. Bald sollte auch dieser Zweifel mir benommen werden.

Der Tag begann zu grauen, sodaß man wohl von weitem die düstere Arbeit aus der erhöhten Stelle sehen konnte. Landleute aus der Umgegend, Städter, die sich verspätet und gleich nur die Nacht vor den Thoren hatten zubringen müssen, kamen herbei und mehrten die traurige Gruppe. Durch ihre mitleidsvollen Ausrufungen, durch ihre leisen, zwischen den Zähnen verhallenden Flüche, erhielt ich Gewißheit.

Die Arbeit war vollbracht, der Tag brach an. Die kleine Truppe verließ den Platz und zog sich schweigend, wie sie gekommen, durch die nun geöffneten Thore in die Stadt. Wie lange hatte ich mich gefreut, die heimischen Mauern wieder zu sehen!

Wie schön hatte ich mir die Ueberraschung meiner Lieben ausgemalt! Und nun zog ich ein in meine Vaterstadt in düsterer unheilvoller Gesellschaft, mit Thränen in den Augen, nicht Thränen der Freude, sondern des Kummers und der Wehmuth! Die erste Frage, als ich mich den zärtlichen Umarmungen meiner Lieben entwunden, galt dem Schicksale der gefangenen Officiere. Wie viel Trauriges sollte ich erfahren!

Schill’s Ende ist bekannt. Er hatte sich eben getäuscht. Noch war der Haß nicht zum Zorne, nicht zur That gereift, noch loderte nicht die Flamme der Begeisterung, die vier Jahre später die ganze deutsche Jugend freudig zu den Waffen greifen ließ. Nach kurzem, von vielen Heldenthaten geschmücktem Zuge fiel er und mit ihm Hunderte seiner Genossen im Kampfe der Verzweiflung in den Straßen der Ostseestadt Stralsund. Wohl ihnen! sie hatten nicht die Qual schimpflicher Gefangenschaft, nicht den Hohn französischer Kriegsgerichte zu erdulden. Anders und härter erging es jenen, die auf Schill’s Zuge oder bei dem Falle Stralsunds in die Hände des Feindes gefallen waren. Der feindliche General Gratien ließ die Gefangenen – 11 Officiere, 557 Unterofficiere und Gemeine und 12 Frauen – in eine Kirche einsperren, versicherte dabei aber, daß ihnen kein Leid geschehen solle. Am 10. Juni zog Gratien ab, und sämmtliche Gefangene wurden nun nach Braunschweig gebracht. Hier zeigte sich das Mitgefühl der Einwohner zu den tapferen Landsleuten in hohem Grade; manchem der Unglücklichen wurde zur Flucht verholfen, bis der Gouverneur drohte, bei weiteren Befreiungsversuchen die Stadt plündern zu lassen. Anfangs Juli wurden auf Befehl Napoleons die Frauen und Krüppel entlassen und über 500 Mann ohne Verhör, noch Urtheil nach Brest und Cherbourg geschleppt, um dort, an die Galeerenkette geschmiedet, Sclavenarbeit zu verrichten. Ueber vierzehn Unterofficiere und gemeine Soldaten wurde aber schon zu Braunschweig Kriegsgericht gehalten. Auf Napoleons ausdrücklichen Befehl mußten Deutsche über die deutschen Tapferen, meist Preußen aus dem Magdeburgischen und Halleschen, zu Gerichte sitzen und sie zum Tode verurtheilen, „weil sie als westphälische Unterthanen die Waffen gegen ihr Vaterland (!) getragen hatten.“ Auf drei Tage, 18., 20. und 22. Juli, vertheilte der Befehl Napoleons die Hinrichtung, damit die blutige Sache um so mehr Eindruck mache auf das unter das französische Joch nur mit Zähneknirschen sich beugende Volk. Auf einem wüsten sandigen Platze vor dem östlichen Thore der Stadt fielen sie unter den meuchlerischen Kugeln der französischen Schergen.

Die elf zu Stralsund gefangenen Officiere aber wurden von Braunschweig zuerst nach Cassel, von da nach Frankreich geschleppt und dort kurze Zeit in mehreren Gefängnissen der Mosel und Somme festgehalten; von hier aus sollten sie nach Wesel gebracht, um, wie man ihnen vorspiegelte, den preußischen Behörden überliefert zu werden. Die französischen Soldaten, welche sie auf ihrer traurigen Reise von Festung zu Festung begleiteten, von deren edler muthiger Haltung gerührt und wohl sich schämend, Schergen an Kämpfern der Freiheit machen zu müssen, bewachten sie nur schlecht und boten ihnen häufig Gelegenheit zur Flucht. Die Unglücklichen verschmähten dies, denn nie, glaubten sie, werde der Feind so ehrlos sein, Männer als Verbrecher zu behandeln, die für ihr Vaterland gestritten. In Montmedy theilten sie eine Weile mit zwei andern Officieren des Schill’schen Corps, die schon vor der Katastrophe zu Stralsund, bei dem Treffen zu Dodenkorf in Feindes Hände gefallen waren, das Gefängniß. Einer von diesen erfuhr von einem Knaben, daß man die eilf anderen Officiere nicht an die Behörden ihres Vaterlandes abliefern, sondern von einem französischen Kriegsgerichte aburtheilen und erschießen lassen werde; er theilte ihnen dies mit und beschwor sie, jede Gelegenheit zur Flucht zu benutzen. Vergebens; die Verblendeten achteten nicht auf seine Warnung, sie hielten das ihnen drohende Geschick für unglaublich, ja einer derselben, Leopold Jahn, Gemahl einer Reichsgräfin von Papenheim, ließ sich in der festen Zuversicht, daß seine hohen Verwandten, die großen Einfluß am bairischen Hofe besaßen, für ihn und seine Cameraden sich verwenden würden, und sie so auf gesetzliche Weise ihre Kerker verlassen konnten, von seinen Cameraden das Ehrenwort geben, nicht zu entweichen. Kurz nach ihrem Wiedereintritt in deutsches Gebiet wurden sie in Geldern in ein schlechtes baufälliges Gefängniß gebracht, der Aufseher desselben, von den patriotisch gesinnten Einwohnern gewonnen, verlor in ihrem Kerker absichtlich die Gefängnißschlüssel, doch als er des Morgens später als gewöhnlich wiederkam, empfing er verwundert und erschrocken zugleich aus den Händen seiner Gefangenen die verlorenen Schlüssel.

„In der Citadelle von Wesel wird man keine Schlüssel mehr verlieren,“ bemerkte er und erhielt hierauf die männliche Antwort: .. „Das festeste Schloß ist unser gegebenes Wort.“

Mitte August kamen die Gefangenen nach Wesel, wo sie sofort auf der Citadelle in engste Haft genommen wurden. Der Gouverneur von Wesel, Divisionsgeneral Dallemagne, setzte sofort die militärische Specialcommission zusammen, welche die Untersuchung führen und das Urtheil fällen sollte. Mit Mühe gelang es ihm, einen Präsidenten für das Blutgericht zu finden. Zuerst bestimmte er hierzu den Befehlshaber der Portugiesen, die sich in Wesel befanden, dann den Bataillonschef Jarin, Beide aber meldeten sich krank. Die Specialcommission versammelte sich zum ersten Male Anfangs September im Saale der Citadelle, die Gefangenen wurden diesmal nur um Namen, Geburtsort und Dienstzeit gefragt. Ein Herr von Brinken, der dabei als Dolmetscher fungirte, sah bei dieser Gelegenheit das Decret Napoleons wegen Verurtheilung der elf Officire, welches der Greffier der Commission wohl absichtlich in der Stube des Gefangenwärters hatte liegen lassen, es lautete: „Die elf Officiere des Schill’schen Corps, welche mit den Waffen in der Hand gefangen wurden, sollen zu Wesel vor ein Kriegsgericht gestellt, als Räuber behandelt und gerichtet werden.“ So war also deren Tod schon beschlossen, bevor noch die trügerische Form, in der sich die Gewalt mit dem Scheine der Gerechtigkeit umhüllen wollte, ausgespielt war. Der Capitain-Rapporteur Carin vom 21. Regiment leichter Infanterie führte die weitere Untersuchung. Von dem Muthe und der Jugend der Gefangenen gerührt, legte er ihnen im ersten Verhöre nur Fragen vor, die ihre militärische Stellung betrafen, und machte einen für sie günstigen Bericht, auf den hin kein Todesurtheil gefällt werden konnte. Der Präsident des Gerichtshofes aber, getreu dem Befehl, daß die Gefangenen für schuldig befunden werden müßten, wies diesen Bericht zurück und trug dem Capitain-Rapporteur auf, die Untersuchung wieder zu beginnen und den Officieren die Frage vorzulegen, „wo Schill das Geld hergenommen habe, um während des Zuges seine Truppen zu bezahlen.“

Die Officiere konnten nicht leugnen, daß sie beim Durchzuge durch fremde Gebiete im Königreiche Westphalen und im Mecklenburgischen auf Schill’s Befehl öffentliche Cassen weggenommen hatten. Das war genügend, um sie zu verurtheilen, darum wurde auch auf dieses Geständniß hin sogleich die Voruntersuchung geschlossen.

Sobald die Gefangenen erfuhren, daß man sie als Räuber

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_006.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)