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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


Cameraden trat, fand ich sie im Gespräch mit dem Doctor Helmreich, der einigen von uns ziemlich befreundet war. Er hatte eben erst von dem Morde erfahren, da er seit gestern über Land gewesen, und sah sehr ergriffen aus, obgleich er zu Schenk in keinem näheren Verhältniß gestanden. „Lieber Gott,“ sagte er eben, „das muß mich wohl um so mehr berühren, da ich, bis mein Onkel starb, fast mehr in dem „hohen Hause“ als in dem meiner Eltern gewesen bin, und jeden Winkel darin – kannte, muß ich wohl sagen, denn Schenk soll ja vieles verändert haben. Wo ist das Verbrechen geschehen?“

„In Schenk’s Schlafzimmer,“ versetzte ich – ich hatte seither den Arzt unwillkürlich auf meine früheren Gedanken hin gemustert, und es war mir fast eine Beruhigung, als ich mir sagen mußte, daß jener Nachtgänger anscheinend bedeutend größer gewesen – „in dem rechts gelegenen Eckzimmer des obersten Stocks.“

„Er sah überrascht aus. „Das ist seltsam,“ sprach er mit einer raschen Handbewegung, und dabei bemerkte ich, daß seine Handschuhe mit Knöpfen verschlossen waren. „Das ist dasselbe Zimmer, in welchem meine Tante so überraschend schnell gestorben sein soll, und das mein Onkel nie wieder von jemand betreten ließ. Ich bin zum ersten Mal hineingekommen, als meine Mutter nach des Alten Tode es öffnete, um die für die Auction bestimmten Sachen aufzulesen, und ich erinnere mich noch heut, nach fast vierundzwanzig Jahren des unheimlichen Eindrucks, den das lange verschlossene Gemach auf den muntern Knaben machte.“

„So redeten wir noch eine Weile weiter, bis der Commandeur um die Ecke kam und wir uns daher von dem Doctor abwenden mußten. Dann zog die Wachparade auf, der Appell wurde abgehalten, und als ich eben fortgehen wollte, sagte mir der Feldwebel, daß Sinefsky mir etwas zu melden habe. Und was meint ihr, daß es war? – „Herr Hauptmann,“ sprach er ernst, „wenn der Doctor Helmreich der vorhin mit den Herren Officieren redete, einen Mantel umhat, muß er dem Mann in der Nacht gleichen. Und wie er, als der Herr Oberstwachtmeister kam, davon und über den Markt strich, das hat mich auch an jenen erinnert. Es war derselbe ausgreifende Gang.“

„Dummes Zeug, Jäger,“ versetzte ich verdrießlich über diesen mit dem meinen übereinstimmenden Einfall, „und kein Wort mehr davon! Geben Sie Achtung, aber denken Sie sich nichts aus!“ Und ich ging wieder zum Trauerhause, um endlich die arme, alte Mutter zu sehen, die meinen Besuch um diese Zeit gewünscht hatte. Ich war – ich wiederhole es – verdrießlich über des Menschen Rede, über meine eigenen Gedanken, aber los ward ich beides darum doch nicht. Im Gegentheil, es beherrschte mich so, daß ich, als der Arzt mir unterwegs wieder begegnete, unwillkürlich den Kopf nach ihm umwandte und ihm prüfend nachschaute. Es war Thorheit, nichts als Thorheit!

„Von dem, was ich in der nächsten Stunde mit der trostlosen alten Frau gesprochen, gelitten und – weßhalb sagt’ ich’s nicht? – geweint, davon hab’ ich nicht zu reden. Das gehört zu meinen allertrübsten Erinnerungen. Trost wußte ich ihr nicht zu geben, als meine tiefe schmerzliche Theilnahme, und was konnte ihr die am Ende nützen! Der Sohn ward dadurch auch nicht wieder lebendig.

„Es währte eine geraume Zeit, bis wir zum einigermaßen ruhigeren Sprechen kamen, und auch dann brach noch jeden Augenblick ihr Schmerz heiß hervor, so auch, als sie von den Fragen und Nachforschungen des Untersuchungsrichters sagte, obgleich sie begriff, daß man ihr dieselben nicht ersparen konnte, und daß man andrerseits alle mögliche Schonung gegen sie beobachtete. „Ueber Roberts häusliches und ganzes Privatleben, wo ja der Grund dieser furchtbaren That eben so gut zu suchen sein dürfte als in seiner amtlichen Wirksamkeit, können sie freilich von niemand so viel Auskunft erhalten, wie von mir,“ meinte sie. „Ich bin auch so offen gewesen wie möglich. Aber daß sie mir meinen reinen, unschuldigen, ehrbaren Sohn mit ihren bohrenden Fragen verdächtigen, als habe er auf schlechten Wegen gehen und sein können, wie so mancher Andere, der wider Moral und Gesetz und Religion handelt und nichts heilig achtet – das möge ihnen Gott verzeihen,“ setzte sie weinend und doch zürnend hinzu: „ich kann es jetzt noch nicht, sie haben mich zu tief dadurch verletzt.“

„Aber ich verstehe das nicht,“ sprach ich kopfschüttelnd. „Wer kann denn so taktlos gewesen sein, jetzt bei Ihnen nach Roberts Privatleben zu forschen, zumal gar nichts Geheimes darin ist? Wir alle wußten ja, wie er lebte!“

„Mein theurer Hauptmann,“ erwiderte sie, die Augen trocknend, „ich sehe auch wohl ein, daß es halb sein mußte, halb nichts weniger als böse gemeint war. Aber es hat mir weh – bitter weh gethan, besonders als ich merken mußte, daß der Assessor durch meine Antworten nicht befriedigt wurde – ich weiß nicht, ob er noch irgend etwas auf dem Herzen hatte, was er mir nicht zu sagen wagte.“

„Er wollte also wissen, ob der Rath irgend eine Verbindung gehabt hätte, die ihn in Ungelegenheit hätte bringen können?“ forschte ich wieder kopfschüttelnd. Mir fielen Huber’s Worte vom vergangenen Abend ein.

„Ja,“ versetzte sie, nur über das feine und blasse Gesicht der bejahrten Dame flog eine lichte Röthe. „Ob er in Verbindung mit einer Frau gestanden, lieber Hauptmann, in einer geheimen, also in einer unerlaubten! Sagen Sie selbst, kann es für eine Mutter peinlichere Fragen geben? Und wie Sie vorhin, spreche auch ich es jetzt aus: wir alle wissen, wie er lebte. Nie hat es einen häuslicheren Menschen gegeben, und wenn er nicht hin und wieder spazieren oder einmal Abends in eine Gesellschaft ging, konnten früher besonders Wochen vergehen, ohne daß er aus dem Hause kam – in der Residenz so gut wie auch hier, ich wohne jetzt schon seit acht Jahren wieder mit ihm zusammen, wir liebten uns so zärtlich, und er wollte nie etwas von der Begründung einer eigenen Familie hören. – Ja, er lebte so häuslich,“ fuhr sie fort, „daß es mir dabei oft für seine Gesundheit, seine Geistesfrische bange wurde, und daß ich auf’s Eifrigste zuredete, als er im vergangenen Herbst anfing, jeden Abend regelmäßig ein paar Stunden in der Harmonie zuzubringen, wenn er nicht mit Ihnen oder einem andern Freunde zusammen war. Er brauchte Erholung, und um neun Uhr war er ja auch fast immer wieder daheim, so daß mein Opfer nicht so groß. Er gab sich dann stets so heiter und innig, und wir hatten die schönsten Stunden,“ schloß sie mit überfließenden Augen.

„Diese Erklärung bestürzte mich, obschon ich nicht um die Welt der alten Frau hätte zeigen mögen, was in mir vorging. Da ich, gerade meiner eingezogenen Lebensweise wegen, wenn ich nicht bei Schenk oder er bei mir war, fast ausnahmslos jeden Abend von vor acht bis gegen zehn oder elf Uhr auf der Harmonie verbrachte, so konnte es niemand besser wissen als ich, daß der Freund nichts weniger als ein regelmäßiger Besucher des Vereinslocals gewesen war. Im Gegentheil, er erschien, auf längere Zeit und zu Abend, so selten wie kaum ein Anderer. Ich hatte bisher geglaubt, er wäre häufig um sechs Uhr etwa in’s Lesezimmer gekommen, um eine halbe Stunde lang die Zeitungen durchzusehn, dann aber wieder nach Hause und an die Arbeit gegangen, bis er um acht Uhr Feierabend für die Seinen und einen Freund oder für eine Gesellschaft machte. So hatte ich es von ihm selbst gehört, und nun erfuhr ich nicht nur etwas weit Anderes, sondern es fiel mir jetzt auch ein, daß er niemals vor halb neun Uhr zu mir gekommen war und daß er ebenso auch meinen Besuch niemals vor derselben Zeit erbeten hatte. Was hieß denn das? zeigte sich hier dennoch plötzlich ein Geheimniß? Mir kamen wieder Huber’s Worte und Andeutungen in den Sinn und seine besondere Weise dabei. Ich nahm mir vor nochmals mit ihm zu reden, Achtung zu geben oder auch geradezu zu fragen, wie es am besten scheinen mußte. Ich verabschiedete mich hierauf bald von der Mutter des Freundes.

(Fortsetzung folgt.)


Deutsche Spielhöllen.

Es ist eine hohe, heilige Pflicht der deutschen Presse, die unseligen Zustände, an denen unser Vaterland trotz aller und aller patriotischer Mahnungen noch immer leidet, unausgesetzt vor dem Tribunale der öffentlichen Meinung zu besprechen, um hier eine gründliche Abhülfe zu erzielen, da diese leider von den betreffenden deutschen Regierungen unter den jetzigen Verhältnissen kaum zu erwarten sein dürfte. Bereits zu wiederholten Malen haben zwar vaterländisch gesinnte Männer in deutschen Volkskammern wie


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_020.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2018)