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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

konnte sich Beatrice seinen Nachstellungen nicht anders entziehen, als dadurch, daß sie selbst zu dem schrecklichen römischen Dolchmesser ihre Zuflucht nahm. Ihre Stiefmutter und ihr Bruder Giacomo boten dem unglücklichen Mädchen ihre Hülfe an, und so fiel der Vater unter der Hand seiner eigenen Tochter. Beatrice, ihre Mutter und ihr Bruder büßten ihre That mit dem Leben. Im September 1599 fielen ihre Köpfe unter dem Schwerte des Henkers. Wenn ich im Palaste Barberini vor dem Bilde Beatrice’s stand und diese reinen, engelhaften Züge anschaute, wenn mich dies durch dunkle Wimpern halbverschleierte Auge so traurig anblickte, so konnte ich es mir nicht möglich denken, daß in diesem so mädchenhaften Kopfe mit den sanften, frommen Zügen ein Mordgedanke aufkommen konnte, und immer verließ ich mit Trauer im Herzen über ein so furchtbares Schicksal den Saal.

Jahrhunderte sind seit jener That an dem alten Palast vorübergehuscht. Das Drama, das in seinen geschwärzten Mauern spielte, wäre längst verklungen, wenn nicht der Dichter und der Maler es im Gedächtnisse der Menschen festgehalten hätten. Aber ein anderes Drama, nur ein einzelner, geringer Theil in der großen Schicksalstragödie, welche die Regierung der Päpste in der Entwickelungsgeschichte des unglücklichen italienischen Volkes spielt, wird seit Jahrhunderten täglich vor ihm und in seiner nächsten Umgebung ausgeführt, ein Drama voller Schmerzen und Thränen, voll barbarischer und roher Handlungen. Der Palast Cenci steht am Eingange des Ghetto, des Judenviertels von Rom, und von allen unglücklichen Bewohnern der römischen Staaten sind die Juden die unglücklichsten, die rechtlosesten, die Paria’s unter den Tausenden von andern Rechtlosen. Ein Paria unter den Unterthanen des Papstes! Das Schreckliche in diesem Worte versteht nur der, der die römische Regierung kennt! Die Tausende von Flüchtlingen, welche kürzlich mit Hinterlassung ihrer Habe aus den Provinzen, in denen französische Soldaten die Autorität des Papstes wieder herstellten, in die Marken und nach Umbrien über die Grenze eilten, bilden zu meiner Behauptung einen entsetzlichen Commentar. – Die Juden haben in Italien eigentlich immer eine schlechte Zeit gehabt. Mit dem Auftreten des Christenthums begannen ihre Verfolgungen; aber diese Verfolgungen steigerten sich bis zum Raffinement der ausgesuchtesten Mißhandlungen, als aus den Trümmern des untergegangenen Römerreiches das Banner der päpstlichen Tiara mit der Devise: „Extra ecclesia nulla salus“ wehte. Papst Paul der Vierte ließ in allen römischen Städten, in denen Juden wohnten, den winkeligsten, schmutzigsten und ungesundesten Theil derselben durch Mauern absperren, befahl den Juden, nur da und nicht anderswo zu wohnen, und schloß die Thore dieser Ghetto’s vom anbrechenden Abend bis zum andern Morgen. Jeder Jude mußte als Abzeichen einen gelben Hut tragen, und dieser gelbe Hut gab die Unglücklichen allen erdenklichen Verfolgungen und Beschimpfungen Preis. Bei den Carnevalsspielen auf der Piazza Navona und auf dem Corso wurden die Juden gezwungen, bei dem Wettrennen der Büffel, Pferde und Esel mitzulaufen. Die Faschingsluft reizte das Volk zu den zügellosesten Ausschweifungen gegen die Unglücklichen, und die Cardinäle saßen auf ihren Tribünen und ergötzten sich an diesen die menschliche Vernunft und die Christusreligion, die Religion der Humanität und der Liebe, schändenden Scenen. Sonntags wurden die Juden zum Anhören der Messe und von Bekehrungspredigten in die christlichen Kirchen getrieben. Juden prügeln, peinigen, sie tödten, sie mißhandeln, war kein Verbrechen. Juden hatten kein Eigenthum; denn sie wurden von Zeit zu Zeit gezwungen, ihr Hab und Gut zu bestimmten Preisen zu verkaufen, widrigenfalls dieser Verkauf von Seiten der Regierung selbst vorgenommen wurde, und alljährlich mußten sie durch einen enormen Tribut von der päpstlichen Regierung die Gnade erkaufen, diese schreckliche Existenz in den römischen Staaten weiter fortsetzen zu dürfen. Doch, wird man mir sagen, ich erzähle märchenhafte Zustände vergangener Jahrhunderte; das Alles ist vorüber! Unter der Regierung Pio Nono’s, des jetzigen, schwergeprüften Papstes, sind die Mauern des Ghetto, welche dessen unglückliche Bewohner von der christlichen Bevölkerung trennen, gefallen. Ich erwidere darauf: Es ist nichts wahr; außer den grausamen Carnevalsscherzen ist die Lage der Juden in den römischen Staaten noch heute dieselbe, wie sie vor hundert Jahren gewesen ist. Unter den unglücklichen Unterthanen des Oberhauptes der christlichen Kirche sind die Juden noch heute die unglücklichsten, die Paria’s der Gesellschaft, und die heilige Inquisition in Rom hat es sich in den letzten Jahren zur besondern Aufgabe gemacht, die Juden zu verfolgen und sie auf eine ausgesuchte Weise zu martern, wenn sie dieselben auch nicht mehr auf den Scheiterhaufen bringen kann. Die Mauern und Thore des Ghetto sind freilich gebrochen; aber die heilige Inquisition hat eine Mauer geistigen und bürgerlichen Druckes um diese schmutzigen und winkligen Straßen aufgebaut, daß man bei der Entscheidung in Verlegenheit kommen möchte, welche Mauer höher und schrecklicher war, die alte steinerne, oder die neue, durch ihre Edicte und Gesetze aufgebaute Mauer. Die Juden Roms wohnen alle noch in den Winkeln des Ghetto zusammen, weil mit Christen zusammenzuwohnen und mit Christen in irgend einer Verbindung zu leben, ihnen bei den strengsten Strafen untersagt ist.

Häufig führte mich mein Weg durch jenen Stadttheil, welchen die Tiber zwischen den Brücken Ponte Sisto und Quatro Copi begrenzt. Es ist ein sumpfiger, ungesunder Moorgrund, der fast im Niveau des Tiberspiegels liegt, das ungesundeste Viertel in dem im Sommer so heißen und ungesunden Rom. Im Norden und im Süden ragen die Architrave und gebrochenen Säulen der Tempel des Marcellus und Pompejus über so enge, schmutzige und elende Gassen empor, daß selbst die Gassen des St. Gilesviertels in London und die jetzt verschwundenen Straßen in Paris, in denen Eugen Sue’s einst so berühmter Roman spielte, dagegen licht und freundlich zu nennen sind. Mehrere Gassen sind so eng, daß kaum zwei Menschen nebeneinander gehen können. Ich blickte in sie hinein: ein entsetzlicher Dunst, ein höllischer Qualm, will ich lieber sagen, schlug mir entgegen, und in diesem schmutziggelben Qualm lagen halbnackte Kinder in zerrissenen Lumpen auf dem Pflaster, und verkümmerte Gestalten krochen an den Häusern umher. Ich kroch nun auch in die Gasse, und schaute rechts und links in Höhlen hinein, in denen ich nicht eine Stunde hätte leben mögen. Alle die verkrümmten Gestalten in ihren Lumpen streckten mir die magern Hände entgegen, und baten um einen halben Bajocch. Es waren nicht die privilegirten römischen Bettler, welche die Regierung des Papstes täglich zu vielen Hunderten mit ihren aussätzigen Gliedern, mit ihren ekelhaften Beulen und Wunden auf dem Corso und auf der Via Condotti auf die Straße setzt, um das Mitleid aller Vorübergehenden in der widerlichsten Weise anzuflehen – eine in einem civilisirten Lande unerhörte Sitte –; es waren nicht die braunen Bettelmönche, welche mit ihren klappernden Büchsen in Rom sogar in alle Häuser dringen; nein, es waren die Paria’s unter den Paria’s des Judenviertels. Keine Straße in St. Giles hat ähnliche Gestalten aufzuweisen; die Bettler Roms sind gegen diese Bettler vornehme, reichgekleidete Herren.

Lange konnte ich es in diesem Dunst, in dieser Enge, mitten unter diesen Elenden nicht aushalten; ich warf ihnen alle Kupfermünzen zu, welche ich in der Tasche hatte, und ging in eine andere Straße, welche die enge Gasse rechtwinklig durchschnitt. Sie war die Handels- und Verkehrsstraße des Viertels. Alle unteren Räume der Häuser bestanden aus Läden, Magazinen und Arbeitsstuben; aber die Straße war nicht so breit, daß ein Wagen durchfahren konnte. Alle Läden und Magazine waren enge, halbdunkle Räume, in welche das Licht der Sonne nur von einer Seite, durch die Thüre und durch die Verkaufsfenster hineinfiel. Die Wände derselben bestanden aus den nackten Steinen, denen der Rauch, der Dunst und der Schmutz dasselbe dunkle Colorit gegeben hatte. Drinnen saßen sie, Männer und Frauen, lauter jüdische Physiognomien, und stopften und flickten die alten Kleider und die zerrissenen Lumpen, welche an den Schaufenstern – wenn man viereckige, große Löcher ohne irgend eine Fensterbekleidung so nennen kann – zum Verkauf ausgehängt wurden, und schwatzten und redeten, und aus jedem dieser Löcher rief es mir ein „Signor, commanda, Signor!“ entgegen. Zum ersten Mal hörte ich den wohltönenden römischen Dialekt mit jüdischem Accent sprechen. Vor den engen, schmalen Thüren hockten Judenknaben und Judenmädchen auf den Steinen, und alle möglichen Lumpen und Kleiderfetzen Roms waren an den Mauern ausgehängt und wurden den Vorübergehenden mit der widerwärtigsten Zudringlichkeit von der Welt zum Verkauf angeboten. Hie und da stand ein französischer Soldat in seinen rothen Hosen vor einem Laden und feilschte um ein baumwollenes Hemde, oder ein vornehmer, privilegirter Bettler handelte um ein paar mit Nägeln beschlagener, grober Schuhe, und die ganze Familie, welcher der Laden gehörte, stand um ihn zusammen und bemühte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_043.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)