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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Schrei des Schreckens, wirres Durcheinanderrufen oben auf dem Kamm der Mauer begleitete die entsetzliche That; fast in demselben Augenblicke, wo sie geschah, war ein Officier mit einer Patrouille von der Wache zur Stelle gekommen, und zehn Arme und Hände griffen von dem Kamme der Mauer herunter, um Trenck zu erfassen.

Dieser wußte ihnen auszuweichen.

„Nur ruhig, Leute!“ rief er aus. „Ich weiß recht wohl, daß ich jetzt doch geköpft, gehängt oder gerädert werde, und mache mir deshalb nichts daraus, lieber gleich da hinunter zu springen, auf die Gefahr den Hals zu brechen oder von Euren Kugeln getroffen zu werden. Nur wenn Ihr mir versprecht, mich nicht zu mißhandeln, so komme ich selber hinauf.“

„So kommen Sie – ich werde Sie vor der Wuth meiner Leute in Schutz nehmen,“ antwortete der Officier der Patrouille, „aber kommen Sie sofort.“

Trenck warf das abgeschossene Pistol in die Tiefe hinab, dann legte er beide Hände auf den Kamm der Mauer und schwang sich empor; die Soldaten erfaßten ihn an den Armen, am Kragen, und er stand im nächsten Augenblick oben.“

„Nehmt ihn zwischen Euch, Leute,“ befahl der Officier, „Keiner berührt ihn, es wäre schade, wenn dieser Bluthund einen andern Lohn als vom Henker bekäme; angetreten, vorwärts mit ihm auf die Wache, in die Eisen mit ihm!“

Der Oberst von der Trenck schritt mit stolz aufgerichteter Haltung zwischen den Soldaten einher, Mantel und Mütze waren von ihm abgefallen, sein Haar flatterte im Nachtwinde. Als man die Bohlenthüre erreicht hatte, hinter welcher der Weg in den Hof der Citadelle hinab führte, kamen der Patrouille drei Officiere, denen Leute mit brennenden Fackeln folgten, entgegen. Der Lieutenant, welcher die Patrouille commandirte, meldete was vorgefallen.

„Das ist ja entsetzlich,“ rief einer der Herangekommenen aus, „Oberst von der Trenck! Sie sind ein Teufel in Menschengestalt.“

„So ein Stück davon,“ antwortete Trenck hohnlachend, „und dieser junge Herr hier, der die Patrouille commandirt, scheint sich dagegen für den Erzengel zu halten, der den Teufel in Ketten an den Abgrund schließt. Er will mich in Eisen legen lassen.“

„Wie Sie’s verdienen, Trenck –“

„Ich muß Ihnen bemerken, mein Herr Major,“ fiel der Oberst ein, „daß Sie nicht darüber zu urtheilen haben, was ich verdiene. Sie sind der Zweitcommandirende hier, und sind deshalb verantwortlich dafür, daß die Befehle ausgeführt werden, die über meine Behandlung an die Commandantur des Spielbergs erlassen sind. Es steht nichts darin von Schließen und Eisen, ich verlange in meine Zimmer zurückgeführt zu werden und darin zu bleiben, bis andere Befehle von Wien angekommen sind!“

Der Major schwieg eine Weile, dann antwortete er:

„Die Befehle von Wien werden nicht ausbleiben,“ und zu dem Officier der Patrouille gewendet fügte er hinzu: „Führen Sie ihn in seine Wohnung zurück, geben Sie ihm aber eine Wache von zwei Mann in sein Wohnzimmer, die ihn nicht aus den Augen läßt.“

„Wie Sie befehlen! – Marsch!“ commandirte der Lieutenant der Patrouille. Der Zug bewegte sich weiter, die Pechfackeln voraus, über den Hof der Citadelle, durch die Wohnung des Commandanten, und bis zu dem Quartier des Obersten.

Der Major hatte Trenck bis in seine Zimmer begleitet; er ließ jetzt die Wachen aufstellen und befahl die Thüre zu des Obersten Schlafzimmer offen zu halten, wenn der Letztere darin sich zurückzöge, um seine Bewegungen zu überwachen; dann ging er in den Hof zurück, um dort Leute mit Fackeln nebst einen Trupp Soldaten abzuschicken, die die Leiche Frohn’s suchen und herauf schaffen sollten. Als er dazu wieder durch den Corridor schritt, welcher mit der Commandantur durch einen schmalen Gang correspondirte, kam ihm aus dem letzteren, in höchster Aufregung und Angst, in flatterndem Nachtgewande Agnes Mirzelska entgegengestürzt.

„Um Gottes Willen, Herr Major!“ rief sie ihm entgegen, „stehen Sie mir Rede, was ist geschehen? was geht vor? die ganze Festung ist in Aufregung und Bewegung – die Lärmkanone, die Fackeln – Niemand antwortet auf mein Rufen – wo ist der Commandant? – wo ist mein Oheim?“

„Ich darf Sie leider nicht zu Ihrem Oheim hinüber lassen, meine gnädige Frau,“ versetzte der Major ernst und mit vor Bewegung zitternder Stimme, „es ist ein großes Unglück geschehen – fassen Sie sich – Ihr Gatte ist einen Felsenabhang hinunter gestürzt, doch wird er hoffentlich …“

„Gerechter Himmel!“ schrie Agnes in furchtbarster Angst und in wahnsinnigem Schmerze auf.

Sie wankte und wäre zusammengestürzt, wenn der Officier sie nicht aufgehalten hätte. Er winkte dem Soldaten, der ihm mit einer Fackel leuchtete, vorauszuschreiten und geleitete sie in ihre Zimmer zurück, fortwährend bemüht, ihr Muth und Fassung wieder zu geben, während sie händeringend ihn um Auskunft beschwor, wie Alles geschehen und wie das Schreckliche sich gefügt habe, ohne daß er eine ihrer stürmischen Fragen zu beantworten wußte, da er durch das Geständniß, daß Agnesens Oheim der Mörder ihren Gatten sei, die unglückliche Frau völlig zu vernichten fürchtete. Und nachdem er die junge Frau in ihre Zimmer zurück gebracht, eilte er, Fürsorge zu treffen, daß die Leiche des auf so furchtbare Weise umgekommenen Cameraden aufgesucht und, da sie durch den Sturz entsetzlich verstümmelt sein mußte, in einem entlegenen Theile der Festungsgebäude untergebracht würde; es mußte Agnes alle Möglichkeit entzogen werden, sie zu sehen. – In der That hat das arme junge Weib sie nie erblickt, hat auch nie erfahren, wie der eigentliche Hergang der That gewesen. Man hat sie glauben lassen, Trenck habe einen Fluchtversuch gemacht, bei seiner Verfolgung sei ihr Gatte durch Mangel an Vorsicht im Herunterklettern an der Felswand gestürzt und habe den Tod gefunden. Sie hat auch ihren Oheim, den Freiherrn von der Trenck nicht wieder gesehen, von seinen Lippen, deren Geständnisse sicherlich keine Schonung ihres schmerzzerrissenen Herzens gekannt hätten, nicht vernommen, was er in der Unglücksnacht vollbracht. So dringend sie verlangte, ihren Oheim zu sehen, so nachdrücklich widersetzte sich der Major ihrem Willen, indem er die Strenge der Reglements vorschützte. Der Oberst hatte einen Fluchtversuch gemacht, es mußte untersucht werden, wer ihm behülflich zur Ausführung gewesen, er durfte bis dahin Niemanden sehen!

Am andern Morgen gegen neun Uhr trat der jetzige Commandant des Spielbergs, von einem Officier und dem Auditeur begleitet, in das Wohnzimmer Trenck’s, um zum ersten Verhöre des Mörders zu schreiten. Die zwei Grenadiere, welche nach seiner Anordnung hier die Wache hatten, meldeten flüsternd, daß der Oberst noch im ruhigsten Schlafe liege. Der Major trat nichts destoweniger durch die offene Thür des Schlafzimmers. Er fand Trenck angekleidet auf seinem Bette liegen, das Gesicht der Wand zugewendet, den einen Arm schlaff niederhängend.

„Oberst von der Trenck!“ sagte der Major laut und strenge.

Der Oberst antwortete nicht.

Der Major erfaßte den Arm des Schlafenden, um ihn zu erwecken; der Arm war starr und steif. Er beugte sich über ihn, das Gesicht war erdfahl, die Augen standen offen, starr und glasig … der Oberst von der Trenck war todt!

Auf seinem Nachttisch stand eine kleine geschliffene Phiole. Der Mann, der allein auf dem Spielberg diese Phiole wiedererkannt haben würde, war nicht mehr unter den Lebenden, es war die Phiole, die Frohn in der Abtei von Engelszell gebraucht hatte, um den unbezähmbaren Trenck zu zähmen, und die dieser ergriffen hatte, um sie seit jenem Tage nicht mehr von sich zu lassen. Er hatte ein vortreffliches Mittel darin gesehen, für alle Fälle, für alle Wendungen seines Schicksals gerüstet zu sein.

So hatte er sich der Buße entzogen, welche die Strafe des irdischen Richters ihm hätte auferlegen können. Desto länger – ein ganzes Leben hindurch – währte die Buße, welche Agnes Mirzelska sich auferlegte, weil sie sich als die Urheberin des Unglücks betrachtete, durch das ihr Gatte seinen frühen und schrecklichen Tod gefunden, sie ist als Schwester in einem Kloster in Olmütz gestorben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_068.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)