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immer neue Waffen in dem Umstande, daß er doch nur fremdes bearbeitet, mithin nichts Eigenes geschaffen habe. Dies reizte den Leichtverletzlichen, nun auch einmal in selbstständiger Erfindung sich zu versuchen, und mit der verzehrenden Hast seines ganzen Wesens machte er sich sogleich an’s Werk. Kaum aber war er fertig, als er so vielen Aufregungen und Anstrengungen erlag und in eine hartnäckige, mit dem Schlimmsten drohende Krankheit verfiel. Nach fünf Monaten endlich war er gerettet, und die allgemeine Freude darüber so groß, daß zur Feier seines Wiederauftretens eine Gedächtnißmünze geprägt und mit einem Beglückwünschungsschreiben ihm überreicht ward. Am 10. November 1826 erschien endlich das Original-Zaubermärchen „der Bauer als Millionär“ vor der auf das Aeußerste gespannten Menge. Es erlebte bis zu Raimund’s Tode hundertsechsundsechzig Aufführungen nur in dem einen Theater Wien’s. Des Dichters glänzendste und phantasiereichste Schöpfung erdrückt es fast durch die Ungeheuerlichkeit der Erfindung, während die Aufführung durch die das Ganze durchdringende Gemüthswärme und eine leise Wehmuth, die darüber ergossen, jedes Herz willenlos gefangen nimmt. Raimund’s Spiel als Wurzel gehört zu den unvergänglichen Ereignissen der Theatergeschichte, sein „Aschenlied“, längst ein Eigenthum des Volkes, ließ kein Auge trocken. Die Scenen, in welchen die Jugend von dem übermüthigen Bauer Abschied nimmt und das Alter bei ihm einzieht, gehört zu dem Schönsten und Ergreifendsten, was unser Dichter aufzuweisen hat, und wie wurden sie dargestellt! Korntheuer, als Alter, verbreitete eine eisige Luft und einen durchdringenden Lazarethgeruch im ganzen Hause. Aber die Jugend erst, Therese Krones als Jugend! Kam sie mit ihrem leichtfüßigen Gefolge hereingehüpft, im leichten rosenrothen Fräckchen, der weißen Atlasweste, mit Rosen eingefaßt, auf der die silbernen Knöpfe blitzten, und dem kurzen weißkasimirenen Beinkleid, hoch in der Hand das weiße Hütchen mit den flatternden Rosenbändern schwingend: – Greise fühlten sich da mit einem Male wieder verjüngt; sah sie sich aber alsdann in der Thüre noch einmal um nach dem Verlassenen, der zum Abschiede in ihre Hand eingeschlagen, da wähnten auch die jüngsten Leute, alle Freude sei plötzlich ihnen genommen und das Alter erfasse sie schon mit kalter Faust. Der Entzückteste von Allen war der Dichter selbst. Als einige Jahre später Therese Krones starb, schnell wie sie schnell gelebt hatte, war Raimund nicht von ihrem Sarge fortzubringen und schluchzte so bitterlich, daß ein besorgter Freund ihn endlich mit Gewalt entfernte. Auf dessen Frage nach der Ursache solcher Erregung antwortete er unter Thränen: „Soll ich denn nicht weinen, wenn man meine Jugend begräbt?!“

Armer Raimund! die Jugend seines Herzens lebt ewig fort in seinen Werken, des Lebens Jugend hat ihm, niemals recht geblüht. Das Geschick des berühmten Komikers ist ein erschütterndes Trauerspiel. Hochbegünstigt vor tausend Anderen, ward das äußere Glück nicht müde, ihm zu lächeln, jeder Erfolg, den das Verdienst begehren kann, ist in fast beispielloser Fülle ihm geworden, aber innerlich war er unglücklicher als Alle, die in Noth und Elend umgekommen. Umrauscht von der jauchzenden Fröhlichkeit der lustigen Kaiserstadt, deren Ergötzen und Abgott er war, umringt von den lockendsten Genüssen, nach denen er nur die Hand auszustrecken brauchte, stand er einsam in sich selbst versunken da, in all den bunten Farbenschillern ein grauer, grämlicher Aschenmann, mit sich und der Welt zerfallen, ein bitteres Lächeln auf den Lippen und die Brust voll Wehmuth bis zum Zerspringen. Immer schon hatten er selbst und Andere unter seinen unberechenbaren, jäh wechselnden Stimmungen gelitten. Im Jahre 1820 verheirathete er sich mit Luise Gleich, der Tochter des Dichters, einer schönen und begabten Schauspielerin, aber zu nichts weniger geeignet, als in fremde Eigenheiten sich zu fügen. Nach einer kurzen, an Stürmen und Unglück überreichen Ehe trennten sich die kaum Vereinten wieder. Seitdem gewannen die finstern Mächte in Raimund die Oberhand, und er hatte nur noch selten ruhige Augenblicke, zufriedene nie mehr. Oft versank er in stumpfes Brüten, nicht selten erhitzte er sich bis zur Raserei der Verzweiflung, unablässig quälten ihn die Schrecknisse seiner eigenen Einbildung. Unter seinen Zeitgenossen ging die Sage, daß der Fluch seines Vaters, der die unbezähmbare Neigung des Sohnes verdammt, ihn durch’s Leben verfolge; dessen bedurfte es nicht, auf seinem Haupte lasteten wirksamere Verwünschungen: der Fluch eines weichen Herzens und der Fluch des Genie’s, nur von denjenigen geleugnet, die für Beides kein Verständniß haben.

Raimunds nächste Stücke: „Moisahur’s Zauberfluch“ und „die gefesselte Phantasie“ erzielten eine geringere Wirkung, als die vorigen, dagegen wurde am 17. October 1828 „der Alpenkönig und der Menschenfeind“ wieder mit schrankenlosem Jubel aufgenommen. Der Dichter hat in diesem reizenden Märchen, das aus tieftraurigem Grunde sprudelnde Ausgelassenheit emporzaubert, über seine eigene Schwarzgalligkeit zu Gericht gesessen; leider fand er für sich die Versöhnung nicht, zu der sein selbstgeschaffener Doppelgänger „Rappelkopf“ schließlich sich bekehrt, und die liebenswürdige Lehre, die er diesem von dem muntern „Lieschen“ vorsingen läßt:

„Ach, die Welt ist gar so freundlich,
Und das Leben ist so schön,
Darum soll der Mensch nicht feindlich
Seinem Glück entgegensteh’n!“

verhallte wirkungslos für den Sänger, als er sie zu Papier gebracht! Nachdem er in den letzten Jahren noch die künstlerische Leitung der Leopoldstadt geführt, schied Raimund 1830 für immer von dieser Bühne, deren Seele er gewesen, und die ihm hauptsächlich ihre unvergängliche Berühmtheit verdankt. Er ging keine dauernde Verbindung mehr ein, sondern gastirte die nächste Zeit meist im Auslande, von dessen ersten Theatern er wiederholt die dringendsten Einladungen erhalten hatte. Der auf das Aeußerste Verwöhnte fand überall den überschwenglichen Beifall der Heimath wieder, zumal in den eigenen Stücken, die, aller Orten längst zwar schon beliebt, durch des Dichters Mitwirkung einen neuen Reiz und erst das rechte Verständniß erhielten. München und Hamburg namentlich wetteiferten, ihm zu huldigen, aber auch Berlin blieb nicht zurück, dem er am 4. April 1832 als „Florian“ zum ersten Male sich zeigte. Auf diesen Erfolg legte er mit Recht einen ganz besonderen Werth. War die nordische Königsstadt auch jener Zeit noch nicht wie heutigen Tages der auserlesene Sitz des Alles verneinenden Geistes, so wehte doch schon damals eine Luft darin, deren geringer Wärmegrad die Wiener Gemüthlichkeit dem Erfrieren nahe bringen konnte, und außerdem schworen die Spreeanwohner in Allem, was Komik hieß, nur bei ihrem vergötterten Schmelka. In demselben Jahre ward ein Rheindampfer „Ferdinand Raimund“ getauft. Nach Hause zurückgekehrt brachte er am 20. Februar 1834 den „Verschwender“ in der Josephsstadt zur Aufführung. Zweiundvierzig Male hintereinander gegeben, erlebte dieses Stück noch selbigen Jahres über hundert Vorstellungeu in Wien. Des Dichters letztes Werk ist sein gediegenstes, und namentlich hat er in dem treuherzigen „Valentin“ ein Grundbild des österreichischen Volkscharakters geschaffen, das ihn und seine Landsleute für alle Zeiten ehrt. Unsere spätesten Enkel noch werden das „Hobellied“ singen, aber derer, die es, bis zu Thränen erschüttert, von Raimund singen gehört, werden täglich weniger. In seinem Schwanensang betrat er auch zum letzten Male die Breter als Schauspieler. In Hamburg war es am 10. Mai 1836. Am Schlusse stürmisch gerufen, vermochte er, wie von einer plötzlichen Vorahnung ergriffen, nur die letzten Worte seines Liedes zu wiederholen: „Da leg’ ich meinen Hobel hin und sag der Welt Ade!“

Auf seinem Landhause in dem reizenden, von ihm schwärmerisch geliebten und sogar mehrfach besungenen Gebirgsthale zwischen Pernitz und Gutenstein verlebte er eine stille Zeit der Erholung, als er eines Tages von seinem Haushunde leicht in die Hand geritzt ward. Stets zu den allerschlimmsten Voraussetzungen geneigt, überfällt ihn mit unsagbarer Angst der Gedanke, das Thier könne toll gewesen sein. Hastig machte er sich auf, in der Hauptstadt ärztliche Hülfe zu suchen. Ein Unwetter zwingt ihn, in Potenstein zu halten. Hier, in nächtlicher Einsamkeit, umtobt von dem fessellosen Rasen des Gewitters und den ungezügelten Ausgeburten seiner Einbildung, übermannt ihn die schwärzeste Verzweiflung, und er schießt sich mit einem Taschenterzerole, das er steis bei sich führte, durch den Mund. Acht Tage lang währte der Todeskampf des Unglücklichen, erst am 5. September verschied er. Seinem Wunsche gemäß ward er in Gutenstein bestattet. Ganz Wien schluchzte an seinem Sarge, den die wunderbar rührende Weise: „So leb’ denn wohl, Du stilles Haus!“ in die Tiefe hinabgeleitete. Diese des Herzens zarteste Saiten ergreifende Melodie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_087.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)