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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Als sie am nächsten Morgen in den gewohnten Kreis eintrat, schwindelte ihr. Alles schien verändert, alles von geheimnisvoller Unruhe und Unstätigkeit befangen. Sie selbst war so anders geworden seit gestern, freiwillig hatten ihre Gedanken ihre ganze Lebensrichtung umgestürzt, und es war nicht der Alp einer schweren Stunde gewesen, nein, noch jetzt im Lichte des Tages, im Angesichte der Menschen hielt ihr Wille dies Alles fest. Als sie Welly erblickte, drohte alle Fassung sie zu verlassen. Er sah, wie sie kämpfte, und zog sich gleich nach der Mahlzeit in sein Zimmer zurück, um Briefe zu schreiben, wie er hinwarf.

Seine Entfernung hob aber nur einen kleinen Theil des Gewichtes, das auf Emiliens Brust lag. Noch war ihr Mann da, dessen Blicke sie stets von Neuem erbleichen, dessen unbefangenste Worte sie zittern machten; noch waren alle die Andern da, die sie fürchtete wie argwöhnische Feinde. Um sich eine einsame Stunde zu sichern, sprach sie die Absicht aus, ihre Mappe mit einem der schönen Punkte zu bereichern, die der anmuthigen Gegend so viel Reiz gaben, und ungestört, wie man wußte, daß sie es bei solchen Anlaß liebte, schlug sie ihren Weg nach der Mühle ein.

(Fortsetzung folgt.)

Bilder aus dem Kaukasus.[1]
Nr. 1
Auf dem Bazar von Eriwan.

Nachdem wir bald in der mit Felsen wie besäeten Steppenfläche angekommen waren, deren Einförmigkeit durch hindurchgezogene Canäle und tatarische Dörfer und Gehöfte wenig unterbrochen wurde, ging es ziemlich rasch auf Eriwan, den Hauptort des russischen Armenien, vorwärts. Die Stadt selbst konnten wir wegen eines vor sie hingelagerten Felsenzuges erst sehen, als wir an das Thor gelangten, doch hielt uns dafür zuerst der als öder Kegel aufsteigende, mit ewigem Schnee bedeckte Akagös, dann aber, nachdem wir die Felsenhöhe von Eriwan erreicht hatten, der große 16254 Fuß hohe Ararat schadlos. Von der grandiosen Majestät, mit der sich dieser Bergriese aus der unabsehbaren Steppenfläche erhebt, vermag kaum ein ausgeführtes großes Farbenbild eine genügende Vorstellung zu geben. Wir halten dazu das Glück, diesen weltberühmten Bergkegel in der günstigsten Herbstbeleuchtung zu sehen, bei der allein es möglich ist, ihn bis zum Gipfel mit voller Schärfe und Klarheit zu überblicken, denn in den andern Jahreszeiten lagern entweder dichte Wolkenmassen, welche ihn wie ein ungestalteter Gürtel umgaben, um die Gegend der Schneelinie, oder es umflattern leichte, weiße Gewölle die zierlich in den Aether sich aufbauende Spitze und beeinträchtigen dadurch den Totaleindruck.

Ich hatte von dem Staatsrathe Grafen Salagub Briefe an den Gouverneur, bei dem ich wohnen sollte, und der mich auch später mit einer solchen Gastlichkeit empfing, daß er mich in Wahrheit sein Haus wie das meinige ansehen ließ. Doch während meines ersten Aufenthaltes in Eriwan trafen wir ihn nicht daheim, weshalb Tscherkow, der Flügeladjutant des Kaisers, mein liebenswürdiger Reisegesellschafter, mich zu dem Prinzen Emil von Sayn-Wittgenstein mitnahm, dem er mich ohne Weiteres vorstellte, obgleich ich noch in meinen unförmlichen Reisepelzstiefeln stak und überhaupt nicht so angethan war, wie es nach europäischen Begriffen für eine erste Staats-Visite unumgängliches Erforderniß ist. Der Empfang war trotzdem ein sehr wohlthuender und vielleicht um so mehr, je weniger das conventionelle Ceremoniell hierbei gewahrt wurde, denn auch der Fürst erschien in weiten Morgenbeinkleidern und einer rothen Jacke. Fieber und Reisestrapazen hatten mich so angegriffen, daß ich mich bald in das mir eingeräumte Schlafzimmer begab, dessen große Spiegel, Mahagonimöbel, schwere Teppiche und Vorhänge wenig an den Kaukasus erinnerten. Nur in dem Bettgestell befanden sich nach hiesigem Gebrauche keinerlei Betten, das harte Holz war Alles, worauf auch ich hätte liegen müssen, wenn ich mit Decken und Kissen nicht selbst versehen gewesen wäre.

Eriwan lernte ich bei diesem ersten Besuche wenig kennen, da ich eilte, in das nahe türkische Gebiet zu gelangen, um möglichst ungestört durch Kriegsgetümmel meine Studien zu machen. Der Fürst, Oberst des Regiments, das vor Bajaset stand, der Adjutant des Gouverneurs und mehrere Andere schlossen sich von Eriwan aus der Expedition an. Da sie zu Pferde reisen wollten, so fuhr ich in meiner Civilkleidung im Tarantast allein voraus und hatte dadurch wieder das Schicksal, Ursache einer komischen Verwechselung zu werden. Die hundert Mann Escorte nämlich, welche dem Prinzen und Tscherkow das Geleit zu geben bestimmt waren, Perser und Tataren in ihren reichen und malerischen Parade-Costümen, darunter Beys und andere Große, hielten mich für den geheimen Oberen unserer ganzen Gesellschaft und umritten auf ihren prächtig aufgeschirrten, flinken Pferden stundenlang meinen Wagen, in welchem ich mich behaglich ausdehnte. Bald kam der, bald kam jener salutirend herangesprengt, und da ich der Sprache nicht mächtig war, so mußte ich mir wohl oder übel die mir widerfahrene Ehre gefallen lassen. Auch war der Anblick der wilden, echt orientalischen Cavalcade für mich als Maler viel zu interessant, als daß ich ihn durch eine voreilige Bescheidenheit unterbrechen konnte. Der Kutscher mit dem ehrwürdig langen Barte und mein verschmitzter Kosak drehten sich wohl einmal mit halbem Lächeln nach mir um, doch wagten sie nicht den Irrthum zu heben und die mir erwiesenen Ehrenbezeigungen dem nachgehenden Fürsten zuzuwenden, dem sie ohne Zweifel viel zu lästig waren, um sie mir nicht zu gönnen.

Wir lassen das Weitere der Reise nach Bajaset unsern Gewährsmann in einer spätern Nummer erzählen und begleiten ihn dafür nach seiner Rückkehr nach Eriwan auf seinen Ausflügen durch die Stadt. Noch vor der Stadt sollte er zu einem Reisegefährten kommen, dessen Bekanntschaft ihm nützlich ward. Er erzählt:

Beim Souper wurde mir ein Armenier vorgestellt, der fließend französisch sprach, angeblich in Marseille gewesen war und, nachdem er den französischen Consul von Tiflis bis zur türkischen Grenze begleitet hatte, sich jetzt in ziemlich armseligen Verhältnissen auf dem Rückwege nach Tiflis befand. Ich nahm den armen Teufel mit in meinen Wagen, da ich mir von ihm, wenn auch nicht gerade die beste Gesellschaft, doch allerlei gute Dienste versprechen durfte. Er war der Landessprache nicht blos mächtig, sondern auch in den feineren Verkehrskünsten seinen Landsleuten gewachsen, so daß ich mit ihm reisend die Hoffnung hatte, weniger geprellt zu werden. Schon die erste Nacht war er mein Stubencamerad, und da entdeckte ich denn auch bald, weshalb manche seiner Bewegungen etwas genirt gewesen waren. „Der Zahn der Zeit hat Ihnen den Boden aus Ihren Unaussprechlichen genagt,“ bemerkte ich ihm. „Ach was!“ versetzte er mit gutem Humor auf meine Bemerkung ein gehend, „sitzen die Zähne der Zeit auf den Rücken der Kameele? Das Reisen und Rutschen auf diesem Wüstenschiffe ist schuld, ich bin leider nicht im Besitz eines besseren Paares, sonst würde ich denselben jetzt den Vorzug geben, selbst meine Wäsche ist gedunkelt, Herr Maler, aber große Geister stört das nicht.“ Damit wünschte er mir gute Nacht. Doch was mußte ich an meinem drolligen Armenier erleben, als es 12 Uhr war? Er erhob sich, zündete

  1. Wir erlauben uns, unsere geehrten Leser auf diese Fragmente besonders aufmerksam zu machen. Dieselben sind dem in Kurzem erscheinenden größeren Werke entnommen: „Acht Jahre im Kaukasus, Reiseskizzen vom Maler Paul Franken, herausgegeben von Dr. Schauenburg.“ Mit zahlreichen Originalabbildungen. – Der Reisende, ein rheinischer Künstler, hat den Kaukasus in den verschiedensten Richtungen durchkreuzt, zum Theil im Auftrage des Grafen Salagub, alle denkwürdigen Schlachtfelder für das von der russischen Krone bestellte Werk über den orientalischen Krieg zu malen, und bereitet jetzt, nachdem er vor einigen Monaten zurückgekehrt ist, die reichen Schätze seiner Skizzenhefte zur Veröffentlichung vor. – Außer diesen Reiseskizzen beabsichtigt er ein größeres Prachtwerk, eine „Kaukasus-Mappe“, in photographischen oder Farbendruckblättern zu veranstalten, das weiter dazu beitragen soll, diesen interessanten Theil des Orients, in dem der Kampf zwischen dem griechischen Kreuze und dem türkischen Halbmonde, zwischen Civilisation und Barbarei früher oder später wieder entbrennen muß, unserer genaueren Kenntniß aufzuschließen.
    Die Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_100.jpg&oldid=- (Version vom 2.9.2019)