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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

als er zum ersten Male seit ihrem Geständniß den Mann wiedersah, der das Unglück seines Lebens und Emiliens jetzige Gefahr herbeigeführt hatte, war aber zu mächtig, um beherrscht zu werden. Stammelnd und zitternd forderte er Welly auf, sich sogleich zu entfernen, indem er ihm zu verstehen gab, daß er nun Alles wisse. Wenn er auch ihr vergeben konnte, die einige Jahre hindurch die Freude seines Lebens gewesen war, die er immer nur fromm und unschuldig gekannt hatte, so vermochte er doch nicht dem Fluche zu gebieten, den sein Herz über den Urheber ihres Treubruchs heraufbeschwor.

Mit schwerer Sorge dachte er daran, was aus Emilien werden würde, wenn der Tod an ihr vorüberginge. Er kannte ihren Charakter zu wohl, um hoffen zu können, sie von ihrem Vorsatze zurückzubringen. Trotz allem Schmerz, den ihr Verlangen einer Trennung ihm bereitete, dachte er doch weit mehr daran, wie elend sie durch die Gewährung desselben werden würde, als an das Unrecht, das ihm dadurch geschah. Die ernste Richtung, die sein Charakter überhaupt hatte, die vorgerückten Jahre, in denen er Emilie kennen lernte, hatten ihn eine tiefe, ruhige Zärtlichkeit, nicht aber die feurige Leidenschaft eines Jünglings zu ihr fassen lassen. Er begriff ihre Liebe und deßhalb hoffte er auch nichts mehr, denn er fühlte, daß gerade die Unschuld und Aufrichtigkeit ihres Wesens eine eben so mächtige Triebfeder für ihren Entschluß war, als ihre Liebe. Er kannte Emiliens Gefühl für das Rechte, ihre Frömmigkeit und sagte sich, daß Alles, was er ihr vorstellen könnte, ohnmächtig sein würde, wo diese mächtigen Hebel den Sieg nicht hatten erringen können. Während er sein Auge auf der holden, leidenden Gestalt ruhen liest, gelobte der großmüthige Mann sich heilig, sich selbst zu verleugnen und sie auf dem dornenvollen Wege zu stützen, den sie gehen wollte.

Nach langen Leiden kehrte Emilie endlich zum Bewußtsein des Lebens zurück. Der erste ungewisse Blick fiel auf ihren Mann, der mit abgehärmtem Gesicht vor ihr stand und ihr, sobald er in ihren arbeitenden Zügen die wiederkehrende Erinnerung las, mit der Bitte, ihm zu vertrauen, die Lippen schloß.

Nur langsam erholte sich die junge Frau; der zehrende Wurm in ihrem Innern, die Unmöglichkeit Welly zu sehen, ein brennendes Verlangen, die Entwicklung ihrer Verhältnisse herbeigeführt zu sehen, und der Mangel an Muth, dieselbe zu veranlassen – Alles dies erschwerte es ihrer Jugend, den letzten Sieg über die Krankheit davon zu tragen. Werner’s Zartgefühl sagte ihm bald, daß es besser sei, das Siegel zu brechen, das auf ihrem gemeinschaftlichen Elend lag, und er theilte ihr auf die schonendste Weise die Vorschläge mit, die er sich zur Herbeiführung ihrer Scheidung überlegt hatte.

Der edle Mann wollte nicht, daß sie die Trennung begehren und ihm dadurch die Möglichkeit rauben sollte, ihre äußere Zukunft einigermaßen sicher zu stellen. Er schlug vor, sie möchte auf längere Zeit zu ihren Eltern reisen, worauf er dann in einigen Monaten unter der Klage, daß sie sich weigere in sein Haus zurückzukehren, auf Scheidung antragen wolle. Auf diese Weise hoffte er ihren bis jetzt noch völlig unangetasteten Ruf zu retten und Mangel und Entbehrung von ihr fern zu halten.

Emilie war von der Großmuth ihres Manneü in einem Grade erschüttert, daß in dieser Stunde die Vorwürfe, die sie sich machte, über alles Andere den Sieg davon trugen. Hätte Werner sie jetzt angefleht zu bleiben, sie würde in der Stärke ihrer Dankbarkeit nicht den Muth gehabt haben, noch einmal Nein zu sagen.

Aber er schwieg. Gerade in dieser Stunde, wo er die gewaltige Aufregung ihres Innern sah, wo sie, durch körperliche und geistige Leiden geschwächt, unter der Last ihrer eigenen Vorwürfe sich beugte, schien es ihm unedel, ein Opfer zu fordern, das er vielleicht erhalten, aber nicht einem freien Entschlusse, sondern der Uebermacht ihrer Aufregung zu verdanken gehabt haben würde. Er war jetzt der Gewährende, sie trotz all seiner Schonung doch die Gedemüthigte, und nimmer wollte er von dieser Lage Vortheil ziehen. So ging der einzige Augenblick vorüber, der diese beiden Menschen, die einander werth, deren Hände einst für das Leben vereinigt worden waren, davor hätte bewahren können, sich unwiderruflich von einander zu scheiden.

Nach diesem letzten peinlichen Gespräch geschah Alles, wie es verabredet worden war. Emilie reiste unter dem Vorwande, ihre noch wankende Gesundheit zu befestigen, nach B. zu ihren Eltern. Werner hatte schon vor ihr Wien verlassen, unter der Angabe, eine Geschäftsreise machen zu wollen. Er ging, ohne von Emilie Abschied zu nehmen, die Aufgabe schien ihm zu schwer für sie Beide. Ehe die junge Frau schied, hatte sie noch eine lange Unterredung mit Welly. Sie war jedoch in einer so schweren Stimmung, Alles, was zwischen ihr und ihrem Mann vorgefallen war, drückte sie so ganz und gar darnieder, daß er kaum wagte, ihr von der Zukunft zu sprechen. In der Schwermnth, womit er die tiefen Spuren des Leidens in ihrem Antlitz betrachtete, in dem Feuer, womit er die Unendlichkeit seiner Liebe betheuerte, lag aber eine Fülle von Verheißungen, woran sie sich bemühte ihren Muth aufzurichten.

Körperlich und geistig gebrochen langte die junge Frau in ihrem elterlichen Hause an, wo sie die ganze Familie ihrethalben in der größten Aufregung fand. Werner hatte es ihr ersparen wollen, ihren Eltern die Mittheilung ihrer Entschlüsse selbst machen zu müssen, und hatte deshalb dieselben schriftlich mit der Katastrophe bekannt gemacht, die seine häusliche Existenz betroffen hatte. Mit dem ganzen Adel seines Charakters betheuerte er, daß Emilie keinen Vorwurf verdiene, und forderte ernst und bestimmt, man möge sie in einem Entschluß nicht beunruhigen, in den er selbst zwar mit Schmerz, aber mit ungeschwächter Achtung für seine Frau gewilligt habe.

Emiliens Eltern waren aber nicht fähig, sich zu der Höhe dieses Charakters zu erheben. Daß Emilie ihre Lebensstellung aufgeben wolle, ohne sich durch einen tiefen Fall derselben unwürdig gemacht zu haben, schien ihnen ebenso unglaublich, als daß der besonnene Werner sich einer Leidenschaft, die kindisch oder verbrecherisch sein mußte, geduldig fügen und freiwillig auf sein Recht verzichten würde. Da sie den Glauben an ihr Kind so schnell nicht verlieren konnten, wälzten sie einen schweren Vorwurf auf Werner und beschuldigten ihn, irgend eine Unvorsichtigkeit Emiliens zu einem tadelnswerthen Zweck zu benutzen.

In dieser Stimmung fand Emilie die Ihrigen, und als sie aus allen sie bestürmenden Fragen die Beschuldigungen herausfand, die man auf ihren Gatten warf, bekannte sie in der Wärme ihrer Bestürzung Alles, was sie verschuldet, was sie gefordert und er so großmüthig gewährt hatte.

Nun aber wendete sich die Anklage mit doppelter Gewalt gegen sie. Ihre Mutter, die auf ein tadelloses Leben zurückblicken konnte, nannte sie in der ersten Aufwallung ein verlorenes Geschöpf; ihr Vater war außer sich darüber, daß sie ihrer schönen, gesicherten Stellung entsagen wollte, um in zweideutiger Lage einer tadelnswerthen Zukunft entgegen zu gehen. Ihre Liebe, die sie wie ein Heiligthum im Herzen trug, wurde ihr zum Verbrechen gemacht, ihr Entschluß zur Scheidung wie ein Entschluß zur Entehrung betrachtet.

Zu Boden gedrückt unter diesen Vorwürfen, von denen einer sie mit immer neuem Gewichte traf – der, ihren Mann elend zu machen, fand Emilie kaum Kraft genug zu betheuern, daß ihre Zukunft nicht entweiht werden solle. Als man sah, daß Vorwürfe und Heftigkeit nichts über sie vermochten, begann man sie mit Bitten und Thränen zu bestürmen. Ihr Leben war ein fürchterliches. Stumpf ließ sie endlich Alles über sich ergehen und antwortete nur immer Nein auf jeden Versuch, sie von ihrem Vorsatz zurück zu bringen. Erst hier begriff sie die Seelengröße ihres Mannes in ihrem vollen Umfange. Er, der Gekränkte, hatte Worte der Liebe und des Erbarmens für sie gehabt, er hatte in seinem Glauben an sie nicht gewankt, während die Ihrigen sie verurtheilten. Noch in anderer Beziehung hatte sie Schweres zu tragen. Ihr Vater gerieth in den heftigsten Zorn, wenn nur Welly’s Name erwähnt wurde, und verbot ihr geradezu Briefe von ihm anzunehmen. Um nicht noch heftigere Scenen zu veranlassen, gab sie die geforderte Zusage und schrieb im Jammer ihres Herzens an Eduard, dem sie ihre Lage schilderte und ihn beschwor, für jetzt selbst auf einen Briefwechsel zu verzichten. Auf’s Neue gelobte sie ihm Treue und Standhaftigkeit.

So vergingen drei Monate, nach deren Ablauf Emilie einen Brief von Herrn von Werner erhielt, der ihr mittheilte, daß er die Scheidungsklage eingereicht habe. Von dieser Zeit an schwiegen die Vorwürfe und Bitten ihrer Eltern. Sie gaben die Hoffnung auf, das alte Verhältniß zurückzuführen, aber Emiliens Lage verbesserte sich darum nicht. Sie lebte wie eine Geächtete in ihres Vaters Hause, man ging an ihr vorüber, als wäre sie nicht da. Manchmal, wenn ihr in dieser Einsamkeit das Herz brechen wollte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_115.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)