Seite:Die Gartenlaube (1861) 131.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zu ihr sprach. Jeder neuere Eindruck erblaßte vor der lebhaften Erinnerung, die in seiner jetzigen Einsamkeit ihr Bild mit den lieblichsten Farben malte. Ihre frische, mädchenhafte Heiterkeit, die ihn in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft so entzückt hatte, ihre bei aller Zartheit so große Willenskraft, ihr Geist, ihre Unterhaltungsgabe, ihr reiches Gemüth – alles dieses wachte in tausend kleinen Zügen in seinem Andenken auf, und als endlich der rasche Wagen ihn zu ihr trug, klopfte sein Herz mit dem alten Feuer hoch auf.

Eben so glühend erregt, aber weniger freudig sah Emilie seiner Ankunft entgegen. Als sie seinen letzten Brief erhalten hatte, als ihre mütterliche Freundin mit Freudenthränen ihre Stirn küßte und ihr Glück und Segen wünschte, da hatte sie einen Moment so vollständiger Seligkeit, daß sie Alles vergaß, was sie jemals gelitten hatte. Solche Augenblicke einer erhabenen Freude geben einen Begriff und einen Vorgeschmack der ewigen Seligkeit. Das völlig befriedigte Herz fühlt, daß es einen Zustand geben muß, wo diese Regungen, die nur selten und bei manchen Menschen nie zum Durchbruch kommen, einst einen weitern Spielraum, eine gesicherte Dauer finden müssen, daß der Geist, der so übermenschlichen Aufschwungs fähig ist, im Menschenleben viele seiner besten Kräfte nicht zur Entwicklung kommen sieht. Kurz, wie immer, war auch bei Emilien dieser überwältigende Freudesturm; plötzlich fiel ein Gedanke schwer und eisig dazwischen – er wird kommen, flüsterte ihr Herz, aber wird er mich auch noch lieben? Ein erlöschender Blick in den Spiegel zeigte ihr ein verblühtes Antlitz, vor dem sie erschrak, wie vor einem Gespenst, und die begeisterte Freude, die ihr für einen Augenblick alle Schönheit zurückgegeben hatte, starb vor diesem Gedanken.

Endlich kam die Stunde, die mit so großem Herzklopfen, so mächtiger Gemüthsbewegung erwartet wurde. Da jetzt Emiliens Verbindung mit Welly nahe bevorstand, hatte Frau von Handel sie ermächtigt, ihrem Verlobten ein Zimmer in ihrem Hause anzubieten, da sie auf dem Lande wohnte, wo ein täglicher Besuch von Prag aus mit mehr Aufsehen verknüpft war, als wenn er einfach bei der gastfreundlichen alten Dame abstieg.

Als der leichte Wagen durch das Thor rollte, fühlte Emilie sich einer Ohnmacht nahe. Zitternd, mit gefalteten Händen und klopfendem Herzen, erwartete sie des Geliebten Eintreten, endlich, endlich öffnete sich die Thür, Welly stürzte herein und sank zu Emiliens Füßen. Bebend, außer sich ruhte sie in seinen Armen und drückte ihr Gesicht gegen seine Brust. Welly war gleich ihr in mächtiger Bewegung, aber als der erste Sturm ihrer Gefühle vorüber war, als sie zuerst einander Auge in Auge gegenüber standen, fuhr er zurück, er sah sie wieder und wieder an, er erblaßte und verstummte, endlich faßte er sie mit einer Bewegung der Angst in die Arme und rief: „Um Gotteswillen, meine Emilie, bist Du so krank gewesen?“

„Nein,“ erwiderte sie, indem sie schrecklich bleich wurde, „ich habe mich nur gegrämt.“

„Armer Engel,“ sagte er matt, „das war um meinetwillen, aber ich will Dir vergelten.“ Auf’s Neue überschüttete er sie mit zärtlichen Worten, mir Verheißungen einer seligen Zukunft; Emilie hörte ihm mit einer Seligkeit zu, die sie festzuhalten strebte, wie ein Armer einen süßen Traum. Es war ihre letzte glückliche Stunde.

Als sich Welly nach diesem ersten Wiedersehen allein fand, als der aufregende Einfluß der alten Erinnerungen vorüber war, fühlte er eine solche Mattigkeit, eine solche Entzauberung, daß er die Augen vor seinen eigenen Gedanken schloß, denn sie schienen ihm ein Abgrund. Was war aus diesen Reizen geworden, die ihn einst so mächtig gefesselt hatten? Kaum vermochte er aus den verblühten, zergrämten Zügen Emiliens jene bezaubernde Frau wieder herauszufinden, die er vor wenig Jahren verlassen hatte.

Mit allen Kräften suchte er diesen Eindruck los zu werden. Er richtete seine Gedanken auf ihre schrankenlose Ergebenheit für ihn, auf ihren liebenswürdigen Geist, ihr zartes, reiches Gemüth, er suchte sich zu bereden, daß das Zusammensein mit der einst so heiß Geliebten das erloschene Gefühl wieder anfachen würde, denn er war ein Mann von Ehre, und sie hatte seinetwegen ihre ganze Existenz hingegeben. Aber ach! die verlorene Illusion kam nicht wieder, und statt auf’s Neue zu erwachen, sanken seine Sympathien für Emilie mit jedem Tage mehr.

Nicht allein ihr Aeußeres fand er verändert, auch ihr ganzes Sein und Wesen. Die vollständige Isolirung, die ihr reizbares Zartgefühl ihr seit ihrer Scheidung zum Bedürfniß machte, hatte mit ihrer trüben Stimmung zusammengewirkt, um sie ganz in sich selbst versinken zu lassen. Ihre angeborene Heiterkeit war unter den tiefen Leiden, die sie getragen hatte, und unter anhaltender Kränklichkeit so ganz vernichtet worden, daß selbst Glück und Hoffnung sie nicht auf’s Neue zu beleben vermochten. Schon vor Eduard’s Eintreffen war die Furcht, seine Liebe zu verlieren, ein heimischer Gedanke bei ihr geworden, und darum vermochte sein Versuch, sie über sein Gefühl zu täuschen, nicht, sie vor den furchtbarsten Zweifeln zu schützen, als diese gefürchtete Wirklichkeit da war. Dieser nagende Zweifel machte die unglückliche Frau äußerst befangen und unsicher in Welly’s Gegenwart; sie wagte kaum ihrer Liebe Worte zu geben, obgleich sie dieselbe leidenschaftlicher empfand als je.

Mit jedem Tage fühlte der junge Mann sich unglücklicher. Er sprach von Hochzeit, von Freude und Zukunft, schon war der Zeitpunkt ihrer Verbindung festgesetzt, aber eine tiefe Bitterkeit, sogar ein aufkeimender Groll gegen die arme Emilie füllten sein Herz an. Obgleich seine Worte sie hätten befriedigen können, fühlte sie doch, wie es stand. Wenn zwischen zwei Menschen, die sich so nahe stehen, eine innere Scheidewand aufwächst, so ist das etwas Fürchterliches. Die Veränderung tritt erst so leise auf, daß sie kein Recht zu Vorwürfen oder Klagen giebt – es ist etwas, das man nicht sieht, aber fühlt, das sich, sobald man darüber sprechen will, in eigene, kränkliche Laune aufzulösen scheint. Aber das Herz läßt sich nicht bereden, ruhig zu sein, sein leiser Ruf tönt ruhelos herauf, und manchmal bricht ein scharfer Schrei hervor, der sich den Glauben erzwingt. Das eigene tiefe Herz weiß, wenn es elend sein muß, und in Emilien rief es immer lauter: Du wirst nicht mehr geliebt! Ihre Angst stieg zu einem so hohen Grade, daß sie sich zuletzt unfähig fühlte, diese Qual zu tragen. Sie faßte den Entschluß, sich um jeden Preis Klarheit über Welly’s Gefühle zu verschaffen.

Matten Schrittes, aber fest entschlossen betrat sie eines Tages Eduard’s Zimmer, um ihm zu sagen, daß sie an keine Zukunft mehr glaube, um ihm zu sagen, er sei frei. Er war nicht da. Zum Tode erschöpft, stützte Emilie sich auf seinen Schreibtisch, um ihn zu erwarten, da fiel ihr Auge zufällig auf einen angefangenen Brief und traf ihren eigenen Namen. Eine brennende Neugierde bemächtigte sich ihrer. Mit bebender Hand nahm sie das Blatt auf und las folgende Worte:

„Mein lieber Freund!

Wenn ich Dir noch nicht von hier aus geschrieben habe, wie ich doch versprach, so geschah es, weil ich in einer jener Stimmungen bin, über die zu sprechen fast noch mehr Muth gehört, als sie zu ertragen. Du weißt, mit welchen schönen Hoffnungen ich diese Reise antrat – wie wirst Du es aufnehmen, wenn ich Dir sage, daß sie alle zerstört sind! Ich habe Emilie wieder gefunden, aber wie! Verwelkt, abgestumpft, körperlich und geistig verändert bis zur Unkenntlichkeit. Und an diese Ruine muß ich mein frisches Leben knüpfen! Kaum ertrage ich den Gedanken an die Zukunft. Was könnte sie mir bieten, wäre ich frei! jetzt ist sie nur eine grausame Fessel für mich. Wenn die Ehre mich nicht bände, wenn ich noch zurück könnte – aber nein, nein, es ist unmöglich.“ – – – – – –

Als die unglückliche Frau bis hierher gelesen hatte, brach sie in krampfhaftes Lachen aus und stürzte, das Blatt in der Hand, aus dem Zimmer, aus dem Hause. Ihre Gedanken verwirrten sich, es war ihr als würde sie verfolgt, sie lief weiter, immer weiter, bis endlich Kraft und Besinnung sie völlig verließen, und ihre fühllose Gestalt am Wege niedersank.

Etwa eine Stunde später fuhr ein Reisewagen diese Straße entlang. Der Anblick einer elegant gekleideten Dame ohne Hut und Shawl, allein und ohnmächtig, in geringer Entfernung von Prag, mußte den Inhabern desselben auffallen. Sie hielten an, nahmen die junge Frau in ihren Wagen auf und brachten sie nach Prag in ein Gasthaus. Die Sorgfalt, die dort auf sie verwendet ward, brachte die Unglückliche bald wieder zu sich – kein wohlthätiger Schleier bedeckte ihr Elend mehr, mit voller Macht kehrte die Erinnerung wieder. So sehr auch Bewußtsein und Kraft sie verlassen hatten, als der furchtbare Stoß von geliebter Hand sie traf, eben so mächtig wuchs ihre Energie jetzt aus den Ruinen ihrer zerstörten Liebe empor. Mit klarer Willenskraft überdachte sie die Schritte, die sie jetzt thun wollte. Ihr empörtes Gefühl ertrug den

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_131.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)