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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

gemacht hätte, über die Lappen fiel. Der Hund folgte ihm natürlich unaufhaltsam nach; eben so ich, wobei ich mir beiläufig einzuschalten erlaube, daß das der einzige Fall gewesen, wo ich „durch die Lappen gegangen“ bin.

In tollem Laufe ging die Jagd augenscheinlich einem Teiche zu, der im Reviere lag, weshalb ich, da ich das Terrain genau kannte, auf kürzestem Wege dorthin rannte, und wirklich glückte es mir, zeitig genug dort anzulangen, um sehen zu können, wie – vielleicht dreihundert Schritte von mir – der immer noch flüchtige Hirsch durch das Geröhricht brach, um über den zugefrorenen Teich zu gehen. Schon hatte er eine ziemliche Strecke gewonnen, der Hund dicht hinter ihm her, als das Eis unter dem Fliehenden zerkrachte, daß es laut durch die stille Waldung hallte, und das Wasser hoch über ihm zusammensetzte. Aber auch jetzt noch rang der bereits Entkräftete mit unglaublicher Ausdauer um sein Leben. Indem er sich emporarbeitete, um mit den Vorderläuften Boden auf der gebrechlichen Decke zu fassen, wobei das schwache Eis immer und immer niederrasselnd unter dem Rettungsbedürftigen zusammenbrach, war der Hund herangekommen, der sich mit wüthigem Muthe in die kalte Fluth stürzte, um hier mit rasender Gier den Gehetzten zu ergreifen, was ihm auch, als der Hirsch, abermals zusammenbrechend, fast mit dem ganzen Leibe unter das Wasser kam, gelang, indem er das von ihm verfolgte, mit den Elementen kämpfende edle Thier im Genicke zu fassen bekam. Noch einmal ließ die schmerzensvolle Angst den Hochgeweihten sich emporraffen und aus den düstern Fluthen heraussteigen, wobei der Hund nicht losließ, sondern sich wie ein wilder Reiter an dem Rücken seines Opfers klammerte, das nun unter den Zähnen seines erbitterten Verfolgers mit dem Tode rang. Mit emporgehobenem Kopfe, die Lecke aus dem Geäße[1] hängend und das prächtige Geweih weit hinter sich gebogen, versuchte das sterbende Thier zum letzten Male, sich auf das Eis zu arbeiten, als der Märtyrer plötzlich nach der Seite hin zusammenbrach und, ohne sich zu regen, mit dem zackigen Schmucke oberhalb des Wassers im Eise hängen blieb, so daß sich Kopf und Hals und Vorderlauf über der Fluth befanden. Ein Büchsenschuß von einem unterdessen von jenseits herangekommenen Jäger, der als ausgezeichneter Schütze bekannt war, hatte dem Hirsch eine Kugel mitten durch das Licht[2] und das Gehirn – wie sich später ergab – geschossen und ihn von seiner Qual befreit. Dröhnend hallten die Echos des Schusses nach, als würde eine Salve über das feuchte Grab des gefallenen Waldfreiherrn geschossen.

Der Hirsch war verendet, das sah man selbst auf die Entfernung von ein paar Hundert Schritten – so weit von mir hatte die Scene gespielt – aber wie sollte man ihn nun herüberbekommen? Das Eis war zu dünn, um ein sicheres Bewegen auf demselben zu gestatten; und doch war schnelles Handeln nöthig, denn der Hund war trotz allem Pfeifen des allenthalben herangekommenen Jagdpersonals, worunter auch sein Herr, nicht abzubringen, und die Art und Weise, wie sich Wodan gebehrdete, ließ deutlich erkennen, daß er sich verbissen habe und, ohne ausgeknebelt zu werden, kaum wieder aus dem Genicke des Hirsches werde loskommen können. Wie es sich später bestärigte, lag der Hirsch, zum Glück für den Hund, in einer seichten Stelle. Die heftigen Bewegungen des letzteren, der sich loszumachen strebte, ließen indessen jeden Augenblick fürchten, daß der todte Recke vollends hinabsinken, den Hund mit unter das starre Eis ziehen und so noch im Tode das Wiedervergeltungsrecht üben könne. Einige Tollkühne wollten deshalb hinüber über das Eis, um den Hund zu retten, was jedoch von den besonneren Aelteren, unter denen auch Wodan’s Herr, nicht geduldet wurde. Leute wurden abgeschickt, um möglichst schnell Aexte zum Aufeisen und Leinen zum Herüberschaffen zu holen, während die Zurückbleibenden mit Stangen einen alten verwetterten im Eise liegenden Kahn flott machten, um ihn herauszuheben und an das der Handlung zunächst gelegene Ufer zu bringen. Hier wurde vor der Hand auch mit Stangen und Holzscheiten von dem nahen Gehau aufgeeist, um das zerbrechliche Fahrzeug vom Stapel lassen zu können, wo man dann, mit demselben wippend, weiter Bahn brach. Aber wie langsam ging das im Verhältniß zu der nöthigen Eile! Auf einmal traf die allgemeine Befürchtung zu – der Hirsch rutschte vom Eise hinab in das ihn umgebende dunkele Wasser, und mit ihm verschwand Wodan. Ein allgemeines unwillkürlich ausgestoßenes „Ach!“ folgte ihm, das jedoch sofort in Jubel überging, als der versunkene Hund, zwar mühsam und winselnd, aber gesund den Wellen entstieg und in rapidem Laufe dem erfreuten Herrn zuflog.

Heulend vor Freude, sich dann und wann die eisige Nässe aus dem Haar schüttelnd, umsprang der Gerettete den Förster, der, hätte er es nicht anstandshalber unterlassen, jedenfalls seine Sprünge erwidert haben würde. Durch das Untertauchen und das damit verbundene Wasserschlucken hatte der wahrscheinlich eingetreten gewesene Kinnbackenkrampf des Hundes aufgehört, und die Fessel, die ihn an den erlegten Gegner gebunden, war somit gelöst.

Der glückliche Ausgang der tollen Jagd hatte neues Leben unter die Jagdgenossenschaft gebracht, so daß in lustiger Weise darüber gescherzt wurde, wobei besonders Wodan’s Herr mit seiner ausgestandenen Angst herhalten mußte. Ein Treiber mußte sofort den Hund nach Hause führen, damit er nicht verschlug, während die andern Bauern sich mit dem Kahne zum Hirsche hinarbeiteten. Endlich war auch dieses Stück Arbeit gelungen, und langsam wurde nun die Beute in der eisfreien Wasserbahn dem Kahne nachgezogen, bis sie endlich am Ufer durch angebrachte Fangleinen in Triumph vollends herausgezogen ward. Bald kam Succurs aus dem Dorfe mit Pferd und Schlitten, und der Gefällte wurde auf grüne Tannenbrüche gebettet, um nach dem Schlosse abgeführt zu werden. Bei Besichtigung der Wunden, die er bekommen, stellte sich’s heraus, daß der erste Schuß ein Hohlschuß dicht unter dem Rückgrat gewesen, während die beiden andern Kugeln, die er noch im Treiben empfangen hatte, beide waidewund saßen, die vierte aber, die ihn im Wasser tödtete, wie schon gesagt, durch den Kopf gegangen war. Noch hatten die Zähne des Hundes im Genicke des Getödteten Spuren hinterlassen, als wäre er dorthin mit Posten geschossen worden.

Schon trat die Dämmerung ein und der aufgehende Mond verschönte malerisch das Jagdbild, welches der sich in Bewegung setzende Zug bot. Es war nach Sonnenuntergang empfindlich kalt geworden, so daß sich der rauchende Athem der Menschen mit dem den schnaufenden Nüstern des erhitzten und dampfenden Rappens, den ein bepelzter Bauer lenkte, entströmenden mischte. Stampfend zog der rauhhaarige Gaul den erlegten Hirsch durch den weißen Schnee, während sich letzterer mit Eis überzog, das sich auf dem nassen Haare seines Körpers bildete. Allmählich wurde es immer düsterer, namentlich im geschlossenen Walde, durch den sich das Mondlicht nur wie huschend Bahn brach, zitternd und buntschillernd fing Stern auf Stern an am klaren Winterhimmel zu flimmern, so daß bald eine der herrlichsten mondhellen und sternprächtigen Nächte über dem stillen Walde sich ausbreitete. Vorwärts ging der Troß, der mit seinen dunkeln Gestalten wie ein Leichenzug, der es ja in der That auch war, hinzog, auf engem Waldespfade oder über einsame Waldblößen, die mit dem hellen, geisterhaften Lichte des Mondes übergossen waren. Hundegebell verkündete endlich das Ziel, wohin der geweihgekrönte Todte gebracht werden sollte. Ruhig lag bald darauf das viergethürmte Jagdschloß mit seinen Wetterfahnen in düsteren Waldeswellen da. Wie ein mächtiges, vielgemastetes und gewimpeltes Geisterschiff aus dunkler, windstiller See erschien das alterthümliche Gebäude mit seiner Umgebung. Magisch erglänzten die Fenster der jetzt unbewohnten Räume im silbernen Schimmer des leuchtenden Nachtgestirns, während in einer der untersten Wohnungen, gleichsam im Zwischendecke, das Licht des alten Schloßwartes als goldenes Sternlein herüberlugte. Beim Vorüberziehen des Jagdzuges wurden dem ergrauten Insassen, der früher ein gewaltiger Jäger war, als Abendständchen die noch geladenen Büchsen abgeschossen, daß es knatternd durch die stille, helle Luft dröhnte und rollend weiter hallte. Das goldglänzende Sternlein verschwand hierauf im Fenster, um als flackerndes Licht vor dem Schloßportale zu erscheinen, wo jetzt der greise Castellan sichtbar wurde, um die erlegte Beute und davon seinen Jägerantheil,[3] welches Recht er sich von früher vorbehalten hatte, in Empfang zu nehmen. Schnaubend und stampfend brachte das müde Roß den Hirsch die Schloßrampe heran, wo ihn kräftige Arme abluden, während der helllodernde Kienspan

  1. Lecke: Zunge, Geäße: Maul.
  2. Das Licht: Das Auge; auch eine häutige Scheide, waran das Herz hängt; hier jedoch das erstere.
  3. Jägerantheil ist das Geräusch (Lunge, Leber, Herz und so viel Feist (Fett), als, ohne das Messer anzuwenden, mit den Händen aus der Bauchhöhle des Wildes gerissen werden kann.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_151.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)