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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Und hat darauf gehalten, daß die liebe Sprache in Ihrer Familie erhalten blieb!“ fiel ihr Reichardt erregt in’s Wort.

„O, da geht es schon los – preußisch oder was es sonst sein mag,“ rief die Brünette dazwischen, „aber ich muß dagegen protestiren. Wir gehen jetzt zum Piano, da ist eine Sprache, die Jeder versteht, sonst ist eine halbe Stunde später die ganze Gesellschaft uns wieder auf dem Halse!“

Reichardt warf noch einen Blick in die tiefblauen Augen, die jetzt doppeltes Interesse für ihn hatten, und verneigte sich, um die Mädchen vorangehen zu lassen, fast wirkte es aber wie ein Dämpfer auf seine augenblickliche Stimmung, als ihm hinterdreinschreitender Reichthum, welcher selbst die einfache Promenaden-Toilette seiner Begleiterinnen auszeichnete, in die Augen fiel.

Er wollte eben, den Letzteren nach, das Versammlungszimmer betreten, als ein lautes „Bst! Bst!“ in seine Ohren klang und er, sich umdrehend, den alten Musikdirigenten erblickte, der vom hintern Eingang der Halle aus ihm mit beiden Händen zuwinkte. Jetzt konnte Reichardt unmöglich gehen – übrigens begriff er auch nicht, was der Mann schon von ihm wollen konnte. Er wandte den Blick ab und folgte den jungen Damen, welche sich bereits Stühle in die unmittelbare Nähe des Flügels gezogen hatten. Kaum saß er indessen selbst vor der Claviatur und hatte prüfend eine rauschende Cadenz über die Tasten laufen lassen, als er, wie instinctmäßig, die Nähe des Alten fühlte. Er blickte auf, und da stand richtig die kleine Figur halb verborgen in der offenen Thür, energisch winkend und zur Verstärkung eine eindringliche Grimasse schneidend.

„Entschuldigung für einen Augenblick, Ladies!“ rief Reichardt, sich rasch erhebend, während das Gesicht von der Thür verschwand. Er eilte nach der Vorhalle, an deren hinterm Ausgange ihn der alte Musiker bereits erwartete. „Was giebt’s denn so Nothwendiges,“ fragte er, „daß Sie mich nicht die paar Minuten ungestört lassen können?“

„Der Donner! ich suche Sie schon seit zwei Stunden!“ war die ärgerliche Antwort, „Sie wissen doch wohl, daß Sie von den „Reels und Hornpipes“ noch keinen Begriff haben, und jede Viertelstunde benutzen sollten, um sie in die Finger zu kriegen? Bei der Art Musik hilft Ihnen all’ Ihr Blattspielen nichts; auswendig lernen heißt es, sonst thut es der miserabelste Nigger besser, und wir können uns heute Abend auslachen lassen!“

„Sie sollen nicht ausgelacht werden!“ erwiderte Reichardt mit einem halbverdrießlichen Lächeln, „zeigen Sie mir, was gespielt werden soll, und kümmern Sie sich dann um nichts weiter; aber kommen Sie rasch!“ Er sprang dem Alten, der ihm kopfschüttelnd folgte, voran die Treppe hinauf. Noch waren aber keine zehn Minuten vorüber, als er mit leichten Sprüngen wieder herabgeeilt kam und sich dem Versammlungszimmer zuwandte. Der Raum war leer; auf dem Flügel aber lagen noch die Strohhüte und Handschuhe der jungen Mädchen. Reichardt warf sich auf den Sessel vor das Instrument und ließ die geräuschvolle Einleitung eines modernen Salonstücks ertönen. Nach wenigen Minuten rauschten auch die beiden Verschwundenen wie zwei wilde Vögel in’s Zimmer. Ohne sich aber an sein Spiel zu kehren, rief ihm die Brünette schon von Weitem zu: „Was ist das, Sir? wir haben nach Ihrem Namen im Fremdenbuche gesucht und können keine Spur davon finden!“

Reichardt’s Finger erlahmten – er wußte, daß jetzt seine Rolle zu Ende war. Langsam erhob er sich. „Weshalb suchten Sie nach meinem Namen?“ fragte er und versuchte ein Lächeln, als belustige ihn die Scene, welche nun folgen werde, schon im Voraus.

„Ich wollte ihn geschrieben sehen, um ihn merken zu können – ganz einfach!“ erwiderte sie, während ihr Auge in einer Anspannung auf seinem Gesichte ruhte.

„Und ebenso einfach ist es, daß Sie ihn nicht im Fremdenbuche finden konnten, Miß. Ich bin heute Mittag mit den Musikern gekommen, werde die Ehre haben, Ihnen heute Abend zum Tanz zu geigen, und gehöre somit nicht unter die reiche, fashionable Gesellschaft, welche das Buch enthält!“ Er hatte die Worte leicht unlustig sprechen wollen, fast aber klang es wie Selbstverhöhnung dazwischen durch. Er sah, wie die Trägerin leicht erbleichte, wie dann ein plötzlicher Spott sich um ihre Lippen legte, und wartete nur auf die dazu gehörige Aeußerung, um seine Rolle mit dem nöthigen Effecte zu Ende zu bringen – nach den blauen Augen hinter der Sprecherin hatte er nicht den Muth zu blicken.

„Und wie lange treiben Sie schon das Geschäft?“ fragte die Brünette, deren Blick jetzt seine Erscheinung überflog, als betrachte sie eine Merkwürdigkeit.

„Mache erst heute den Anfang damit, Miß, hoffe aber trotzdem, daß Sie mit mir zufrieden sein werden!“

Sie schüttelte den Kopf, der Spott verschwand aus ihrem Gesichte, und die Hand auf den Flügel legend, trat sie einen raschen Schritt näher. „Sie werden das nicht thun und guten Rath annehmen, Sir,“ sagte sie bestimmt, „Sie werden es schon nicht thun, weil ich mich sonst schämen müßte, Sie als Gentleman behandelt zu haben – bei uns fiedelt nur der Neger zum Tanz, und Sie werden sich nicht selbst in eine Classe mit diesem setzen wollen!“

„Wird doch im Augenblicke nicht anders werden, Miß, so sehr ich auch begreife, wie unangenehm Ihnen jetzt unser Zusammentreffen sein muß,“ sagte er ruhig. „Ein junger Mann. der hier erst seinen Weg beginnt, hat meist nicht die Wahl, wie er seine Kenntnisse verwerthen möchte – von solchen Lagen wissen Sie allerdings nichts. Uebrigens sind wir hier nicht in Tennessee, und ich sehe nichts Entwürdigendes in der Beschäftigung –“

„Aber Sie können in anderer Weise Geld genug mit der Musik verdienen,“ unterbrach sie ihn eifrig, „warum denn gerade zu einem Wege greifen, auf dem man Sie nicht einmal kennen darf?“

„Habe’s nicht ändern können, Miß, und muß jetzt meinen eingegangenen Verpflichtungen nachkommen.“

Ihre Augen ruhten einige Secunden unruhig in den seinigen.

„Sie bleiben also dabei?“ fragte sie. Dann aber drehte sie sich wie im aufwallenden Zorne um und faßte die Hand ihrer Begleiterin. „Komm, Margaret, wir sollen nichts haben als unsere Menagerie, da belügen uns aber wenigstens die Gesichter doch nicht!“ rief sie und zog das junge Mädchen mit sich zur Thür hinaus. Reichardt’s Blicke aber waren bei ihrem Wegdrehen Margaret’s Augen begegnet, die mit einem Ausdrucke von so reger Theilnahme auf ihm ruhten, daß er den Blick warm bis in’s Herz zu fühlen meinte.

(Fortsetzung folgt.

Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.

In dem zweiten Quartal kommen außer den trefflichen Beiträgen eines Bock, Schulze-Delitzsch, B. Auerbach, Beta, Max Ring, Kossak, L. Storch, W. Hamm, Fr. Oetker, Temme, G. Hammer, Mor. Hartmann, etc. etc. noch weiter zum Abdruck:

Am Scheidewege. Letzte Novelle von Theodor Mügge – Ein Deutscher, Erzählung von Otto Ruppius (Fortsetzung) – Moderne Brunnenvergiftung – Aus den Zeiten der schweren Noth: Erinnerungen der Frau General-Lieutenantin J. von Gagern – Eine Hunde-Schau in London, von Beta – Erinnerungen aus dem schleswig-holsteinischen Kriege, von Graf A. Baudissin – Vorlesungen über verleumdete Thiere, von Carl Vogt in Genf – Eine Nachtwache im Cholera-Lazareth – Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient (Fortsetzung) – George Sand – Ein Manövertag aus den Zeiten Friedrich des Großen – Vom Hühnerhof, von Frau von Bissing Momente aus dem deutschen Befreiungskriege – Ein Ausgearteter. Bild aus dem Norden, von A. Brehm Erlebtes in Kriegs- und Friedensjahren, von Annecke, Buchhändler Palm, von Theodor Oelckers – Eine deutsche Bürgertochter. Mit Abbildung. – Reiseberichte von Dr. Gerstäcker – Zwei deutsche Märtyrer.

Auch die Deutschen Bilder – und – Scenen aus dem Leben deutscher Dichter, mit Illustrationen, werden fortgesetzt.

Leipzig, im März 1861.

Ernst Keil.  
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_208.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2022)