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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 2.
(Schluß.)

Die Elster und die sächsische Diakonissen-Anstalt – Die Bussards und die Eulen – Die Eule als fliegende Katze – Insectenfresser – Die Arbeit eines Spechts – Schwalben – Der Kuckuk und sein Ruf.

Als zweiten schädlichen Vogel habe ich die Elster genannt, und werde meine Behauptung aufrecht erhalten, selbst denjenigen Mitgliedern des sächsischen Herrenhauses gegenüber, welche der Welt einen handgreiflichen Beweis des in unserer Zeit noch herrschenden Aberglaubens gaben, indem sie eine öffentliche Aufforderung ergehen ließen, in einer gewissen „heiligen Zeit“ (wenn ich nicht irre, zwischen dem 20. December und 8. Januar) Elstern für die Diakonissen-Anstalt in Dresden zu schießen. Aus den in der „heiligen Zeit“ geschossenen Elstern brennen dann die frommen Frauen ein Pulver zurecht, das unfehlbar von der Epilepsie heilt und schon Tausende von Menschen geheilt hat. Heilige Einfalt! Ich kannte einen Apotheker in Val de Travers, der sich jährlich ein schönes Sümmchen mit einem Fallsuchtpulver aus Maulwürfen zusammenröstete; aber der Mann machte doch nicht religiösen Hokuspokus dabei, sondern nahm die Maulwürfe, wie er sie eben bekam, und wenn bei vorkommendem Mangel an Maulwürfen und starker Nachfrage dann und wann auch einige Mäuse und Ratten in seinen Brenner geriethen, so that das der Wirksamkeit der Pulver nicht den mindesten Eintrag. Denn wenn etwas Wirksames darin ist, so kommt das weder von den Diakonissen, noch von der „heiligen Zeit“, noch von den Gebeten, sondern einzig und allein von dem brenzlichen Oele, welches sich beim Verbrennen thierischer Stoffe überhaupt in geschlossenen Räumen entwickelt. Vielleicht gehört es aber auch zu den „Zeichen unserer Zeit“, daß gerade von der erwähnten Seite aus eine solche Aufforderung kommen mußte.

Wenn aber die Mitglieder der ersten sächsischen Kammer für die leidende Menschheit gearbeitet zu haben glauben, indem sie für die Diakonissen recht viele Elstern auf ihren Gütern wegschießen ließen, so haben sie dabei sicher sich selbst den größten Dienst geleistet. Denn die Elster ist nicht nur diebisch, wie dies schon längst Rossini durch seine Oper bewiesen hat, indem sie namentlich glänzende Dinge in ihrem Neste zusammenträgt, sondern auch ein abscheulicher, mordsüchtiger Vogel, der den jungen Hühnern und Enten mehr Schaden thut, als die Raubvögel, und unablässig alle kleinen Vögel verfolgt, welche sich in der Nähe seines Standortes zeigen. In den Obstgärten und Gebüschen, wo sich die Elstern gerne aufhalten, kommt kein Singvogel fort, und doch ist auf der anderen Seite die Elster nicht im Stande, die Dienste der Sänger in Vertilgung des kleinen Ungeziefers zu ersetzen. Um so unbegreiflicher ist es, wie die Elster in vielen Gegenden und namentlich bei der allemannischen Race durch die Scheu eines Vorurtheils geschützt wird. In dem schweizerischen Dialekt werden die Hühneraugen an den Füßen „Elsternaugen“ genannt, und das Volk hat die feste Ueberzeugung, daß demjenigen, der eine Elster tödtet, großes Unglück geschehen müsse. Jeremias Gotthelf hat eine seiner ersten Geschichten auf diesen Aberglauben gegründet, und in vielen Gegenden des Cantons Bern sieht man unbedingt nur Elstern in der Nähe der Dörfer und einzeln stehenden Höfe, die mit zänkischem Geschwätze auf den Bäumen sich umhertreiben.

Zu den unbedingt nützlichen Vögeln gehören vor allen Dingen die schwerfälligen Tagraubvögel, deren kürzere Schwingen ihnen nicht gestatten, Vögel im Fluge zu verfolgen und zu haschen. Diese sind eben durch ihre Natur auf kleinere Säugethiere, wie Mäuse, Hamster, Ratten und Maulwürfe, und größere Insecten, Maikäfer, Heuschrecken etc. angewiesen, freilich läuft ihnen auch zuweilen ein Häslein oder Rebhuhn mit unter, obgleich dies verhältnißmäßig doch nur seltener geschieht. Die Rohr- und Kornweihe, der Wespenbussard, besonders aber die eigentlichen Bussarde sind in dieser Hinsicht ausgezeichnet nützliche Vögel. Stundenlang sitzt der plumpe Vogel, den sein dichtes Gefieder schon gegen einen tüchtigen, von vorne auftreffenden Schrotschuß schützt, auf einem vorspringenden dürren Aste eines Waldrandes, einem hohen Feldsteine, einem Baumstumpfen regungslos wie eine Bildsäule, während das Auge das Feld durchmustert. Ergiebt der Standort keine Beute, so streicht er tief am Boden mit langsam trägem Flügelschlage nach einer anderen Warte, wo er auf’s Neue seinen stillen Beobachtungen obliegt. Plötzlich aber stürzt er, halb springend, halb fliegend auf den Boden, dringt zuweilen mit Schnabel und Krallen tief in die Erde ein und zieht einen Maulwurf oder eine Maus hervor, die er mit einigen Schnabelhieben tödtet und selbst verzehrt oder seinen gefräßigen, ewig schreienden, plumpen und großen Jungen zuführt, die man schon häufig mit jungen Adlern verwechselt hat. Für solche Dienste nagelt ihn dann der Bauer mit großer Befriedigung an’s Scheunenthor, und der Herr Amtmann zahlt nach Verificirung der Fänge als derjenigen eines großen Raubvogels mit angemessener Selbstbewunderung der für die Landwirthschaft väterlich besorgten Regierung das festgesetzte Schußgeld.

Die Eulen haben, wie alle Nachtthiere, das ungetheilte Vorurtheil gegen sich. Der geisterähnliche, leise Flug, die großen runden, glühenden Augen, vor Allem aber das unheimliche Geschrei, das sich bei den großen Arten bis zu dem Toben des wilden Jägers steigern kann, haben von jeher das Eulengeschlecht in den übelsten Ruf gebracht. Den Griechen war die Eule freilich das Symbol der Weisheit, und Pallas Athene erscheint nicht ohne Begleitung des philosophischen Vogels, der in hohlen Bäumen, Steinbrüchen und Mauerritzen über die höchsten Probleme der Wissenschaft nachdenkt. Aber außerdem waren die Eulen dennoch schon bei den Griechen Vögel übler Vorbedeutung, und bei den abergläubischen Römern erregten sie gar ein wahres Entsetzen. „Alle Nachtvögel mit Krallen an den Fängen,“ sagt Plinius, „wie die Eulen, Kauze und vor allen der Uhu sind höchst schlimme Vorbedeutungen für die öffentlichen Angelegenheiten. Der Uhu namentlich liebt nicht nur einsame Gegenden, sondern auch fürchterliche und schwer zugängliche Standorte. Er ist ein ungeheuerliches Thier, das weder singt, noch schreit, sondern nur fortwährend seufzt und wehklagt. Sieht man ihn bei Tag in einer Stadt oder sonst wo, so bedeutet dies unsägliches Unglück;“ doch fügt Plinius gewissermaßen zum Troste bei, daß er mehrere Häuser kenne, auf die ein Uhu sich gesetzt habe, ohne daß ein nennenswerthes Unglück darauf erfolgt sei. „Unter dem Consulat von Sextus Papilius Ister und Lucius Pedanius verirrte sich gar ein Uhu bis in das innerste Heiligthum des Jupitertempels, was einen unsäglichen Schrecken in der ganzen Bevölkerung verursachte, so daß man allgemeine Processionen und Opferzüge veranstaltete, um die erzürnten Götter zu besänftigen.“

Auch bei uns gelten noch immer dieselben Vorurtheile, und bei Aufzählung verschiedener Schreckensvorzeichcn sagt Hieronymus Jobs:

„Auch hat eine Eule um Mitternacht
Auf dem Kirchthurm ein kläglich Geschrei gemacht.“

Der Kauz und das Käuzchen sind die Todtenvögel; sie zeigen durch ihren kläglichen Ruf in der Nähe des Hauses an, daß der Kranke bald sterben werde, freilich nur auf dem Lande, denn in den Städten hat die allgemeine Gasbeleuchtung dem unglücklichen Unterscheidungsvermögen der Eulen einigen Abbruch gethan. So wie nach Heines Versicherung ein rechtschaffenes Gespenst sich in Paris gar nicht umtreiben kann, weil es dort in der Gespensterstunde noch so lebendig ist, als in Deutschland am hellen Tage, ebenso gut kann der Todtenprophete nur in Dörfern und einsamen Höfen seine Kunst üben, wo er, wie alle übrigen Nachtthiere, durch das ungewohnte Licht angezogen wird. Denn es muß schon hart kommen und der Bauer gefährlich krank sein, wenn zur Nachtwache Licht gebrannt wird; in der Wetterau wenigstens erzählt man die charakteristische Anekdote, daß die Frau den Mann mit den Worten angestoßen habe: „Zünde einmal ein Licht an; ich glaube, ich sterbe,“ worauf der Mann verdrießlich geantwortet habe: „Man sollte meinen, Du könntest nicht im Dunkeln sterben.“ Ist es da zu verwundern, wenn Eulen und Fledermäuse der ungewöhnlichen Lichterscheinung zufliegen, erstere ihr klägliches Geheul in der Nähe erschallen lassen und der Kranke, dessen Nachtlampe sie, wie alle Nachtthiere, anlockt, auch wirklich in Lebensgefahr schwebt? Man sehe doch einmal zu, was Alles noch an einem solchen erleuchteten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_230.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)