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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Versammlungssaal zur Folge. In wenig Augenblicken war das ganze Schloß alarmirt, einige Herren eilten bewaffnet nach der Außenseite des Schlosses, andere nach der Hofseite, während wieder andere, sofort die Treppe hinaufeilend, direct den Angriff auf die Diebe machten, und binnen einer halben Stunde waren acht Burschen, die sich die abgelegene Ruhe des Schloßflügels zu Nutze machen wollten, um die Aussteuer zu rauben, auf frischer That ergriffen und in Sicherheit gebracht.

Nachdem sich nun wieder Alles beruhigt hatte, war des Fragens kein Ende, wie es denn Louischen gelungen sei, die Diebe zu entdecken, ohne von ihnen bemerkt zu werden, da sie doch, wie das mitgebrachte Buch bewies, den ganzen langen Weg durch die Spitzbuben zwei Mal gemacht haben mußte, lassen wir nun Louischen die Geschichte der Spitzbuben-Entdeckung selber erzählen:

„Ich ging,“ sagte sie, „ohne an irgend etwas Anderes, als das zu suchende Buch zu denken, hinauf und öffnete die Thür des ersten Fremdenzimmers vom Corridor aus, als es mir schien, wie wenn ich deutlich hastige Schritte vor mir hereilen hörte. Einen Augenblick aufhorchend vernahm ich nichts mehr und glaubte mich getäuscht zu haben, daher ich unaufgehalten weiter ging. Nun hatte ich die ganze Reihe geöffneter Thüren vor mir liegen, durch welche ich schreiten mußte, um zu den Büchern zu gelangen. Ihr wißt, daß an jeder Thüre ein großes, weißes Handtuch aufgehängt ist. Da kam es mir vor, als bemerkte ich in der sich nur allmählich erleuchtenden dritten Stube das Handtuch sich bewegen, und vermuthete, da ich näherkommend ein Paar Stiefel unter demselben hervorgucken sah, es wolle sich Jemand einen Scherz erlauben, denn unmöglich konnte eine der dort einlogirten Damen solche Stiefel dort zurückgelassen haben. Jedenfalls aber wollte ich den Spaß nicht verderben, und schritt deßhalb absichtlich an den Thürpfeilern so vorbei, als hätte ich nicht das Geringste bemerkt.

Im Weitergehen fiel mir indeß die ungestaltete Größe der Stiefel aus, die noch obenein derartig beschmutzt waren, daß sie unmöglich einem der Herren unserer Gesellschaft angehören konnten. Indem ich das so dachte, hörte ich, um einige Stuben weiter gekommen, deutlich jenseits des Corridors leise sprechende Männerstimmen und ein Geräusch, das mich auf den Gedanken brachte, es wären Diebe da, welcher Gedanke sich mir im nächsten Augenblicke bestätigte, als ich durch ein geöffnetes Fenster den durch dasselbe in die Stube reichenden Obertheil einer angelegten Leiter entdeckte. Ohne mich viel nach dem Allem umzusehen, war ich bis zur Bibliothek gelangt, wo mir das gesuchte Buch sogleich in die Augen fiel, welches ich ohne Verzug mit dem Vorsatz ergriff, es zu öffnen und, mich so anstellend, als lese ich und hätte von Allem nichts bemerkt, mich auf den Rückweg zu machen. Daß ich durch Rufen meine Stimme nicht bis hierher hörbar machen konnte, wußte ich, wie auch, daß die Spitzbuben, durch mich aufmerksam gemacht, leicht unergriffen entspringen konnten, wenn sie mir nicht am Ende noch übel mitzuspielen gesonnen gewesen wären. Ich nahm also meine Courage zusammen und trat, mit dem aufgeschlagenen Buch in der Hand, meine Blicke darauf geheftet und mir ein Liedchen singend, meinen unheimlichen Rückweg an. Als ich wieder die drittletzte Stube erreichte, ließ ich meinen Blick auf den Fußboden neben mir gleiten und sah richtig noch immer die großen schmutzigen Stiesel dastehen. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich froh war, als ich dieselben hinter mir hatte; denn daß es keine leeren Stiefel waren, die ich sah, wußte ich gewiß. Die hastigen Schritte bei meinem Kommen, die Bewegung des Handtuches waren keine Täuschungen, davon war ich nun überzeugt. Mit meinem Liedchen hielt ich indeß erst an, als ich die Thür nach dem Corridor hinter mir wieder geschlossen hatte, wobei ich deutlich vernehmen konnte, daß meine Anwesenheit auch von den Dieben im Ausstellungszimmer bemerkt wurde. Ich wagte jedoch keinen Blick nach dieser Richtung zu werfen, um mich nicht zu verrathen, wie ich auch meine Schritte beim Herabsteigen der Treppe absichtlich nicht beschleunigte, wodurch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_252.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)