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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Senfteige, Seidelbast, Pockensalbe, spanische Fliegen, Haarseil u. s. f., alles schmerzmachende Mittel, die garstige Flecke auf der Halshaut hinterlassen, sollen da den Krankheitsstoff aus dem Kehlkopfe durch Knorpel, Fleisch, Zellgewebe und Haut hindurch und nach außen ziehen. Als ob das möglich wäre! Sie haben mir aber geholfen, sagen dagegen ganz keck Laie und Arzt, ohne zu bedenken, daß gleichzeitig stets noch ein vernünftiges diätetisches Verhalten (warme reine Luft zum Athmen, warme schleimige Getränke und Speisen, Ruhe des Sprachorgans) angewendet wurde, was den Naturheilungsproceß unterstützte und insofern die Hülfe gebracht hat. Bei den Homöopathischen thut’s da freilich auch nicht die Natur, sondern Mercur, Chamomille, Pulsatille, Nux, Jod, Mangan, Schwefelleber, Phosphor, Kohle, Causticum oder Brom. Die Nux paßt aber nur dann, wenn man neben der Heiserkeit noch in einer mürrischen, zänkischen, eigensinnigen, hartnäckigen Gemüthsstimmung ist, und Chamomille dann, wenn die Gemüthsstimmung eine verdrießliche, ernsthaft stille, ärgerliche, ohne Lust zu sprechen. So schreiben Dr. Clotar Müller in seinem Haus- und Familienarzte und Dr. Hering im homöopathischen Hausarzte, während Dr. Hirschel in seinem homöopathischen Arzneischatze auf die Gemüthsstimmung gar keine Rücksicht nimmt, eben so wenig wie der Herr Sanitätsrath Dr. Lutze. Bei Heiserkeit mit Schnupfen braucht man übrigens nach anderen Homöopathen nur an ein Fläschchen mit Drosera (Sonnenkraut) zu riechen oder, was kluge Wasch-, Scheuer-, Platt- und Nähfrauen als ganz vorzüglich empfehlen, den wollenen Strumpf eines gesunden, braven Mädchens oder Jünglings um den Hals zu binden.

Kurz, wo, wie und was curirt wird, stets wird auch dabei vorn Arzte oder Laien etwas geschlendriant, und wenn auch nicht in allen Fällen geradezu zum offenbaren Nachtheil des Kranken, so doch keines Falles zum Vortheil desselben. (Wird fortgesetzt.)

Bock.

Aus dem Norden.
Von Dr. Alfred Brehm.
IV. Ein Ausgearteter.

Bei der zweiten größeren Rennthierjagd, welche ich mit Erik unternahm, waren wir einen Tag vergeblich herumgestiegen und hatten fast den ganzen Sneehätten umkreist, ohne einen Schuß abgefeuert zu haben. Der Abend brach herein, und mit ihm erwachte die Sorge, eine passende Nachtherberge zu erreichen, in dieser Wildniß, welche uns meilenweit umgab. Wir hatten die vorhergehende Nacht in einer sehr erzväterlichen Hütte zugebracht und trotz der bedeutenden Höhe und vorgerückten Jahreszeit recht gut und warm gelegen. Erik’s Herz verlangte aber heute nach Gesellschaft, nach Forellen und Milch, und deshalb schleppte mich denn der Gute für diesmal etwas über eine Meile weit zu einer anderen Hütte, welche gegenwärtig von einem Hirten bewohnt wurde, der zu Gunsten einiger Händler mit einer zahlreichen Viehheerde hier oben seinen Sommer verlebte.

Schon die Hölfte unseres Weges mochten wir zurückgelegt haben, da hörte ich einen mir bisher gänzlich unbekannten Ton. Es war ein heiseres, langgedehntes Kreischen, welches unbedingt von einem Säugethiere herrühren mußte; doch hatte ich gar keine Ahnung, welches Thier einen solchen Mißton hervorzubringen im Stande sei.

„Erik, was schreit da?“

„Ein weißer Fuchs! Kennt Er ihn denn noch nicht?“

„O ja, allein ich habe ihn noch nicht lebend gesehen.“

„Will Er ihn schießen?“

„Wenn wir ihn erwischen können, gewiß.“

„Nun gut, so wollen wir ihn abwarten.“

„Was, Alter, den Fuchs wollen wir hier abwarten?“

„Ja wohl, er wird schon zu uns kommen.“

„Nun, so wollen wir uns wenigstens verstecken.“

„Nein, lieber Herr, das dürfen wir nicht thun, sonst sieht uns der Fuchs ja nicht.“

„Erik, ich glaube, Du bist toll. Du sagst, daß der Schreier ein Fuchs sei, und behauptest, daß er zu uns kommen würde. Meinst Du, daß ich nicht wisse, wie sich ein Fuchs benimmt?“

„Ja, das kann schon sein; wenn es ein rother Fuchs wäre, würde er gewiß auch nicht hierher kommen, da es aber ein weißer Fuchs ist, erscheint er sicherlich, und wenn wir uns verstecken, kann er uns nicht sehen, und dann kann er auch nicht zu uns kommen.“

„Alter, ich habe Dir immer geglaubt, aber jetzt treibst Du es denn doch zu arg. Das ist unmöglich, daß das Thier kommt.“

„Ja, aber hört Er denn nicht, daß er schon viel näher ist?“

„Erik, Du hast wahrhaftig schon wieder einmal Recht, ich will Dir folgen.“

Und ich folgte dem alten erprobten Jäger, blieb stehen, und es war, wie mir Erik gesagt hatte. Schreiend kam der Fuchs näher und immer näher, endlich konnte ich ihn von den grauen Felsenmassen, deren Färbung auch sein Fell jetzt hatte, unterscheiden. Die Dämmerung war hereingebrochen, und so sah ich im Anfange allerdings nur Umrisse; allein der Fuchs zeigte sich bald so deutlich, als ich nur wünschen konnte. Ich wollte, schießen. Erik verwehrte es, weil er behauptete, daß der Fuchs noch zu weit sei und ich ihn schwerlich auf das Korn bringen könne. Der alte Schlaukopf hatte Recht. Es war unmöglich, sicher zu zielen, ich mußte nun schon warten, bis sich seine Voraussagung buchstäblich erfüllte.

Ohne Bedenken kam der Fuchs an uns heran, ruhte von Zeit zu Zeit aus und setzte sich dabei immer höchst zierlich nach Hundeart auf einen der größeren Steine, schlug die Standarte hübsch um die Vorderläufe und guckte nun so still vergnügt und harmlos heiter in die Welt hinein, als hätte es keine Büchse auf der ganzes Erde gegeben.

Ich gestehe, daß ich trotz einer Beschreibung, welche ich von dem Eisfuchse früher gelesen (aber auch größtentheils wieder vergessen) hatte, im höchsten Grade überrascht war. Der Bursche that gar nicht, als ob ihm unsere Gegenwart nur die geringste Furcht einflöße, sondern schien sich vielmehr außerordentlich zu freuen, hier in seiner Einsamkeit einmal mit Menschen verkehren zu können. Wahrscheinlich deshalb kam er nach und nach bis auf etwa vierzig Schritte an uns heran. Jetzt nahm ich die Büchse auf und zielte, bemerkte aber zugleich, daß es wirklich unmöglich war, den Fuchs sicher auf das Korn zu nehmen. Ich setzte mehrere Mal ab und hob von Neuem das Gewehr empor. Das Ergebniß blieb dasselbe. Ich konnte nur ungefähr die Richtung nehmen, keineswegs aber einen sicheren Schuß thun. Endlich schoß ich doch, die Kugel schlug haardicht neben dem Fuchse vorbei und an einem hinten liegenden Stein an, an welchen, sie zersplitterte. Als ob gar Nichts geschehen wäre, erhob sich der Fuchs, stieß seinen heiseren Schrei aus und ging ein paar Schritte weiter. Dann setzte er sich wieder hin, genau wie vorher. Jetzt nahm der Alte seine erprobte Büchse und sandte eine zweite Kugel nach ihm hin. Auch er hatte nicht getroffen. Der Fuchs stand wieder auf, ging noch einige Schritte vorwärts und setzte sich zum dritten Male auf einen Stein. Ich hatte inzwischen mein Gewehr wieder geladen und näherte mich dem merkwürdigen Gesellen auf etwa dreißig Schritte, um nochmals mein Glück zu versuchen. Auch die dritte Kugel traf ihn nicht, und so schoß Erik zum vierten, ich zum fünften, Erik zum sechsten und ich zum siebenten Male, ohne daß es dem Thiere in den Sinn gekommen wäre, endlich sein Heil in der Flucht zu suchen.

Ich führte eine Büchsflinte, und es wäre ein Leichtes für mich gewesen, den frechen Gesellen mit einem Schrotschuß zu erlegen, allein hierzu konnte ich mich nicht entschließen. Es wäre mir wie Meuchelmord vorgekommen, ein Wesen, welches mit solcher ruhigen Gelassenheit die Kugeln um sich herum pfeifen ließ, mit einem Schrotschuß niederzustrecken. Ich beschloß also, ihm das Leben zu schenken, und ging so nahe als möglich zu ihm hin, um ihn zu beobachten. Er ließ mich ruhig bis auf zehn, ja sogar bis ans sechs Schritte herankommen, ehe er sich erhob und nun leichten Fußes einige Schritte weiter ging.

Ich fand mich wie zwischen Wachen und Träumen. Auch der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_263.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)