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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

angreifen zu müssen. Auf der andern Seite aber wünschte ich auch nirgends die Ursache zu einem Zwiespalte zu geben und würde in diesem Falle lieber den Ort verlassen, um irgend einer andern Aussicht, die sich mir eröffnet, nachzugehen – “

„All right, Sir“, wir waren im Voraus von Ihren guten Gesinnungen überzeugt!“ rief die frühere Stimme; „übrigens dürfen Sie mit Sicherheit darauf rechnen, daß neben dem, was Ihnen die Gemeinde für Einstudiren des Chors und das sonntägliche Orgelspiel aussetzt, sich mit Beginn der Wintersaison vielfache Gelegenheit zu Pianounterricht bieten wird; es hat uns eben bis jetzt ein tüchtiger unabhängiger Musiklehrer gefehlt –“

„Und so denke ich,“ fiel eine andere Stimme ein, „wir gehen nach Mr. Burton’s Bibliothek – denn hier neben Gläsern und Karten verhandelt weder der Prediger noch einer der Trustees mit uns – und bringen die Sache sogleich in die gehörige schriftliche Ordnung.“

„Ich kann nur meinen aufrichtigsten Dank aussprechen,“ sagte Reichardt, sich erhebend, „und sollte meinerseits etwas nothwendig werden, so mögen die Herren über mich verfügen! “ Er verließ mit einer leichten Verbeugung das Zimmer und schritt die Treppe nach den untern Räumen hinab.

Er durchschritt langsam die offenen Zimmer, in welchen sich die Quadrille-Gruppen nach dem Takte einer barbarischen Musik bewegten, bis er Harriet’s ansichtig wurde. Sie schien von Lust und Leben zu sprühen, während Young an ihrer Seite nur wie in halber Verdrossenheit seine Bewegungen ausführte. Ein lachender Blick von ihr traf Reichardt, der, um nicht aufzufallen, seinen Weg fortsetzte und sich bei einer Wendung in das nächste Zimmer vor der Frau vom Hause fand, welche von ihrem geschützten Standpunkte aus die Quadrille-Figuren zu beobachten schien.

„Sie tanzen nicht, Ma’am?“ fragte der junge Mann, mit Interesse in dieses bleiche, regelmäßige Gesicht blickend, dem nur das dunkel glühende Auge Leben zu geben schien.

Sie schlug den Blick wie in einer Art Verwunderung zu ihm auf, schien aber mit einem Lächeln schnell seiner Persönlichkeit inne zu werden. „Die Kirchenglieder unseres Bekenntnisses halten den fashionablen Tanz nicht für passend,“ sagte sie, „wir sind indessen tolerant genug, keines andern Menschen Ueberzeugungen zu nahe zu treten – warum aber nehmen Sie nicht an dem allgemeinen Vergnügen Theil? “

Reichardt äußerte einige Worte, daß er noch zu fremd und fast keiner der Damen vorgestellt sei, sie schien indessen kaum darauf zu horchen und ihre ganze Aufmerksamkeit auf einen Punkt in dem Raume vor sich zu richten; der Deutsche wandte den Blick seitwärts und traf auf das Gesicht des Predigers Curry, welcher, an der andern Seite der großen Flügelthür sitzend, mit ähnlicher Spannung einen Vorgang unter den Tanzenden zu beobachten schien; seine Augenbrauen waren zusammengezogen, die aufeinander gepreßten Lippen zuckten leise, und Reichardt folgte fast unwillkürlich der Richtung seiner Augen. Young und Harriet mußten der Punkt sein, auf welchem die Blicke der beiden Beobachtenden zusammenliefen – das Mädchen schien sich eben von ihrem Tänzer gewandt zu haben und sprach lachend mit dem jungen Manne des nebenstehenden Paares, während Young in die Menge hinein blickte und sich sichtlich bemühte, einen Ausdruck von Täuschung in seinem Gesichte zu unterdrücken – da kam die Tour Beider; Harriet schien kaum die Hand ihres Tänzers zu berühren oder überhaupt von ihm Notiz zu nehmen; leicht und lachend flog sie durch Verschlingungen des Tanzes, so berückend schön, wie sie Reichardt nur auf dem Balle in Saratoga gesehen, und unwillkürlich mußte er ihr seine Augen folgen lassen, bis sie wieder an ihren Platz zurückgekehrt war und, ohne sich um Young zu kümmern, der auch keinen Versuch zu machen schien, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, die Menge vor sich musterte. Curry hatte den Kopf gesenkt, als wolle er den Ausdruck seines Gesichts den Blicken umher nicht preisgeben; zwischen Mrs. Burton’s Augen aber trat die Falte, welche Reichardt heute schon einmal beobachtet, tief und bestimmt hervor, und der junge Deutsche schritt langsam davon, um mit seinen Gedanken einen andern Platz zu suchen.

Augenscheinlich war es ein tiefes, klar erkanntes Interesse, welches den Prediger und die Lady vom Hause Young’s Verbindung mit Harriet wünschen ließ, und ein Versuch, die letztere zu gewinnen, war jedenfalls heute Abend gemacht worden; wo aber lag dies Interesse, das, wenn auch die Lady nur unter dem Einflusse des Predigers handelte, diesen doch so fest an Young’s Vortheil kettete? Kaum konnte es ein anderes als ein lichtscheues sein, sonst hätte es Harriet’s scharfer Verstand sicher entdecken müssen! – so folgten sich die Vorstellungen in Reichardt’s Kopfe, als er durch die Menge schritt. Der Tanz war zu Ende, überall schossen einzelne Gruppen zusammen, und der junge Mann fühlte plötzlich seinen Arm berührt. „Machen Sie mir eine Verbeugung!“ hörte er Harriet’s Stimme, „so!“ und in der nächsten Secunde fand er sich an des Mädchens Arm durch die Zimmer promenirend.

„Es wird schwer werden, vor „Supper“ noch ein ungestörtes Wort zu sprechen,“ sagte sie mit vorsichtig gedämpfter Stimme, „es ist aber für mich nöthiger als je, daß es geschieht; ich habe meine erste hohe Karte ausgespielt und muß jetzt sorgen, daß ich die rechten Trümpfe nachbringen kann. Halten Sie sich in meiner Nähe, damit ich Sie zur rechten Zeit in Kenntniß setzen kann – “

„Ich bin völlig zu Ihrer Disposition, Miß Harriet,“ erwiderte er in gleicher Weise, „ich werde aber jedenfalls noch einmal den obern Stock besuchen müssen, wo die Nothwendigkeiten für meine hiesige Existenz zurecht gebraut werden –“

„Ich weiß,“ nickte sie, „ich hatte Pa genau den Weg angegeben, wie er zu Werke gehen sollte; das wird aber Alles vor „Supper“ erledigt sein; es sind nur Freunde von Ihnen zusammen, welche die Sache schnell in Ordnung bringen und die Schlangen und die Eidechsen auf’s Trockene setzen werden – denken Sie nur an mich gegen Mitternacht, und nun bringen Sie mich zu Mrs. Burton, die wahrscheinlich eine Predigt für mich in Bereitschaft hat!“

Reichardt nahm die angegebene Richtung und entledigte sich seiner Begleiterin nahe dem Divan, welchen die Frau vom Hause wieder besetzt hielt, während zu beiden Seiten desselben Young und Curry ihre früheren Plätze eingenommen hatten. Er sah noch, wie sich der Erstere bei des Mädchens Ankunft erhob und langsam davonschritt, während der Letztere, als wolle er kein Zeuge des mütterlichen Empfanges sein, den Kopf nach einer andern Richtung wandte – dann ward die Scene durch vorüber promenirende Paare verdeckt, und Reichardt wanderte ziellos in die Menge hinein. Die Musik hatte wieder begonnen, und erst nach einiger Zeit entdeckte er in den neugebildeten Quarrees Harriet an der Hand eines andern jungen Mannes, dem Anscheine nach völlig unberührt von dem, was ihr gesagt worden sein mochte, aber auch ohne einen Blick für ihn selbst zu haben. Eine kurze Weile unterhielt sich Reichardt damit, nach Young zu suchen, um dessen Gesicht zu studiren; dieser schien aber völlig verschwunden zu sein, und den Deutschen begann es trotz der glänzenden Umgebung fast wie Langeweile zu überkommen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte und im Umdrehen Burton’s Gesicht erkannte. „Es geht Alles vortrefflich, Sir,“ sagte dieser vertraulich; „es liegt aber den Meisten von uns viel an einer möglichst allgemeinen Zustimmung der Gemeindeglieder, und so denke ich, Sie zeigen sich noch einmal, sobald der jetzige Tanz vorüber ist, am Piano – die Ladies sind sämmtlich in der besten Laune, und sobald Sie sich diese zu Freunden machen, stehen Sie hier wie auf Felsen –“

„Ich bin nur hier, Sir, um über mich verfügen zu lassen,“ erwiderte der Deutsche, und mit einem zufriedenen Nicken führte ihn der Hausherr nach dem „Musikzimmer“, dort selbst das Piano öffnend und den Sessel heranziehend. „Sobald das Niggergefiedel endigt, beginnen Sie mit etwas recht Kräftigem oder so – Sie werden mich verstehen – und dann sollen Sie sehen, daß sie Alle wie die Bienen herbeischwärmen!“

Reichardt nahm Platz und hatte nicht lange auf das Ende des Tanzes zu warten; sobald das Geräusch der auseinander rauschenden Paare vorüber war, begann er mit der pompösen Einleitung eines modernen Salonstücks; er war beim ersten Anschlag überrascht von der Macht und Ausgiebigkeit des amerikanischen Instruments; er griff mit voller Kraft in die Tasten und fand bald einen Genuß für sich selbst in der Fülle und Klarheit, welche durch alle Stimmlagen herrschte; er spielte mit größerer Lust als je und bemerkte es kaum, daß sich das Zimmer rasch mit den anwesenden Gästen füllte. Erst beim Aufnehmen des einfachen Themas warf er einen Blick um sich; kaum aber waren die rauschenden Accorde und Cadenzen der Einleitung verklungen, als sich bei der folgenden einfachen Melodie auch das gesammte Interesse der Zuhörer zu verlieren schien; Gespräche, welche sichtlich weit interessanter als der musikalische Vortrag waren, wurden von allen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_274.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)