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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

war, ganz ohne Boden fühlte und er sich einer Art Feigheit nicht erwehren konnte. Eine geraume Weile stand er horchend und spähend, bis er seine Umgebung für sicher hielt. Dann trat er in’s Freie, und der aufgeraffte feine Kies flog gegen eins der Fenster. Ein leises Klopfen an die Scheiben ließ sich dort als Antwort hören. Reichardt trat tief aufathmend unter den bergenden Laubgang zurück und bald sah er eine helle Gestalt aus einer der Treppen herabgleiten. „Hier bin ich, Miß Harriet!“ rief er leise, als sie zu ihm in das Dunkel trat, und faßte ihre Hand, die sich fest um die seinige schloß.

„Es ist gut, daß Sie gekommen sind,“ sagte sie sichtlich erregt, „es wird Alles aufgeboten, um Ihr Bleiben hier unmöglich zu machen, selbst Ihre besten Freunde schütteln die Köpfe vor dem Gespenste Zwiespalt in der Kirchengemeinde – Vater hat Ihnen ja schon das Nöthige gesagt, er hat sich heute wieder ein paar vergebliche Wege gemacht. Aber Sie werden hier bleiben, Sir,“ fuhr sie fort, und Reichardt fühlte einen warmen Druck ihrer Hand, „Harriet Burton wird dem ganzen Gethier zeigen, daß sie durchsetzen kann, wofür sie ihr Wort gegeben –“

„Einen Augenblick nur, Miß,“ unterbrach sie Reichardt, „ich glaube, wir haben unsere beiderseitigen Angelegenheiten vollständig in unserer Gewalt. Ich habe heute Glück gehabt und den feindlichen Spieß herumgedreht.“ Und damit begann er die Erlebnisse des Tages in allen Einzelnheiten zu erzählen. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber er fühlte jede ihrer Empfindungen an diesen weichen Fingern, die sich bei einem spannenden Momente halb von seiner Hand lösten, bald sich wieder dichter darum schlossen.

Eine Pause folgte, als Reichardt geendet. „Sie haben gehandelt,“ sagte sie endlich langsam, seine Hand loslassend, „wie es vielleicht dem Manne zukommt, Auge gegen Auge; und doch wäre es besser gewesen, Sie hätten die ganze Angelegenheit in meiner alleinigen Macht gelassen. Mir haben Sie jetzt wohl die beste Waffe in die Hand gegeben; sich aber haben Sie in Young und dem Prediger zwei Feinde geschaffen, die wahrscheinlich nicht mehr offen gegen Sie auftreten, aber Ihnen im Verborgenen den Boden unter den Füßen abgraben werden. Ich hätte Sie so gern ganz ohne directen Antheil an dem Kampfe gesehen, damit Sie völlig rein dagestanden hätten, und selbst der Haß Ihrer Gegner ohne eigentliche Begründung gewesen wäre; ich vermied schon deshalb so ängstlich jeden Schein einer nähern Bekanntschaft mit Ihnen – jetzt ist das vorüber, und wir haben zu nehmen, was kommt. Aber mögen die Schlangen doch auch ihr ganzes Gift verspritzen,“ fuhr sie plötzlich lebhaft fort, „sie sollen nicht in Harriet Burton’s Bereich kommen. Merken Sie, Sir,“ und sie faßte von Neuem kräftig seine Hand, „möge auch geschehen, was da wolle – und ich weiß, es wird nicht ausbleiben, was es auch sei – benachrichtigen Sie mich sofort, und Harriet wird zu Ihnen stehen und – und wird Alles vergessen, was nur ihrer Rücksicht bis jetzt heilig gewesen ist!“ Es war ein eigenthümlicher Ton, der in diesen Worten klang, ihre Stimme war gesunken und schien unter ihrer Empfindung zu beben. „Gehen Sie jetzt, es ist besser!“ fuhr sie in demselben Tone fort, und Reichardt fühlte seine Hand umschlossen, daß es ihm warm bis zum Herzen stieg, „denken Sie daran, was ich Ihnen sagte, und bauen Sie auf Harriet!“ Sie zog ihre Hand in einer Art von Hast zurück und wandte sich dem Hause zu; ohne sich umzublicken, eilte sie die Treppe hinauf und verschwand in der Thür des Balkons.

Reichardt stand noch zwei Minuten auf demselben Platze, ihr nachblickend; der eigenthümliche Ton ihrer letzten Worte klang noch immer in seinen Ohren, und eine Ahnung, sein ganzes Inneres rebellirend, stieg in ihm auf. Er hatte seinen Rückweg angetreten, fast ohne es selbst zu wissen, und erst als er sein Hotel vor sich sah, kam er wieder zum rechten Bewußtsein seiner selbst. Langsam stieg er die Treppe nach seinem Zimmer hinauf, brannte sich Licht an und blieb dann in der Mitte des Raumes stehen. „Es ist ein wahnsinniger Gedanke,“ sprach er vor sich hin, „und doch ist bei ihr Alles möglich!“ Wieder versank er in Gedanken und schüttelte dann langsam den Kopf. „Und wenn es wäre, könnte ich denn’? – Schlafe, Max,“ fuhr er sich aufrüttelnd fort, „wenn es Morgen ist, werden die Einbildungen verdunstet sein!“ Er warf seine Kleider von sich, löschte das Licht und kaum hatte er sein Lager gesucht, als auch schon der Schlaf über ihn kam, mit neuen Bildern jede andere Erinnerung aus seiner Seele scheuchend.




Die Sonne schien bereits hell in sein Zimmer, als er am andern Morgen erwachte. Sonst hatte ihn immer Bobs Eintreten, der seine Kleider zum Reinigen abholte, geweckt; heute lag noch jedes Stück seines Anzugs, wo es Abends zuvor Platz gefunden. Er sah nach seiner Uhr, es ging bereits auf neun; die Landpartie, welche er schon früh mit dem Wirthe hatte machen sollen, fiel ihm ein – es war sonderbar, daß er nicht geweckt worden war, und mit einiger Verwunderung verließ er sein Bett.

Als er nach kurzer Toilette sich nach der bereits verlassenen Frühstückstafel begab, währte es eine geraume Zeit, ehe er einen der schwarzen Aufwärter habhaft werden konnte. „Wo ist Bob?“ war seine erste Frage. Der Neger sah ihn mit einem Blicke an, dessen Ausdruck sich Reichardt umsonst zu erklären suchte, zog dann die Schultern in die Höhe, warf einen Blick um sich und sagte mit einem Grinsen, in dem sichtlich eine Bedeutung lag: „Ich weiß nicht, Sir!“

Der Deutsche sah eine Secunde lang ungewiß in das schwarze Gesicht. „Ist etwas mit ihm vorgefallen?“ fragte er.

„Weiß nicht, Sir!“ war die erneuere Antwort; mit gedämpfter Stimme aber fuhr der Sprecher fort: „Mr. Curry kam gestern Abend noch spät und frug nach Bob; der mochte es ihm aber beim Eintreten wohl schon angesehen haben, daß irgend etwas nicht recht war; er schlüpfte zur Hinterthür hinaus, und seit der Zeit haben wir nichts wieder von ihm gesehen – er ist die ganze Nacht nicht in’s Haus gekommen.“

Auf das Herz des jungen Mannes legte sich schwer der Gedanke, daß sein Gespräch mit Young wahrscheinlich Bob’s Unglück geworden war. Es lag auf der Hand, daß der Erstere nach des Deutschen Weggange sogleich den Prediger aufgesucht und dieser auf den Schwarzen, als den einzigen Zeugen des Vorgangs in der Sacristei, den Verdacht eines Verraths geworfen hatte. Reichardt war sich bewußt, nur dem Triebe der Selbsterhaltung gefolgt zu sein, und zu ändern war jetzt auch nichts mehr. Trotzdem ging er nach beendetem Frühstück in der unangenehmsten Stimmung nach seinem Zimmer zurück.

Er hatte sich dort kaum auf einen Stuhl an’s Fenster geworfen, als nach kurzem Klopfen der Besitzer des Hotels den Kopf zur Thür hereinsteckte und beim Erblicken des jungen Mannes in’s Zimmer trat.

„Sie scheinen eine gute Nacht gehabt zu haben!“ sagte er, sich unweit seines Gastes auf einem Stuhle niederlassend.

„Das heißt, ich habe unsere Fahrt verschlafen,“ erwiderte Reichardt lachend, dem es lieb war, sich aus seinen Gedanken reißen zu können, „Sie scheinen aber selbst ein Hinderniß gefunden zu haben!“

„Dem ist wirklich so!“ versetzte der Wirth. „Well, Sir,“ fuhr er fort, sich das Kinn streichend, während sich sein Gesicht in ernste Falten legte, „es ist da eine unangenehme Geschichte, um deren willen ich eigentlich zu Ihnen kam. Bob, Ihr Auswärter, ist gestern Abend unsichtbar geworden und jetzt noch nicht wieder zurück. Sein Herr, der methodistische Prediger im Orte, war gestern Abend hier, um ihn zu sprechen, und heute Morgen wieder.

Der geistliche Gentleman war ziemlich aufgeregt, als er zum zweiten Male vergebens kam, und schien keine andere Idee zu haben, als daß der Vermißte flüchtig geworden sei. Er begann die übrigen Neger-Aufwärter zu examiniren, und was er da erfuhr, scheint wirklich seinem Verdachte einen Boden zu geben. Das schwarze Volk hat sämmtlich ausgesagt, daß Sie sich immer besonders freundlich gegen Bob gezeigt und er sich dessen gerühmt habe, daß Sie ihm, nach seiner Erzählung, die verlockendsten Dinge über den Osten mitgetheilt, wie, daß es dort Niemand mit ihm als Fiedler aufnehmen könne, und daß er nur hinzukommen brauche, um dort ein großer Mann zu werden.“

Reichardt fuhr auf, aber der Hotelbesitzer winkte ihm zu schweigen. „Ich kann mir schon denken, Sir, daß in den Aussagen Manches übertrieben ist, und bin auch, wie ich Sie habe kennen lernen, überzeugt, daß das, was Sie etwa gesagt haben mögen, ohne den geringsten bösen Willen ausgesprochen war, daß Sie nur durch die Unkenntniß unserer hiesigen Verhältnisse dazu verleitet worden sind. Demohngeachtet läßt es sich nicht wegdisputiren, daß Sie in dem angedeuteten Sinne geredet, daß der Schwarze verschwunden ist, und daß diese Flucht dem Einflusse Ihrer Worte zugeschrieben wird.“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_292.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)