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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

im Lichte der Poesie verklärte, ohne darum der realistischen Wahrheit den geringsten Eintrag zu thun. Der Dichter hatte dem Leser in diesem Romane eine neue, bisher kaum gekannte Welt erschlossen, eine Fülle von originellen Charakteren gebracht und zugleich das innerste Leben der verschiedensten verborgenen Völkerstämme vor ihm aufgedeckt; zugleich aber dem Ganzen den Stempel einer tiefen, sittlichen Grundidee aufgedrückt.

Ein einziges Werk von so großem Werthe hätte hingereicht, einem französischen oder englischen Schriftsteller für immer eine sorgenlose Existenz zu sichern. Der deutsche Dichter mußte sich mit einem mäßigen Honorare begnügen, trotzdem mehr als zehntausend Bände der englischen Uebersetzung allein in Amerika abgesetzt wurden. Unsere traurigen Verhältnisse und jämmerliche Zerrissenheit trugen die Schuld, daß Mügge auch nicht den geringsten pecuniairen Nutzen aus diesem Umstande ziehen konnte, weil zwar zwischen Preußen und England, aber nicht zwischen diesem und Frankfurt am Main, wo sein Roman im Verlage von Meidinger erschienen war, ein Verband zum Schutze des literarischen Eigenthums besteht. Statt daher die Früchte einer so ausgezeichneten Arbeit in Ruhe zu genießen, mußte der Dichter stets von Neuem zur Feder greifen und im Schweiße seines Angesichts für sich und seine Familie das tägliche Brod verdienen. Bis spät in die Nacht schrieb er unablässig politische Correspondenzen für verschiedene Zeitungen, größere und kleinere Novellen für das von ihm herausgegebene Taschenbuch Vielliebchen, für Wochenschriften wie die Gartenlaube, der er ein treuer Mitarbeiter war und die seine letzte literarische Arbeit, eine für dieselbe bestimmte und kurz vor seinem Tode beendete Novelle, vor kurzer Zeit veröffentlichte.

Noch auf dem schmerzlichen Krankenlager besorgte er die ihm von zugeschickten Correcturen seines letzten größeren Romans, der unter dem Namen „der Prophet“ erschienen ist und eine der interessantesten Episoden aus der deutschen Geschichte behandelt, so daß Mügge, im eigentlichen Sinne bis zum letzten Augenblicke beschäftigt, in seinem Berufe gestorben ist.

Trotzdem behielt er noch immer die nöthige Zeit, seine Liebe für das allgemeine Wohl zu bethätigen und seiner Bürgerpflicht nach allen Seiten zu genügen. So entfaltete er einen wahrhaft jugendlichen Eifer in dem Schiller-Comité, dessen literarische und artistische Betheiligung er als Vorsitzender leitete; so stiftete er in seinem Bezirk eine Darlehnscasse zur Unterstützung bedürftiger Handwerker und Geschäftsleute, die einzig und allein seiner Energie und Opferfähigkeit ihr Fortbestehen verdankte, indem er seine Mühe und die Zeit, welche sein einziges Capital war, der Hülfe und der Unterstützung seiner ärmern Mitbürger widmete und als wahrer Freund des Volkes für dasselbe sorgte. Ebenso eifrig betheiligte er sich an dem Berliner Handwerkerverein, indem er dessen Bibliothek mit der größten Umsicht und Gewissenhaftigkeit verwaltete. Wo es galt, öffentlich zu nützen und dem Volke zu helfen, fehlte Mügge sicher nie.

Von seinen vielfachen Arbeiten und Geschäften ruhte er am liebsten im Kreise seiner Familie und einiger gleichgesinnten Freunde aus. Sein gastliches Haus war der Sammelplatz der verschiedensten Stände; hier sah man den gebildeten Fabrikanten, den Kaufmann mit dem Schriftsteller und Gelehrten vereinigt um den liebenswürdigen Wirth, der die durch Beruf und Lebensstellung getrennten Elemente durch sein Gespräch anzuregen und zu gemeinschaftlichem Wirken zu verbinden wußte. Ohne Uebertreibung darf man daher sagen, daß Mügge sehr viel dazu beigetragen hat, durch seine würdige Persönlichkeit dem Schriftstellerstande in Berlin allgemeine Achtung in den ihm zugänglichen Kreisen zu verschaffen. Fest und entschieden in seiner politischen Gesinnung war er voll Milde und Nachsicht im persönlichen Verkehr, fern von jedem kleinlichen Neid und voll Anerkennung für fremdes Streben, während er selbst ohne Eitelkeit eine seltene Bescheidenheit zeigte, die sich besonders dadurch verrieth, daß er nur ungern von sich, seinen Arbeiten und seinem Leben sprach.

Dieser innern Tüchtigkeit, Gesundheit und Biederkeit entsprach die kräftige äußere Erscheinung. Vor unsern Augen steht das Bild des tüchtigen Mannes, wie er noch vor kurzem in unserer Mitte wandelte, eine hohe Gestalt mit markigen Zügen, in straffer militairischer Haltung, die noch immer den ehemaligen preußischen Soldaten leicht erkennen ließ, schlicht und einfach, natürlich in seinem ganzen Wesen, fest und entschieden in seinem Auftreten, an Leib und Seele gesund und kraftvoll wie eine deutsche Eiche.

Ein schneller, unerwarteter Tod hat ihn hinweggerafft mitten in der Reife seines Wirkens und Schaffens zur tiefen Trauer für seine Familie, die er trotz aller Anstrengungen nicht hinlänglich versorgen konnte, zum unersetzlichen Verluste für seine Freunde, Mitbürger und für die deutsche Literatur, die Wenige Seinesgleichen aufzuweisen hat, da in Mügge das Talent des Dichters mit dem Charakter des Mannes zu einem harmonischen und vollendeten Ganzen verschmolzen war.

Max Ring. 




Moderne Brunnenvergiftung.

Vergiftung der Themse – Leichenwasser – Das Wiener Trinkwasser – Unser Quellwasser – Erscheinungen in Schweidnitz und im Departement du Nord – Deutsche Polizei und deutsche Pumpen.

Wenn im Mittelalter eine verheerende Seuche unter den Völkern wüthete, so erhob sich sofort der Argwohn, daß eine Vergiftung des nothwendigsten Lebensmittels, des Wassers, daran schuld sein müsse. In Frankreich verbrannte man im Jahre 1322 eine große Zahl Aussätziger, weil es hieß, sie seien von den aus dem Lande gejagten Juden aus Rache gedungen worden, die Brunnen zu vergiften. „Sie nahmen,“ so lesen wir in der Chron. Belg. Gottfred. p. 612, „etwas von ihrem aussätzigen Blut und Harn, kneteten dann einen Teig an, mengten Krötenlaich und giftige Kräuter darunter und senkten solchen Teig, zu Kügelchen geformt, mit angebundenen Steinen in den Grund der Quellenbrunnen.“ So oft im Mittelalter eine große Epidemie über die Völker hereinbrach, hatten, nach dem allgemeinen Wahn, die Juden durch Vergiftung der Brunnen sie verursacht.

Wer sollte glauben, daß in diesem Wahnsinn ein Körnchen Vernunft steckt, daß das Verbrechen der Brunnenvergiftung vorhanden ist, und – tagtäglich von uns Allen verübt wird? Aber nicht straflos. Denn wir trinken als Folgen unserer thörichten Achtlosigkeit uns Krankheit und Tod in den Leib hinein. In vielen Gegenden haben Fieber, Ruhr, Typhus ihren beständigen Wohnsitz aufgeschlagen; die Gelehrten zerbrechen sich die Köpfe, worin der Grund des Uebels zu suchen sei; sie gucken in den Himmel, sie zerlegen die Luft, aber kein Mensch forscht nach dem verdorbenen Trinkwasser. O, wie viel des Siechthums könnte dem Menschengeschlecht erspart werden, wenn auf die Pflege der Quellen und Brunnen ein wachsameres Auge verwandt würde!

„Wasser ist das Allerbeste!“ sang Pindar in einer seiner Oden. Ob das antike Mitglied des „Vereins der Wasserfreunde“ wohl bei seinem Lobspruch geblieben wäre, wenn er im Sommer der Jahre 1857, 1858 oder 1859, zu London an dem Themseufer stehend, bei zugehaltener Nase gesehen hätte, wie die Meeresfluth alle Mauserungen der Riesenstadt – man berechnet sie täglich auf mindestens 7000 Tonnen – nach dem Herzen derselben zurückspülte? Chemisch reines Wasser – für Londons Bewohner freilich fast eine Mythe – soll aus 2 Theilen Wasserstoff und einem Theil Sauerstoff bestehen; was aber Letheby, der das Themsewasser im Jahre 1859 an 172 verschiedenen Orten und Zeiten mit dem Mikroskop und Reagensglas untersuchte, darin fand, waren Schwämme, Infusorien, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und – nebenbei allerdings auch einiges Wasser! Blos um den pestilenzialischen Geruch dieser Stoffe einigermaßen zu dämpfen, wurden dem Flußgott im Jahre 1859 an 85,620 Centner gewöhnlichen Kalks und 9560 Centner Chlorkalk geopfert. Im Sommer desselben Jahres zahlte die Stadt für Reinigung der Themseufer die Kleinigkeit von 17,733 Pfd. Sterl.

Welches Unheil aber daraus entsteht, wenn solche Elemente sich dem Trinkwasser beimischen, ergiebt sich zur Genüge schon aus der Geschichte der neueren Cholera-Epidemien. Namentlich steht gerade in dieser Hinsicht London als trauriges Muster da. In den Jahren 1848–49 wüthete die Krankheit mit vorzüglicher Heftigkeit in mehreren Bezirken, die ihr Wasser von der Lambeth- und von der Southwark and Vauxhall-Company bezogen. Die Röhrenleitung wurde aber aus einer Stelle der Themse gespeist, wo diese bereits mit dem Inhalt eines großen Theils der Londoner Cloaken und außerdem mit dem durch die Fluth dorthin getragenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_295.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)