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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

manche Rolle ist für sie geschaffen, wie manchem bildenden Künstler hat sie durch die plastische Schönheit ihrer Darstellungen die herrlichsten Vorbilder gegeben!

Ueber den Einfluß, den sie unmittelbar in ihrem Berufe übte, herrscht nur eine Stimme. Sie war im vollen Sinne des Wortes die Seele des Ganzen, das belebende, durchgeistigende, zusammenhaltende Princip. Jede Einzelnheit des darzustellenden Kunstwerkes behielt sie im Auge; sie ruhte nicht, bis jeder Ton, jede Miene, jede Bewegung harmonisch zum Ganzen strebte, und wenn es in mancher Beziehung für die Mitspielenden schwer war, sich neben ihr, neben der Gewalt ihrer Leidenschaft zu behaupten, so war es auf der anderen Seite wieder, als strömte eine Kraft von ihr aus, die Alles mit Feuer und Leben durchdrang.

Für ihre Dresdner Kunstgenossen war Wilhelmine Schröder-Devrient der beste Kamerad: anspruchslos, theilnehmend bei Freude und Leid, aufrichtig in Lob und Tadel, und von unermüdlicher Gefälligkeit. Ihre Börse, ihr Einfluß, ihr Talent standen jedem zu Gebot, der Anspruch daran machte, und besonders waren es die Schwachen, Unterdrückten, Schlechtbesoldeten, deren sich Wilhelmine in Wort und That eifrig annahm. Das Corps de Ballet, der Chor, die Mitglieder des Orchesters waren ihre erklärten Schützlinge; eine Kränkung, eine Ungerechtigkeit, die diesen wiederfuhr, nahm sie wie eine persönliche Beleidigung auf und kannte keine Rücksicht, wenn es galt ihre Lieblinge zu vertheidigen oder zu rächen.

Einmal z. B. wurde eine Composition des Kapellmeisters Morlacchi einstudirt. Morlacchi dirigirte selbst, war sehr übler Laune, hatte tausenderlei auszusetzen und rief endlich, indem er heftig mit dem Taktirstocke ausschlug: „Noch’mal singen! die Stelle war ganz schlecht, die Choristen haben gesungen wie die Schweine, wie die deutschen Schweine!“ Die Beleidigten selbst sowie die anwesenden Sänger und Sängerinnen blieben stumm, denn Morlacchi, ein intrignanter, rachsüchtiger Mensch, war damals eine sehr einflußreiche Persönlichkeit, und so wagte Niemand sich gegen ihn aufzulehnen. Nur Wilhelmine Schröder-Devrient trat mit blitzenden Augen aus dem Hintergrunde hervor. „Wenn Er doch einmal von Schweinen spricht,“ rief sie aus, „so will ich Ihm nur sagen, daß Er seine italienische Schweinemusik selber singen kann!“ dabei warf sie dem Herrn Hofkapellmeister ihr Notenblatt hin, kehrte ihm den Rücken und ging nach Hause.

Unermüdlich war sie, wenn es galt Andern ihre Aufgaben zu erleichtern. Manchem Sänger, mancher Sängerin hat sie ihre Rolle bis in die kleinste Kleinigkeit, Note für Note, Schritt für Schritt einstudirt. Es sind Künstler darunter, die später einen großen Ruf erlangt und in thörichter Eitelkeit Wilhelminens Einfluß auf ihre künstlerische Bildung vergessen oder doch verleugnet haben. – Einem etwas ungelenkigen jungen Mann, der es ihrer Verwendung verdankte, daß er aus dem Chor hervorgezogen und zum Solosänger ausgebildet wurde, hat sie stundenlang das Hinfallen eingeübt; mit einer Sängerin hat sie sich sechs Wochen lang gepeinigt, um sie die ersten Worte im Fidelio sprechen zu lehren. Von nah und fern wurde sie in Anspruch genommen. So habe ich unter ihren Papieren einen Brief von Frau Anschütz aus Wien – vom 6. Mai 1839 – gefunden, in dem es unter Anderm heißt:

„Empfangen Sie also unsern herzlichen, innigen Dank, daß Sie so gütig waren, meiner Auguste bei einer so schwierigen Aufgabe wie die Fenella in der Stummen von Portici hülfreich beizustehen. Ich wünsche weiter nichts, als daß Augustens Auffassungsvermögen von der Art gewesen sein möge, daß sie im Stande war, den poetischen Geist ihrer liebenswürdigen Lehrerin einigermaßen zu begreifen und durch Fleiß und Aufmerksamkeit die Mühe einer solchen Führerin zu belohnen. Sie schrieb mir voll Freude, daß sie mit dieser Leistung sehr glücklich gewesen sei und dies nur Ihrer vortrefflichen Leitung zu verdanken habe. Ueberhaupt scheint sich ihr junges Herz nicht nur der gefeierten Künstlerin, sondern mehr noch der liebenswürdigen, herzlich guten Frau zugewendet zu haben, denn in jedem Briefe gedenkt sie Ihres Namens und stets mit einer Wärme, daß sich schon manchmal eine kleine Eifersucht in mir hätte regen können; doch fand ich ihre Neigung auch wieder sehr natürlich, da es uns Allen ja auch nicht anders gegangen ist.“ – Und Wilhelmine selbst schreibt in einem Briefe aus Mannheim vom 31. Juli 1853 – als sie längst von der Bühne abgegangen war:

… „Eine Episode in meinem Stillleben hier war die vierzehntägige Anwesenheit von Fanny la Grua mit ihrer Mutter. Sie wünschte meinen Rath und meine Anweisung für vier bedeutende Rollen, welche sie zum Herbst in Wien singen soll. Die Rollen waren: Fidelio, Euryanthe, Doña Anna und Romeo! Vierzehn Tage waren allerdings eine kurze Frist; – ich habe für diese Rollen mein halbes Leben gebraucht.“

Von den gewöhnlichen Künstlerkrankheiten: Neid, Schadenfreude, Eifersucht, ist Wilhelmine Schröder-Devrient immer frei geblieben. Sie war stolz auf ihre künstlerische Begabung, sie wußte, daß sie schön war, aber eitel war sie in keiner Beziehung und nie hat sie sich nach ehrgeiziger Künstler und eitler Frauen Art durch die Bewunderung verletzt gefühlt, die Anderen zu Theil wurde. Gegen die Verirrungen des Geschmacks, die Überschätzungen des Mittelmäßigen, die launenhaften Bevorzugungen der Mode hat sie freilich immer, gewöhnlich in derb sarkastischer Weise, Opposition gemacht – und die davon Betroffenen haben ihr das nie verziehen –; aber was wirklich der Bewunderung werth war, hat Niemand freudiger begrüßt als Wilhelmine. Für Pepita’s Schönheit z. B. war sie ganz begeistert; von der Grazie der Taglioni sprach sie noch in der letzten Zeit mit Entzücken, und als sich im Mai tanzende Bayaderen in Dresden sehen ließen, wurde sie von der Anmuth dieser Mädchen so hingerissen, daß sie während der Vorstellung ein kostbares Armband abnahm und es der schönsten der Tänzerinnen umlegte.

Eben so enthusiastisch war sie in der Anerkennung künstlerischer Leistungen. Stundenlang konnte sie von Sophie Schröder, von der Rachel, von der Doche erzählen und ihnen mit begeistertem Gesicht ganze Scenen nachspielen. „Die Rachel war meiner Mutter gleich in der Gewalt der Leidenschaft und der Wahrheit des Ausdruckes,“ sagte sie; „aber an plastischer Schönheit übertraf die Rachel alle Künstlerinnen der Welt.“

Als Wilhelmine die Doche in der Dame aux camélias gesehen hatte, war sie von dem Aufschrei: „Ich kann nicht mehr!“ womit die Schwindsüchtige nach der Versöhnung mit dem Geliebten zusammenbricht, so erschüttert, daß sie sich weinend in ihren Wagen warf, weinend zu Hause ankam und sich stundenlang nicht fassen konnte. „Das war vollendete Kunst! das war wirkliches Leben!“ rief sie aus, als sie davon erzählte.

Nach einem Concerte des Pianisten Henselt – den 14. Januar 1837 – schrieb sie in ihr Tagebuch: „Henselt! meine Seele neigt sich in wehmüthigem Schauer vor seinem Genius, der mit einem Flammenschwert über unsere Häupter hinschwebt. Heilige Begeisterung, begeisterter Wahnsinn strömt aus diesen Fingerspitzen! Blasser, Armer, Kranker, Glücklicher, bald Aufgelöster! soviel Gottheit kann dein feiner Körper nicht lange beherbergen!“

Bei einer Gesellschaft im Carus’schen Hause kamen Wilhelmine Schröder-Devrient und die Ungher-Sabatier zusammen. Wilhelmine sang Schubert’sche Lieder, wie sie nach ihr wohl nie wieder gesungen werden. Ihre Zuhörer waren tief ergriffen – und doch war der Beifall noch größer, noch anhaltender, als nach ihr die Ungher Sabatier ein paar neapolitanische Volkslieder von wunderbarer Frische und Anmuth vortrug. Aber die wärmste Bewunderung, der herzlichste Dank wurde der Sängerin von Wilhelmine Schröder-Devrient zu Theil, die ihr mit dem Ausdruck des höchsten Entzückens gegenüberstand und immer mehr zu hören verlangte. In der Freude an der Kunst vergaß Wilhelmine alle Nebenbuhlerschaft, und wie oft ist sie im geselligen Verkehr in liebenswürdigster Bescheidenheit in den Schatten getreten, um anderen Talenten Raum zu geben!

Im December 1848 gastirte die dänische Tänzerin Lucile Grahn in Dresden. Sie hatte, wie sie mir selbst erzählte, längst gewünscht, Wilhelmine Schröder-Devrient kennen zu lernen, aber es gelang ihr nicht, die Ersehnte an einem dritten Ort zu treffen – von der Bühne war sie damals schon zurückgetreten, und sie zu besuchen, wagte Lucile nicht, weil sie gehört hatte, daß sich die große Künstlerin über das Ballet im Allgemeinen sehr geringschätzend auszusprechen pflegte. Dennoch war Wilhelmine bei jeder Vorstellung Lucile’s im Theater, und die junge Tänzerin sah mit Zittern und Zagen nach dem Platze im Amphitheater, wo die Gefürchtete saß. Anfang Januar 1849 ging das Gastspiel zu Ende, und Lucile war eines Morgens eifrig mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt, als ihr eine fremde Dame mit einem prachtvollen Blumenstrauße gemeldet wurde. Es war Wilhelmine Schröder-Devrient, die der jungen Künstlerin einen Abschiedsgruß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_298.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)