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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

des Meisters nieder. Ich fühlte das Glück, seine Stütze sein zu dürfen.

„Rietschel, kommen Sie herauf!“ rief der Großherzig vorn Balcon, der im Angesicht des Denkmals errichtet war. Rietschel ging hinauf, endloses Hoch aber- und abermals; der Großherzog umarmte ihn vor Aller Augen.

Als ich nach Beendigung des Festes mit Rietschel heimging, sagte er: „O Lieber, wenn ich nur noch einmal da hinaufsteigen, da und dort drücken könnte! Manches tritt heraus, was ich nicht so wollte, und Manches tritt zurück, was ich anders meinte. Ich hab’s noch nicht unter freiem Himmel gesehen, und jetzt ist nichts mehr zu machen.“

Zu Haus sah ich zum ersten Male in unserm Gemeinleben Rietschel weinen. Ich that Alles, was ich konnte, um ihn zu beruhigen, und die Cigarre, die ich ihm bot, half am meisten. Aber auch ein gutes Wort stieg in mir auf, und ich sagte ihm: „Nun giebt es nur noch Eines, das Dich zu einem neuen Leben und höher hebt. Du mußt das Luther-Denkmal ausführen.“ Er umarmte mich innig und sprach mir seinen glückseligen Dank aus, daß ich ihn jetzt auf ein Höheres, Größeres noch hinweise. Später, als er den Auftrag in der That erhielt, sprachen wir noch oft von dieser Stunde. – Wir saßen dann wieder in dem Garten bei den Freunden und rauchten und plauderten und scherzten. Es giebt nach so hoch gespannten Erregungen nichts, was die Fortsetzung dieser Stimmung erhalten könnte, und es ist seelisch und körperlich nöthig, daß zur Erstarkung wieder eine Rückkehr in das alltägliche Leben hergestellt wird.

Mit einem Behagen ohne Gleichen saß Rietschel in der Laube, rauchte und trank Bier dazu, bis der Hoffourier kam und ihn in’s Schloß zum Großherzog rief. Wir wußten, daß ihm ein hoher Orden zugetheilt werde. Am Nachmittag trafen wir uns wieder bei der Hoftafel, wo die Künstler und Gelehrten alle geladen waren.

Rietschel war die ganzen Festtage immer zu Hofe geladen. Nun sollte am andern Tage die Festfahrt nach der Wartburg vor sich gehen. Wir saßen wieder bei unserm Frühstück, wo sich Viele versammelten, da kam der Oberbürgermeister mit einer Deputation des Gemeinderathes und brachte Rietschel das Diplom als Ehrenbürger. Er antwortete in einfachen und herzlichen Worten. Jetzt, hieß es, kommt eine Deputation der Jenaer Universität. „Wenn sie mich nur um Gotteswillen nicht lateinisch anreden,“ sagte Rietschel zu mir. Ich wollte im Uebermuthe diese seine Besorgnis; zum allgemeinen Besten geben, aber er hielt mich davon ab. Er hatte etwas tief Verschämtes in seiner Natur, das jeder Neckerei abhold war. – Auch als nunmehriger Doctor antwortete er einfach und gerad.

Rietschel war auch heute wieder zu Hofe geladen. Wir bestürmten ihn aber Alle, daß er die Festfahrt nach der Wartburg mitmache, da ohne ihn dieselbe ohne Mittelpunkt sei. Es fehlte ja außerdem an einer großen Festhalle, wie sie die Schweizer zu ihren Schützenfesten so trefflich herzurichten verstehen, in der sich die Festgenossen hätten versammeln können. Man hatte damals auch Furcht vor politischen Demonstrationen, die sich immer kundgeben, auch da, wo sie nicht hingehören, so lange das Einzige noch nicht erreicht, daß Deutschland ein wirklicher und einiger Staat ist. – Rietschel hatte auch offenbar Lust zur Mitfahrt nach der Wartburg, aber er glaubte die Einladung zu Hofe nicht umgehen zu dürfen; da übernahm es endlich ein dem Hofe nahestehender Herr, Rietschel für das Nichteintreffen bei der heutigen Hoftafel zu entschuldigen.

In frischer Morgenluft ging’s nun zum Bahnhofe, und eine große Versammlung festlich gestimmter Genossen, Frauen und Männer, fuhr mit dem Extrazuge durch das Thüringer Land dahin, bis nach Eisenach. Rietschel war überaus glücklich und munter. Auf dem Eisenacher Bahnhofe theilten die Ortsbehörden an Einzelne verschiedenfarbige Bänder aus, damit sich Gruppen zur Auffahrt und zum Aufgang nach der Wartburg bildeten, von denen ich eine anführen sollte. Ich erhielt die grünen Bänder. Rietschel und seine Frau waren mit unter unserer Gruppe. Der Bürgermeister führte uns durch den schönen Park, wo wir bald im Ausruhen, bald im Dahinschreiten Allerlei sprachen und uns an den schönen Durchblicken erquickten. Am Ausgange des Parkes warteten Wagen auf uns, mit denen wir die größte Strecke des Berges fast bis vor das Thor fuhren. Helle Trompetermusik – der Festmarsch aus Richard Wagner’s Tannhäuser – begrüßte uns am Eingang der Wartburg des deutschen Geistes. Große Festtafeln waren im weiten Schloßhof aufgestellt. Andere Gruppen waren uns schon vorausgeeilt. Die Officiere und höheren Beamten und vorzüglich der vortreffliche Kreisdirector v. Schwendler machten die Festordner. Es wurde Speise und Trank aufgetischt. Für uns war eine besondere Laube bereit gehalten, und hier wurde Rietschel erst recht der Mittelpunkt eines großen freien Festes. Wir durchstreiften die Säle, wo dann im großen Fürstensaale ein Vortrag über den alten Bau und über die Erneuerung dieser Burg gehalten wurde. Auf dem kleinen Seitenbalcon stand ich mit Rietschel und hinaus schauend in die sonnenbeschienene weite Landschaft, sprach er beglückt davon, daß es nicht leicht eine Landschaft gäbe, die mehr grunddeutsch spräche als diese. Im Nebenzimmer neben dem Lutherzimmer saß ich lange mit Rietschel allein, wo wir uns in das Stammbuch des liebenswürdigen Schloßhauptmanns Arnswald einschrieben. Unvergeßlich ist mir’s, daß Rietschel mir da sagte: „Du hast mich gestern darauf hingewiesen, und jetzt bin ich da. Ja, das möchte ich vollenden, das Lutherdenkmal, dann habe ich genug gelebt.“ Wir zogen endlich auf dem Waldwege den Berg hinab und steckten frische Eichenzweige auf den Hut, und ein Lied, das ich im vergangenen Winter bei einem Feste auf Rietschel verfaßt hatte, wurde vertheilt und gesungen.

Einer gehobeneren Stimmung, als jene war, da wir nach einem so herrlichen Tage zurückfuhren, erinnere ich mich nicht. Auch Rietschel war ganz voll Seligkeit. Der frische Athem der Berge hatte ihm so wohl gethan. Alle, die mit uns in demselben Wagen saßen, waren ganz beglückt von dem wonnestrahlenden Wesen des Meisters, dessen ganze tiefreiche Innigkeit jetzt heraustrat. Und als die Sonne so prachtvoll niederging, da überreiche eine gesangeskundige Dame Rietschel ein Gedicht, das sie auf diese Stunde gedichtet. – –




Sakarra, die Stadt der Gräber.
Aus einem Tagebuche.

Wir hatten vierzehn Tage unter der Akropolis von Nauplia (Napoli di Romania) gelegen, als Baron Bruck, der Commandant unserer Kriegsfregatte „Erzherzog Friedrich“, den Befehl gab, die Anker zu lichten, um weiter nach Süden zu gehen. Anfangs vom herrlichsten Wetter begünstigt, sahen wir erst nach drei Tagen die Insel Milo am Horizonte auftauchen; denn nur am Tage durchfurchte unser Schiff die Salzfluth, am Abend wurde „beigelegt“, so daß wir uns ungestört an den herrlichen Sonnenuntergängen ergötzen konnten, welche die tiefblauen Wasser des Archipels mit dem prächtigsten Violett färben. Ein aufsteigender Sturm zwang uns, in den tiefen, von hohen Bergen umschlossenen Hafen zu laufen, in den sich bereits mehrere Kauffahrteischiffe geflüchtet hatten.

So gewannen wir Gelegenheit, die schönen Schwefelbäder der vulcanischen Insel zu genießen, besuchten das große, in Felsen gehauene Amphitheater und erstiegen den hohen Berg, auf dem das Dorf Antimilo gelegen ist und von dem aus wir einen köstlichen Blick auf die Gruppe der Cykladen hatten. Nach vier Tagen erst stachen wir wieder in See, umschifften Cap Matapan, die südlichste Spitze des europäischen Festlandes, und landeten auf Cerigo, dem Kythere der Alten. Sie ist die südlichste Insel der ionischen Republik, reich an üppigen Olivenwäldern und Weinbergen, im Alterthum hochberühmt und heilig durch den Cultus der Venus, die, dem Meerschaum entstiegen, einst hier landete. Wir sahen in zwischen nur die steilen, kahlen Küsten und hatten kaum die Zeit, den Leuchtthurm zu besuchen, der auf Cap Spati thront: unsere Fahrt ging immer südlicher, unser nächstes Ziel war Candia, der äußerste Punkt Europa’s. Die Fregatte hatte jedoch Befehl, zuvor einige Wochen hier zwischen Morea und Candia zu kreuzen.

Es waren dies herrliche Tage, noch herrlichere Nächte; rings um uns nur Meer und Himmel, Himmel und Meer – selten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_315.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)