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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

bildet und um Entschuldigung über die Aeußerung zu bitten scheint.

Reichardt bejahte und stellte bei den neuen kritischen Blicken, welche den Kasten von allen Seiten trafen, seine Beobachtung über die durchgehende, eigenthümliche Liebe der Neger zur Musik und besonders zur Violine an.

„Ist keine Schale von einer amerikanischen Fiedel,“ bemerkte der Zweite sachkundig, „muß ein feines Instrument sein.“

Reichardt öffnete den Deckel und nahm die Violine heraus.

„O, könnten Sie nicht einmal zeigen, wie sie klingt, Master?“ fragte der Erste schüchtern, als die musternden Blicke das ganze Aeußere überlaufen. Reichardt sah um sich; er sah Niemand als die zum Boote gehörigen Arbeiter, deren Augen aber schon sämmtlich auf ihn gerichtet waren – er hatte in der Gesellschaft dieser Menschen noch Tage zu verbringen, und es konnte nichts schaden, wenn er sie sich freundlich erhielt. Zudem sehnte er sich selbst nach der Langweile des endlosen Nachmittags nach irgend einer Abwechselung. Die Maschine ging ohne bedeutendes Geräusch ihren regelmäßigen Gang, und so setzte er nach kurzem Besinnen die Geige unter das Kinn und begann Vieuxtemps’ Yankee-Doodle, den er sich noch kurz vor seiner Abreise nach Amerika mit allen musikalischen Kunststücken und modernen Effecten eingeübt. Er hatte kaum die kurze Einleitung zu Ende gebracht und das Thema begonnen, als auch schon Alles, was Menschliches im Deck vorhanden war, lautlos in seiner Nähe stand. Kaum aber arbeitete er sich durch die Effectstellen der ersten Variation, so wurde auch ein polterndes Geräusch über dem Haupte des Spielenden laut, und die Passagiere des Salons, wie zusammen aufgescheucht, kamen in langen, behutsamen Sprüngen herabgeeilt. Als Reichardt aufblickte, sah er einen weiten Kreis von Zuhörern mit aufgerissenen Augen, Erstaunen und Interesse in allen Zügen ausgeprägt, um sich – er brach mitten in einer Passage ab und warf einen unzufriedenen Blick auf die ungeladenen Bewunderer. Dieses plötzliche Herzudrängen kam ihm so sehr als Verstoß gegen jede gute Lebensart vor, daß er eben eine Bewegung machte, sein Instrument in den Kasten zu bergen, als ein stürmisches: „Go on! go on!“ von allen Seiten auf ihn hereinbrach.

„Gentlemen, ich habe nicht daran gedacht, mich hier vor Jemand hören zu lassen!“ erwiderte er unmuthig.

„Thut nichts! Weiterspielen!“ klang es.

„Spielen Sie doch, was schadet es Ihnen denn?“ hörte Reichardt des Capitains Stimme an seinen Ohren, „Sie machen sich ein halbes Hundert Freunde auf einmal, das ist Alles!“

Der junge Mann setzte zögernd die Violine wieder an. Schaden konnte es in den Verhältnissen, in welchen er sich befand, allerdings nichts. Er nahm die Pièce vom Anfange wieder auf und führte sie unter dem Todesschweigen seiner Umgebung, das nur bei einzelnen Glanzstellen von einem unterdrückten freudigen Lachen oder einem leisen Gemurmel unterbrochen wurde, mit seiner ganzen Sicherheit zu Ende.

Wüthendes Trampeln und Johlen lohnte ihm, kaum legte sich aber der Spectakel und Reichardt wollte seine Geige wieder wegschließen, als er sich von beiden Seiten gehalten fühlte.

„Sie sind jedenfalls Musiker von Fach,“ sagte einer der eleganten jungen Männer, welche sich an ihn gedrängt, „und sicher werden Sie etwas für unsere Ladies thun, die vor Langweile sterben. Wir arrangiren heute Abend einen kleinen Tanz, wenn Sie nur spielen wollen!“

Reichardt wollte eben eine bestimmt abwehrende Bewegung machen, als er kräftig seine Hand gefaßt fühlte. „Thun Sie es, thun Sie es mir zur Liebe!“ klang wieder des Capitains Stimme halblaut, „ich sage Ihnen, Sie werden’s nicht bereuen!“ und des Deutschen Widerstand erstarb. Er hätte nach der Freundlichkeit, die ihm von dem Manne zu Theil geworden, diesem kaum etwas abschlagen können.

„Ich bin nicht Musiker in dem Sinne Ihrer Worte, Gentlemen,“ sagte er, „und am wenigsten ist Tanzspielen meine Leidenschaft oder meine Beschäftigung. Wenn ich aber Ihrem Wunsche hier genüge, so geschieht es allein der Ladies wegen!“

„Gut, Sir! und wir werden’s zu schätzen wissen!“ rief der frühere Sprecher, „jetzt aber kommen Sie mit uns und lassen Sie uns einen Drink Drink all round nehmen. Das wird doch wirklich der erste vernünftige Abend, den ich seit langer Zeit auf dem alten Cumberland-Flusse gehabt habe!“

Reichardt sah sich in das Schenkzimmer neben der Herren-Cajüte gezogen, und fast wollte es ihm wirklich unter den Händedrücken, welche ihm von allen Seiten zu Theil wurden, scheinen, als habe er mit einem Schlage fünfzig Freunde mehr gewonnen, wenn er auch von keinem nur den Namen kannte. – Das Abendessen war vorüber. Reichardt stand, mit seiner Violine bereit, an einem der offenen Fenster im Salon und beobachtete den Nebel, welcher sich am Abend als dicke, fast undurchsichtige Dunstmasse auf den Fluß gelegt. Selbst die farbige Laterne am Vordertheile des Schiffes war in der geringen Entfernung nur wie ein schwach leuchtender Lichtkreis bemerkbar. Aber die aus der Damencajüte hereinrauschenden Paare unterbrachen seine Beobachtungen. Die Quarrés stellten sich unter Scherzen und Lachen auf, und die „Reels“, welche Reichardt nothgedrungen in Taratoga hatte lernen müssen, kamen ihm jetzt zu Gute. Die Paare flogen wie elektrisirt unter seinem Bogenstrich, und das glückliche, anerkennende Nicken, welches ihm die Tänzer in den Ruhepausen spendeten, ließ ihn immer von Neuem das ermüdende Opfer, welches er brachte, vergessen.

Drei Mal war die Quadrille bereits zu Ende und eine Ruhepause eingetreten, als der Capitain zu ihm trat und ihn bei Seite zog. „Well, Sir,“ sagt er, „die jungen Gentlemen erkennen Ihre Bereitwilligkeit zur Förderung des allgemeinen Vergnügens in hohem Grade an und wünschen sich Ihnen dankbar zu erweisen. Sie haben mich beauftragt, Ihnen die Summe, welche sie zusammengeschossen haben, zu übergeben –“

Reichardt’s Hand zuckte unter der Berührung einer kleinen Rolle Banknoten, welche ihm der Capitain zuschieben wollte.

„Thun Sie mir das nicht an, Sir!“ rief er mit unterdrückter Stimme, „ich bin kein Tanzfiedler für Geld, ich bin Ihrem Wunsche gefolgt, nur um Ihnen erkenntlich zu sein –“

„Weiß es, weiß es!“ winkte der Andere beruhigend, „ehrlich verdientes Geld sollte aber Niemand beleidigen. Ich nehme meinen Frachtbetrag, ob es für Schweine oder für Seidenzeug ist, und bei einem Musiker sehe ich nicht ein, wo der Unterschied liegt, ob er sein Geld beim Concertspielen oder beim Tanzspielen macht.“

„Es ist derselbe Unterschied, Sir,“ erwiderte Reichardt aufgeregt, „wie zwischen einem Niggerfiedler und einem weißen Künstler.“

„Das ist es also? so! mag etwas darin liegen!“ nickte der Capitain, „es soll so sein, wie sie sagen – aber wenn ich Sie heute Abend vom Deck nach dem Salon heraufquartiere, werden Sie hoffentlich nichts dawider haben?“

„Ich würde’s aber nur Ihrer Freundlichkeit anrechnen, Capt’n!“

All right! rechnen Sie es an, wem Sie wollen, ich werde den Gentlemen Bericht erstatten.“ Er ging mit einem launigen Kopfnicken davon, und Reichardt begab sich wieder an seinen Platz, seine Geige ergreifend.

Wieder erklang ein neuer „Reel“, den der Deutsche nach dem Muster der früheren aus dem Stegreife spielte, wieder flogen die Paare lachend durcheinander, als plötzlich ein Stoß, ein Prasseln erfolgte, daß die Kronleuchter klirrend die Seitenschnuren zerrissen, und die Menschen gegen die Wände taumelten. In demselben Augenblicke klang die Dampfpfeife zum Einhalten der Maschine, und wurde dicht neben dem Boote von einem gleichen Signal beantwortet.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_324.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)