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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Deutscher

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Wie betäubt, starren Schrecken im Gesicht, stand einige Secunden lang Alles, was sich eben noch so fröhlich durcheinander bewegt, bis plötzlich Leben unter den männlichen Theil der Gesellschaft kam, Einzelne nach der Ausgangsthür stürzten, während Andere die Damen mit hastiger Zusprache nach den Divans führten und dann den Ersteren folgten. Von draußen klangen laute Worte des Capitains durch die offenen Fenster herein, von einer entfernten Stimme beantwortet; schwere Tritte eilten zu beiden Seiten über die Gallerien, und bald ertönten mächtige, das ganze Verdeck erschütternde Schläge gegen das Boot. Reichardt hatte nach der ersten Ueberraschung seine Violine bei Seite gelegt und war den Davoneilenden gefolgt; er sah aber bald, daß die vor dem Ausgange sich zusammendrängende Passagiermenge ebensowenig als der dicke Nebel ihm gestattete, sich von der Natur des Geschehenen oder dem Grad einer möglichen Gefahr zu unterrichten, und trat, nachdem er auf keine seiner Fragen eine Antwort hatte erhalten können, in den Salon zurück, wo ihm die Augen sämmtlicher Ladies in peinlicher Erwartung entgegenstarrten.

„Ich glaube kaum, daß der Unfall bedeutend ist!“ sagte er, um nur etwas diesen fragenden Blicken zu entgegnen; kaum hatte er sich aber nach seinem frühern Platze an einem der offenen Seitenausgange gewandt, als auch der Capitain, gefolgt von den Passagieren, den Salon betrat. „Alles in Ordnung, Ladies, keine Gefahr!“ rief der Eintretende, „hätte aber bei dem verwünschten Nebel ein richtiges „Smash up“ geben können, wenn nicht ein sonderbarer Umstand gewesen wäre!“

In diesem Augenblicke klang die Dampfpfeife, ein gleiches Signal antwortete neben dem Boote, und die ersten Stöße der neu mit ihrer Arbeit beginnenden Maschine machten alle Theile des großen Fahrzeugs erzittern.

„Es ist die „Belle“, die gegen uns gelaufen ist.“ fuhr der Sprechende fort, während die Reisenden begierig nach Näherem sich um ihn drängten; „wir haben nur einen Radkasten eingebüßt, aber ihr Außenzeug scheint ziemlich schlimm zugerichtet. Daß wir aber diesmal nur mit einer Schramme davongekommen sind, verdanken wir Niemand, als dem Gentleman hier!“ Reichardt sah plötzlich alle Blicke auf sich gerichtet, sah des Capitains Hand gegen sich ausgestreckt, und fühlte sich im ersten Momente fast verblüfft von der sonderbaren Angabe. „Glaub’s gern, daß Sie nichts davon wissen,“ fuhr der Capitain lachend fort, ihm kräftig die Hand schüttelnd, „demungeachtet ist es so, und wenn Sie jemals dieselbe Tour wieder machen, so suchen Sie die „Mary Brown“ auf, es soll Ihnen kein Cent Passage abgenommen werden. Die Sache ist die, soviel ich aus den kurzen Worten des Capitains von der „Belle“ habe entnehmen können,“ wandte er sich zu den Uebrigen, „unser rothes Licht scheint heute Nacht Mucken gehabt oder sich mit dem Nebel schlecht vertragen zu haben; es hat so trübe gebrannt, daß man fünf Schritte davon kaum eine Art unbestimmten Schein in dem Dunste gesehen hat, und die „Belle“ wäre uns jedenfalls gerade auf den Leib gefahren, wenn der Mann im Steuerhäuschen nicht schon ein paar Minuten vor dem Zusammenstoß den lustigsten Reel aus dem Nebel hätte klingen hören.

Im Anfange hat er gemeint, der Schall komme aus einem Hause am Ufer, und er habe unrecht gesteuert, bis er noch zu rechter Zeit auf die richtige Vermuthung gekommen und sich, soviel er gekonnt, nach dem Klänge gerichtet hat – das ist die Sache; aber eine Mordsfiedel muß das sein, die Sie da haben, Sir, und es ist ein Glück, daß ich Zeugen mit nach St. Louis bringe, sonst würde ich mit meiner Geschichte ausgelacht!“

„Die Violine trägt weit, das ist die Wahrheit,“ erwiderte Reichardt lachend, „wenn ich mir auch nicht hätte träumen lassen, daß sie noch einmal zum Signal-Instrumente dienen würde.“

Das frühere Gefühl der Sicherheit stellte sich bald wieder in der Gesellschaft her, besonders als der Capitain meldete, daß alle möglichen Vorsichtsmaßregeln zur Verhütung eines ähnlichen Falls getroffen seien; die Tanzlust schien aber der gehabte Schrecken vertrieben zu haben, und Reichardt sah sich bald mit seiner Violine, welche die Runde unter den kopfschüttelnden Passagieren gemacht, in eine der bequemen „Cabins“ einquartiert, während die erhaltene Gepäckmarke ihn über die Sicherheit seines Koffers beruhigte.

„Doch noch nicht ohne Glück!“ sagte er, als er sich auf die weiche Matratze warf, „also nur immer den Kopf hoch, und das Uebrige wird sich schon finden!“

Die übrigen Tage der Reise vergingen mit all der Eintönigkeit einer amerikanischen Flußdampfschifffahrt. Reichardt fühlte, daß trotz der Freundlichkeit seiner Mitpassagiere das „Deck,“ auf welchem er Passage genommen, wie eine unsichtbare Scheidewand zwischen ihm und der übrigen Gesellschaft stand, und hielt sich für sich, soviel er konnte. Zweimal wurde er aufgefordert, die Ladies mit seiner Kunstfertigkeit zu unterhalten, und er that dies so ganz mit der Miene des Weltmanns, der sich freut, sich Jemand verbinden zu können, daß man später Anstand zu nehmen schien, weitere Opfer von ihm zu verlangen. Während aber der größte Theil der Reisenden die Zeit entweder mit Kartenspielen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_337.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)