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zu erkennen, lobte den treuen Diener, schenkte ihm einen Hammel und befahl, daß an dem Tage Bartholomäi, dem Namenstage des Knechts, die Schäfer alljährlich ein Fest der Freude und des Andenkens an diese That feiern sollten.“

So wenig diese Sage geschichtlichen Grund hat, so sehr zeigt sie, daß der Ursprung des Festes, das sich vorzugsweise auf die Schäfer und die mit ihnen sonst zusammengerechneten Metzger bezieht, sich in das graueste Alterthum verliert. Der Tag des Festes ist zugleich der Tag der Kirchweihe der Stadt; denn die Kirche war schon 1277 erbaut und dem heil. Bartholomäus gewidmet. Es dürfte aus diesem Umstande sich ergeben, daß schon zur Zeit der Hohenstaufen, die ohnehin dem Gedeihen der Volksfeste in Schwaben jeden Vorschub leisteten, dieses Schäferfest gefeiert wurde. Die erste geschichtliche Spur findet sich übrigens in einer Rechnung des Spitals der Stadt vom Jahr 1443–44, in welcher erwähnt ist, daß der Meister den Conventbrüdern, Knechten und Mägden an Bartholomäi gekauft habe „Seckel, Messer und Nestel.“[1] Als begünstigende Momente zur Ausbildung des Festes dienten der frühe Wohlstand der Stadt, die große Markung, die bei dem vormals sparsameren Anbau reiches Weideland für zahlreiche Heerden bot, wodurch die Gründung eines Sitzes der Schäferzunft sich von selbst ergab, die Anordnung eines Woll- und Schafmarktes und endlich das Wett- und Preislaufen als Spiel der Erwachsenen, der Söhne und Töchter der Schäfer. Wie besucht und bedeutend aber dieses Fest war, möge uns ein Straßburger Gelehrter, Lorenz Fries, darthun. In seinem Buch „von Beschreibung der Meercharten, gedruckt im Jahr 1525“ sagt derselbe: „Allda (nämlich zu Gröningen, das liegt in Schwaben) ist auf nächsten Tag nach St. Bartholomäi ein freier Markt, und auf einen Tag kommt wohl so viel Volks dar, als auf einen Tag gen Frankfurt.“ Um also ein Bild zu geben, muß sich Fries auf einen Tag der berühmten Frankfurter Messe beziehen. Nahmen doch die Herren des würtembergischen Landes und die Mitglieder des würtembergischen Hauses selbst daran Theil! Hatten sie doch nichts in ihrem Lande, das sich hätte mit diesem Feste vergleichen lassen! Und im Verlaufe der Zeit bis zum Anfang dieses Jahrhunderts fehlte es nie an Gästen aus der Mitte des geliebten Regentenhauses. Besondere Aufmerksamkeit richtete Herzog Eberhard III. nach dem dreißigjährigen Krieg auf den Schäfertag und die Schäferzunft. Neben andern Handwerksordnungen gab dieser Fürst eine erneuerte Schäferordnung (21. August 1651) und unterschrieb eigenhändig den pergamentenen Brief, der sie enthält.

Jung und Alt rührt sich schon tagelang, würdig sich vorzubereiten auf die freudigen Stunden des heiligen Bartholomäus. Vornehme und Geringe, Vermögliche und Dürftige scheuen kein Opfer der Gastfreundschaft; gilt es doch die Ehre der Stadt! Rauchsäulen steigen empor, und um die Häuser verbreiten sich Düfte, geeignet, das Herannahen von außergewöhnlichen Freuden zu verkündigen. Auf öffentlichen Plätzen, in den Straßen deuten Zurüstungen auf einen Markttag. Schäfer und Schäferinnen ziehen allmählich in’s Städtchen; es zeigen sich schon die bestellten Pfeifer der Schäferzunft; schon erblickt man den Dudelsack, die Querpfeife. Auch entferntere Gäste finden sich ein. Freundliche Blicke winken dem Fremden den Gruß zu. Lockende Töne aus einzelnen Schalmeien dringen an’s Ohr. Dort in friedlicher Herberge tanzen nur Etliche sittsam ein Tänzchen zur Uebung. Horch, es klingt ein Ständchen von Schäfern, den „Herren“ gebracht, herüber. Nacht ist’s geworden; der Vorabend des Festes ist da! Und zum Nachtgruß wirbeln die Trommeln und tönen die Pfeifen der Stadtwache durch alle Straßen des Städtchens. Und den erhabenen Schluß bildet das Schreien freudig nacheilender Gassenjungen! Aber wenn auch der Lärm aus Gassen und Plätzen verstummt ist, in den Häusern ist’s doch noch nicht stille geworden; nicht will der Schlaf die ermüdeten Augen schließen. Naht doch ein Morgen voll Lust!

Und siehe da, kaum graut der Tag, der ersehnte, so erhebt sich aus’s Neue Geräusch, denn die Stunde der Freude, schlüge sie jemals zu früh? Pfeife und Trommel der Stadtwache künden geräuschvoll sie an; mit Tagesanbruch beginnt sie den Umzug. Ueberall Rührigkeit, überall emsiges Treiben! Die Schäferobermeister ziehen mit Musik und mit fliegender Fahne vor die Stadtschreiberei, um ihren Obmann, den Stadtschreiber und die Lade der Zunft[2] auf das Rathhaus abzuholen. Dort wird die Fahne aufgesteckt; sie flattert gegen den Marktplatz hin. Geschäft und Freude beginnen zumal. In der großen Rathsstube geht das Ein- und Ausschreiben der Schäferjungen, das Einsammeln des Leggeldes bei Meistern und Knechten, die Austheilung der Nestel und Bänder an sie und dergleichen vor sich. In der geräumigen Hausflur tanzt die junge Schäferwelt unter aufregenden Hoffnungen des Tages beim hüpfenden Ton der Schalmeien. Die Zahl der Fremden wächst mit jeder Stunde. In allen Straßen, in allen Häusern giebt es, je nach Stand, Bildung und Bekanntschaft, Gruß und Kuß, Händedruck und Bückling. Der Krämer legt ohne Säumniß seine Waaren zur Schau; Handwerker um Handwerker ordnet, was seiner Hände Fleiß hervorgebracht, und auch der, „welcher die Einfalt durch tausend Künste und durch der Worte Schwall zu berücken pflegt, setzt sich in seine vielversprechende Stellung.“ Auf einmal ertönt das Geläute der Glocken, sie rufen zur Kirche Einheimische, Fremde. Ein langer, langer Zug schwebt die breite Treppe des Rathhauses herunter; beschaut von einer Menge Neugieriger, ordnet und vervollständigt er sich unten mehr und mehr. Die Spitze des Zuges bilden die Ladenpfeifer und Schäfer, mit ihren Schalmeien und Querpfeifen den Schäfermarsch blasend.[3] Nach ihnen kommt der erste Zug der Stadtwache, dann folgt die fliegende Fahne, getragen von dem Stadtschäfer Gröningens und umgeben von Obermeistern, die an ihrem Schäferstabe silberne Schippen haben. An diese reihen sich der Oberamtmann, der Stadtschultheiß, die Vorsteher der Schäferzunft und Andere. Den Schluß des Ganzen macht der zweite Zug der Stadtwache. Feierliche Festmusik empfängt die in die Kirche Eintretenden. Nach Absingung einiger Liederverse besteigt der Diaconus die Kanzel und hält eine Predigt dem Feste angemessen, die theils aufmerksam, theils voll Zerstreuung hingenommen wird, jedenfalls aber baldigst endigen muß, wenn nicht Murren über das säumige Amen vernommen werden soll. Hastig drängt sich die Menge durch die Kirchthüren hinaus und rennt spornstreichs davon, um bei dem nunmehr beginnenden Hammellauf einen günstigen Standort zu erhalten. Vornehme eilen in ihren Wagen hinaus.

Endlich ziehen die „Herren“ und Schäfer in demselben Zuge, wie sie gekommen waren, auf das Rathhaus zurück. Dort wird die oben berührte Schäferordnung verlesen; dort werden die Preise, welche nach dem Laufe ausgetheilt werden sollen und die in allerlei Kleidungsstücken bestehen, an die Schippen der Obermeister gebunden; dort wird an der Rathhaustreppe der mit Bändern und Blumen geschmückte Hammel in den Zug aufgenommen. Dieser Hammel wird von dem Stadtschäfer geführt und nach der Musik eingereiht. Ihm schließen sich an die fröhlichen Burschen und Mädchen, welche den sogenannten Sprung wagen. Der Oberamtmann, der Stadtschultheiß und Andere folgen, begleitet von stattlichen Reitern. Von Zuschauern dicht umgeben, bewegt sich der Zug auf den Festplatz. Auf einem Stoppelfeld ist die 300 Schritte lange Rennbahn hergerichtet. An dem einen Ende stellen sich die Springenden auf; am andern befinden sich die Kampfrichter. Auf beiden Seiten der Bahn wartet eine zahllose Menschenmenge, sei’s zu ebener Erde, sei’s auf Gerüsten und Wagen, sei’s hoch zu Roß, bis das Zeichen zum Wettlaufe gegeben wird. Endlich flattert das weiße Tuch. Barfüßig, die spitzigen Stoppeln nicht scheuend, kommen auf Sturmesflügeln die Burschen herbei. Gleiches Schauspiel bei den Mädchen. Zurufe der schauenden Menge feuern die Kämpfenden an. Aber es geht nicht ganz ohne Neid und Schabernack ab. Da giebt eine Dirne einer andern einen „gelinden“ Puff in die Seite, der ihr den Athem auf einen Augenblick nimmt; dort stößt eine an der andern an und Beide kommen zu Fall. Schnell richten sie sich auf und verbergen sich eben so schnell in die Zuschauermenge. Wieder verliert eine Dirne das Gleichgewicht, fällt zu Boden, rafft sich aber rasch wieder auf und humpelt den schadenfroh Vorübereilenden mit Mühe nach. Aber schon hat eine Glückliche keuchend den Fuß der Tribüne erreicht und schaut sich nach dem nächsten besten Sitze um, stolz und triumphirend um sich blickend, da ihr der Sieg ja geworden. Am Ende der Laufbahn liegen die Kampfpreise vor den Kampfrichtern.

  1. Nestel, Bandstreifen von farbigem Leder mit metallenen Spitzen, das Abzeichen der Schäfer.
  2. Die Casse, in welcher die Zunftgelder, die Einlagen der Schäfer, aufbewahrt werden.
  3. Dieser Marsch ist uralt und höchst einfach und für den Gröninger das, was der Kuhreigen dem Schweizer ist.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_342.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)