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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

die, mit Gabeln bewaffnet, sich unter ihrer Anführerin Anna Feichtinger freiwillig anschlossen und, als es d’ran und d’rauf ging, verwegen wie der Teufel unter den Feind fuhren. Um 1 Uhr Nachts sammelte Wintersteller die Hauptleute, unterrichtete sie von dem entworfenen Vertheidigungsplane, demgemäß die Schützen die Abhänge des engen Thales standhaft behaupten, die Sturmmänner rückwärts die Unterstützungen bilden sollten. Ihm gegenüber stand Wrede mit 10,000 Mann Fußvolk und Reiterei und sechzehn Kanonen.

Um vier Uhr Morgens fielen die ersten Schüsse, eine bairische Colonne wollte auf der Straße vorrücken, wurde jedoch bald gehemmt; am schärfsten nahmen die Schützen die Kanoniere und Reiter auf das Korn. Der Versuch einer Umgehung wurde durch die Keulenschläge des Landsturms vereitelt, wobei dem Hauptmann Hörl eine Kanonenkugel den Kopf abriß. Nun entbrannte der Kampf auf der ganzen Front sehr heftig. Wintersteller flog auf seinem weißen Rosse, er war nämlich ein sehr gewandter Reiter, hin und her, überall anordnend und befeuernd. Die Schützen krochen bis auf 120 Schritt gegen die Kanonen und zwangen den Feind zweimal sie zurückzuziehen und, weil die Artilleristen erschossen waren, von Infanterie bedienen zu lassen. Da trat allmählich Mangel an Pulver und Blei ein, die Schützen erboten sich zum Sturmlaufen, sie wollten unter die Feinde springen, um sie niederzuschlagen, Wintersteller verbot es jedoch, weil er die kleine Schaar nicht opfern wollte. So wurde es elf Uhr, aber kein österreichischer Soldat ließ sich sehen. Da befahl Wintersteller einen langsamen Rückzug. Am Aberg, wo ein Bergvorsprung sich an die Straße drängt und diese rechts durch Sümpfe eingeengt wird, wollte er noch einmal Widerstand leisten und einen Verhau anlegen. Vergebens! die Baiern waren ihm auf der Ferse. Den Hansl-Bauer holten drei Reiter ein; er sprang über den Straßenzaun und schoß Einen, der einen Hieb nach ihm führte, nieder; dann lief er querfeldein, verfolgt von den zwei anderen, er hatte aber wieder geladen und schoß den zweiten vom Pferde, dann lud er noch einmal und traf auch den dritten. So erlitt der Feind einen starken Verlust.

Während dieses Gefechtes hielt sich der kaiserliche General Fenner zu St. Johann auf. Als er um vier Uhr früh den feindlichen Kanonendonner vernahm, verlor er derart den Kopf, daß er vom Bette aufsprang und sich eine Weile im Pferdestall verbarg. Dann lief er wie toll im Hause herum und warf sich endlich auf sein Pferd und ritt davon. Auf der Brücke lauerte aber ein Schütz, der den Auftrag halte, Niemand durchzulassen. Er hielt Fenner den Stutzen vor. Dieser rief: „Wer hat Euch das befohlen“ – „Unser Commandant!“ war die Antwort. Er entgegnete: „Euer Commandant bin ja ich!“ – „Das ist nicht wahr,“ entgegnete Jener, „denn wärst Du unser Commandant, so würdest Du jetzt, wo schon die Kanonen schallen, nicht davon reiten.“ Da kam der Hauptmann, zu dessen Compagnie der Schütz gehörte, und sagte ihm: „General, Sie hören, in welcher Gefahr die Unsrigen sind. Jetzt wäre Ihr Beistand am nöthigsten. Ich lasse Sie reiten, wenn aber die Sache schlecht geht, so verklagen wir Sie beim Kaiser.“ Fenner entschuldigte sich, er wolle nur Hülfe holen, und galoppirte davon, nicht die Stimme der Ehre, sondern nur die Kanonen hörend. Seitdem geht in St. Johann der Spruch: „General Fenner war ein Flenner!“

Die Feinde waren durch ihren großen Verlust sehr erbittert. Wie man meistens die Erfahrung gemacht hat, waren nicht die Franzosen, welche nur stahlen, was ihre Klauen faßten, fürchterlich, sondern die Rheinbündler, welche oft mit viehischer Grausamkeit wütheten. Sie waren unedel genug, ihrem tapfern Feinde die Habe zu verwüsten und sein Haus anzuzünden. Wintersteller sah es von ferne auflodern und schwur grimmige Rache. Nur die alte Trommel, die sein Großvater von den Baiern erbeutet hatte, ward gerettet. Er rief aus: „So ist’s recht, ich werde darauf den Mordbrennern zur Hölle trommeln!“ Ueber die Barbarei der Baiern, deren Unthaten selbst ihren in Napoleon’s brutaler Schule gebildeten General Wrede empörten, theilen wir den Brief eines Augenzeugen, des Bauer Millinger, mit. „Die eingefallenen Soldaten raubten und plünderten, was sie bekamen, zerhackten und zerschnitten Kästen, Truhen, Kleidungen, schlugen die Fenster ein und ruinirten Alles; selbst in die Gotteshäuser drangen sie, nahmen Meßgewänder und die geweihten Gefäße, zertrümmerten die Orgeln und Kirchenfahnen, erbrachen die Tabernakel, streuten die heiligen Hostien auf den Boden und nahmen Monstranzen und Kelche mit. Die Einwohner waren geflohen. Sie erwischten nur alte Leute, Troddeln und einige Weibsbilder. Jene stachen sie wie Kälber ab, diesen schnitten sie die Brüste heraus, streuten Salz und Pfeffer in selbe, schändeten sie noch halbtodt, stachen ihnen die Augen aus, schnitten ihnen Nasen und Ohren ab und marterten die unschuldigen Menschen auf’s Gräßlichste, bis sie den Geist aufgaben. Zu St. Johann brachten sie die im Spitale befindlichen Troddeln um, einen umwickelten sie mit Baumwolle, zündeten diese an und jubelten seiner Schmerzen spottend. Wir haben die gefangenen Baiern vor vier Wochen gewiß nicht schlecht behandelt, haben ihnen von unserm Geld auf den Weg noch Brod gekauft, das Mittagsessen mit ihnen getheilt, aber mit uns sind sie ganz anders. Doch ich höre auf von diesem Tage zu schreiben, er war der schrecklichste und traurigste meines Lebens.“

Wintersteller, auf dessen Kopf ein Preis von 100 Ducaten gesetzt war, entfloh in’s Gebirge. Als der Feind vorwärts marschirte, wollte er neuerdings die Schützen sammeln und im Rücken desselben den kleinen Krieg anfangen. Der Dechant Wieshofer bat ihn jedoch, der Klugheit Gehör zu geben, damit nicht alles Eigenthum zerstört und Weiber und Kinder dem Verderben preisgegeben würden. Dieser würdige Priester hat durch seine Vorbitte, durch sein starkmüthiges Benehmen das große Dorf St. Johann vom Untergange gerettet. Als die Franzosen am 12. Mai eindrangen, erbittert durch den hartnäckigen Widerstand bei Waidring, befahl Lefèbvre, St. Johann anzuzünden und den Geistlichen, welchen er für einen Hauptaufwiegler hielt, vor der Kirchthüre zu hängen. Wieshofer warf sich auf den Boden und kroch dem Marschall so lange auf den Knieen nach, bis er für die unschuldige Gemeinde Gnade erhielt. Nun stand er auf und dankte; ohne ein Wort weiter zu sagen, war er bereit, den schmählichen Tod zu erleiden, ein wahrer Hirt, der für seine Heerde stirbt. Lefèbvre bewunderte den Muth des ehrwürdigen Greises und ließ das Todesurtheil nicht vollziehen. Unsere Balladendichter suchen so oft nach Stoffen und stöbern alle Ritterburgen durch; in diesen Kriegsgeschichten liegt genug, um zehn dieser Herren vollauf zu beschäftigen.

Der Feind wurde am Berg Isel geworfen und floh aus dem Lande. Neuerdings bot Wintersteller auf Hofer’s Befehl die Schützen auf und half die Festung Kufstein blockiren. Der französische Marschall zog jedoch Verstärkungen an sich, 5000 Mann brachen in das Pinzgau und konnten von hier aus den Vertheidigern der Ostgrenze in den Rücken fallen. Um so gelegener war es Wintersteller, daß der Führer der feindlichen Armee eine Unterredung mit dem Commandanten der Schützen verlangte. Er sandte zwei Schützen ab, welche einen Vertrag schlossen, demgemäß die Tyroler noch in der Nacht abziehen und die Baiern Tags darauf einrücken sollten. Lefèbvre versprach, ohne Jemand ein Leid zuzufügen, schnell vorzurücken, und hat auch Wort gehalten, indem er, als einige Soldaten plünderten, die geraubten Sachen zurückstellen ließ.

Am 1. August wurden 25 der gefährlichsten Tyroleranführer nach Innsbruck vorgeladen, ihnen jedoch Verzeihung und freie Rückkehr zugesichert. Wintersteller machte sich auf den Weg, zwei seiner treuesten Hauptleute begleiteten ihn freiwillig, entschlossen, jedes Loos mit ihm zu theilen. Man stellte sie alle drei dem General Drouet vor, der, nicht Deutsch verstehend, sich ihre Rechtfertigung verdolmetschen ließ und ihnen schließlich, wenn sie noch einmal aufständen, mit einer Pantomime den Galgen drohte. Wintersteller betrachtete er lang und aufmerksam und klopfte ihm, als er ihn entließ, freundlich auf die Schulter. Tags darauf schickte er ihm einen Paß und den Befehl, schnell heim zu kehren, denn schon drohte Hofer vom Brenner herab. Auch diesesmal unterlag der Feind. Am 21. August kam Hofer nach Wörgl und beauftragte Wintersteller, den Oberbefehl über die Schützen der Gegend zu übernehmen. Er gehorchte mit männlicher Entschlossenheit ohne Rücksicht auf die Gefahren, welche ihm an Leib und Leben drohten. Auch Speckbacher traf ein. Am 24. September marschirten sie mit 4300 Mann ab, wovon die eine Hälfte Speckbacher, die andere Wintersteller befehligte, welcher über Kössen nach Unken vorrücken sollte. Der Feind auf dem Kniepaß wurde von Oppacher geworfen und durch ihn die Verbindung zwischen Beiden hergestellt. Er stellte sich dann in einem Wäldchen an der Saale unweit der Straße auf, um sich nach Erforderniß rechts oder links zu wenden. Speckbacher begann den Angriff bei Lofer und drängte den Feind gegen Unken. Auf der Straße empfing ihn Oppacher. Als kein Entrinnen mehr möglich war, warfen die Baiern ihre Gewehre weg. Oppacher selbst erzählt, daß es ihm bei dieser Scene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_347.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)