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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

auch die Vergnügungen, die seinigen sind diejenigen des Volks. – Wer nun aus dem guten Stadtviertel Trastevere oder dem Borgo liebt es nicht, an schönen Sommernachmittagen in einer Osteria jenseits der Tiber seine Partie alla Boccia oder Piestrella (d. h. dasselbe bekannte Spiel, nur werden anstatt der hölzernen Kugeln gewöhnliche, nur etwas glatt geformte Steine verwendet) zu machen? – So denn auch unsere Frati; die Osterien an der Tiber existiren für sie nicht, sie wählen also ihre zehnmal schönere Veranda. – Die beiden letzten Würfe waren meisterhaft, und unser junger Spieler sucht mit gewohntem Kennerblick gerade zu ermessen, wer von den beiden Gegnern dem Lecco am nächsten gekommen ist (Lecco ist die zuerst ausgeworfene kleine Kugel, der die Werfer so nahe als möglich zu kommen suchen müssen). Oft ist der Kampf recht hitzig, und die endlichen Sieger sind dann nicht weniger befriedigt als ihre Freunde aus dem Volke, wenngleich sie keine frischduftende Foglietta als Siegespreis erreichen können. – Wir begegnen unsern Frati oder einigen ihrer Commilitonen aus andern Orden vielleicht später wieder in Bildern anderer Episoden ihres für den Maler so interessanten Klosterlebens.




Der Zwölfte.

Kleine Bilder aus großer Zeit.
Von Georg Hesekiel.
(Schluß.)


Ueber den Rhein nach Paris; nach Paris zog der Wedell mit seinen Reitern, er half die blutige Bahn zwei Mal hauen und zog zwei Mal mit Orden und Ehren geschmückt in die Hauptstadt des großen Tyrannen ein, der ihn fünf Jahr zuvor nach Cherbourg geschickt hatte, der ihn als Sträfling an die Karre schmieden ließ.

O ja, es giebt doch eine Vergeltung auf Erden!

Dem Major von Wedell war es eine ernste Pflicht in Frankreich, sich sofort in Cherbourg und andern Städten selbst umzuthun, oder doch durch seine Cameraden nachforschen zu lassen nach deutschen Kriegsgefangenen, die der gestürzte und verbannte französische Kaiser in der grausenhaften Ueberhebung seiner Tyrannennatur zur Galeere verurtheilt hatte. So wurden noch Hunderte von deutschen Landsleuten frei durch den „Zwölften“ und nicht ohne Mühe, denn die durch ihre Niederlagen erbitterten Franzosen versteckten die Gefangenen und hielten sie fest, als wollten sie dieselben behalten zur Erinnerung an den gefallenen Zwingherrn.

Zu Cherbourg suchte Wedell vergebens nach Herrn de Lachétardie, seinem alten Freund, er konnte nur sein Grab besuchen, denn seines Wohlthäters Tochter, Madame Noirot, war mit ihren Kindern nach dem Süden gezogen. Wedell mußte sich die Freude des Wiedersehens versagen. Er stand lange nachdenklich vor dem alterthümlichen Hause in der Hafenstraße, in dem jetzt andere Leute wohnten, und ihm wurde das Auge naß bei der Erinnerung. Der bärtige Wachtmeister aber hinter ihm, der weinte wie ein Kind, daß er Florine und Dorine nicht fand, seine beiden kleinen artigen Freundinnen. An Ruhm und Ehren reich kehrte der Major von Wedell heim aus Frankreich. Zu Wesel besuchte der „Zwölfte“ das Grab der „Elf“. Bürger von Wesel hatten es durch kleine eingepflanzte Büsche bezeichnet, damit die Stätte nicht in Vergessenheit gerathe.

Auf Sanct Helena gefangen saß Napoleon – der „Zwölfte“ verließ mit leichtem Herzen das Grab der Opfer. Er hatte im Siege die Schmach vergessen, es war keine Spur von Rachegefühl mehr in seiner Seele. Im Frieden gründete sich der ehemalige Sträfling von Cherbourg sein Haus. Die edle, milde Gräfin Charlotte Pückler wurde, zehn Jahre nach dem zweiten Einzuge in Paris, seine Gemahlin. Der Obrist von Wedell wurde General und galt für einen der vorzüglichsten Truppenführer der königlichen Armee. Seit 1846 lag der General von Wedell mit seiner Division in Bromberg, als 1848 der polnische Aufstand ausbrach. Da zeigte der 63jährige General, daß all das Feuer und die rastlose Energie des jugendlichen Schill’schen Officiers noch lebendig waren in ihm. Sein Federbusch wurde der Schrecken der polnischen Insurgenten, seine Erscheinung der Trost und die Zuversicht der deutschen Landsleute, und endlich war er es, der die letzten Reste des polnischen Heeres bei Bardo anseinander sprengte und so die deutsche Bevölkerung des Großherzogthums von der brutalen Unterdrückung der Polen befreite. Die Dankbarkeit der deutschen Bewohner Posens sendete 1851 den Befreier, den rastlosen General von Wedell, als Abgeordneten für Bromberg in die erste Kammer. Da hat sich der tapfere General nicht wohl befunden, er hat seine Pflicht gethan, so gut er’s vermochte, aber der ehemalige Officier von Schill und der Gefangene von Cherbourg, der Mann der Thaten, nicht der Worte, war doch herzlich froh, als im folgenden Jahre schon sein Mandat erlosch. Gleich darauf wurde er Generaladjutant Sr. Majestät des Königs und Gouverneur der Bundesfestung Luxemburg, 1855 aber General der Cavallerie.

Da saß nun der „Zwölfte“ hoch oben auf dem grotesken Felsenhorste von Luxemburg, mit hellem Auge schaute er hernieder in die Lande der Belgier und der Niederländer, deren Könige ihn mit ihren höchsten Orden decorirten, aber er schaute auch in die französischen Landschaften hinüber, über welche abermals ein Bonaparte gebot, ein dritter Napoleon herrschte mit eiserner Gewalt und glatten Redensarten, ein Herrscher, den die Fürsten Europas bewunderten, weil er gegen die Bewegung der Völker zwar auch kein anderes Mittel wußte, als die brutale Kartätsche und das dumme Bajonnet, die freche Polizei und die gemeine Spionage, aber diese traurigen Mittel mit Glück angewendet hatte.

Wedell schaute ernst hinüber, er wußte, daß es nur ein wirksames Mittel giebt, die Revolution zu bekämpfen und den Völkern das Heil zu bringen. Wer die Revolution nicht geistig zu bestreiten und aus ihrem Gegentheil heraus zu besiegen vermag, der arbeitet mit Kartätschen und Bajonnet nur für die Revolution.


6.

Im Jahre 1855 war es, da hielten einige prachtvolle und glänzend bespannte Hofequipagen des Kaisers Napoleon III. zu Paris vor dem Hotel Mirabeau in der Friedensgasse und, geleitet von kaiserlichen Ceremonienmeistern und Kammerherrn in Gala, sah man einen greisen Herrn in der preußischen Generalsuniform, von seinen Adjutanten und andern Officieren gefolgt, die Treppen herniedersteigen. Der greise Herr war der Generaladjutant des Königs von Preußen, Gouverneur von Luxemburg, General von Wedell, welcher in außerordentlicher Mission seines Souverains in Paris eingetroffen war und jetzt von den höchsten Hofbeamten des gekrönten Bonaparte in feierlichem Aufzuge zur Audienz in das Schloß der Tuilerien geleitet werden sollte.

Es war Wedell, es war der „Zwölfte“, den der Bonaparte, der dritte Napoleon, mit den höchsten Ehrenbezeigungen zu seinem Hoflager geleiten ließ!

O ja, es giebt doch eine Vergeltung, auch auf Erden!

Die schimmernden Karossen donnerten über das Pflaster von Paris, mit unbewegtem Antlitz saß Wedell dem kaiserlichen Ceremonienmeister gegenüber, nur auf den Platz, auf welchem der Obelisk von Luxor steht, machte er den preußischen Officier, der ihn begleitete, durch eine Handbewegung aufmerksam.

„Der Platz Ludwig’s XV.,“ sagte Feuillet de Conches, der kaiserliche Ceremonienmeister, erklärend.

Wedell verneigte sich leicht, er kannte den Platz gut genug, den Platz, der erst nach Ludwig XV. hieß, der dann das Schaffot Ludwigs XVI. trug und Revolutions-Platz genannt wurde. Eintrachts-Platz wurde er später getauft, aber Wedell hatte hier in Parade gestanden 1814, Preußen, Oesterreichs, Baiern, Würtemberger, Russen, die ganze siegende Eintracht der deutschen und europäischen Rache gegen Napoleon’s Zwingherrschaft – und nun saß doch wieder ein Bonaparte in jenem Tuilerienschloß?

Halt! Trommelwirbel, Spiel, der französische Marsch, die kaiserliche Schloßwache steht unter dem Gewehr und macht die Honneurs vor dem „Zwölften“, der langsam die Stufen zum Pavillon Marsan hinaufsteigt. Die Hundert-Garden, die in großer Gala an den Thüren schildern, sie salutiren vor dem alten Schill’schen Manne, der vielleicht an Cherbourg und die Karre denkt.

Während der General von Wedell Audienz hat in dem großen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_350.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2022)