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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Andere den Ansprüchen genügen, welche ich an eine befriedigende Zukunft zu stellen habe.“

Reichardt sah in ihr Auge, das nur unsicher seinen Blick auszuhalten schien, und ein Gefühl von Wehmuth stieg in seinem Herzen auf. Es war ihm, als könne er das Mädchen verstehen, die es vorzog, ihr Herz mit seinen Schätzen zu begraben, als es hinzugeben, wo ihm niemals dieselbe heiße Flamme entgegengeschlagen hätte, und ein Leben der kalten, nüchternen Vernunft zu beginnen – und doch erschien ihm ein solcher Entschluß in der Fülle der Frische und Jugendkraft, welche sie belebten, wieder so unnatürlich, daß dieser nur aus einem Gemüthe entsprungen sein konnte, das mit jeder andern Hoffnung fertig ist!

„Warst Du nicht schon mit Dir einig, Mathilde, ehe Du meine Ansicht verlangtest?“ fragte er.

„Ich bin es jetzt noch nicht, Max,“ erwiderte sie, ihre Sicherheit wieder gewinnend, „aber ich habe eingesehen, daß ich, um zu dem rechten Ziele zu gelangen, Dir meine Fragen bestimmt stellen muß. Antworte nur ebenso, ich habe Dir einen vollen Einblick in die Charaktere und die Verhältnisse gegeben. Der Director mag seine fünfundvierzig Jahre zählen, aber sein Geist ist jugendlicher, als der vieler unserer jungen Männer. Er ist ein durch und durch nobler Charakter und die Kunst seine eigentliche Lebenslust. Er mag mich ebensowenig lieben als ich ihn, aber gegenseitige Achtung und gemeinschaftliche Neigungen bilden wohl einen haltbaren Ersatz für das, was sich oft Liebe nennt. Er ist in mancher Beziehung ein Original, wohl in andern ein halbes Kind, aber vielleicht kann hier meine eigene Selbständigkeit zu einer Ergänzung helfen. – Nun, Max?“ setzte sie nach einer Pause hinzu, als der junge Mann ihr nur mit einem stillen Blicke ins Gesicht sah.

„Warum fragst Du denn noch?“ erwiderte er, wie in halber Gedrücktheit. „Wenn ich nun auch sagte, was sich einer solchen Verbindung entgegenstellen läßt, so könnte es doch kaum mehr sein, als Du Dir selbst längst gesagt haben mußt; im Uebrigen aber ist Dein Entschluß bereits so vorbereitet, und Jeder muß immer selbst am besten wissen, was zu seiner Befriedigung gehört, daß meine Worte gewiß am wenigsten ins Gewicht fallen können –“

„Bist Du unzufrieden, Max, daß ich mich Dir gegeben habe wie ich bin, mit allen Schroffheiten, die wohl in mir sein mögen?“ unterbrach sie ihn, seine Hand von Neuem fassend, „daß ich mir einmal den seltenen Genuß gegönnt, zu sprechen, wie es mir auf der Seele gelastet?“

„Mathilde!“ rief Reichardt, welchen bei dem halbanklagenden Blicke des Mädchens das ganze Mitgefühl für sie wieder überkommen hatte, „es ist ja nur der Schmerz der aus mir spricht, der Schmerz, daß ich kein befriedigendes Glück für Dich schaffen kann, aber auch keines in Deinen Entschlüssen sehe, trotz alle der herausgekehrten lichten Seiten, mit denen Du Dich selbst zu täuschen suchst!“

„Lassen wir die Sache jetzt!“ erwiderte sie, wieder hell zu ihm aufblickend, „es wird spät, und ich verspreche Dir, mich nicht zu übereilen. Ich habe morgen früh den Director zu mir bestellt, aber es liegt noch eine lange Nacht zwischen jetzt und morgen. Sei nach dem Frühstücke wieder bei mir, dann werden wir Beide mit ruhigerem Auge die Dinge betrachten. Und nun gute Nacht, Max!“ – Mit einem stillen Kopfschütteln war Reichardt die Treppe nach den untern Räumen hinabgeschritten. Er fühlte sich unmuthig, kaum wußte er aber, ob in Folge der Zurückweisung seines Antrags, oder aus Sorge über Mathildens Wahl, die ihm noch immer kaum anders als ein Verzweiflungsschritt erscheinen wollte. Jedenfalls war das Bild, welches er sich von der nächsten Zukunft im Zusammenleben und Wirken mit ihr geschaffen, zerronnen, und doch hätte er am wenigsten von ihr ein Hinderniß für die Verwirklichung desselben erwartet. Aber sie war jetzt eine Andere, als er sie in New-York gekannt, und wenn er sich auch nicht in ihrer Liebe zu ihm getäuscht hatte, so bot ihm diese eigenthümliche Natur doch so viel neue Seiten, daß er das schutzlose Mädchen, welches damals seine Schwester geworden, kaum aus ihr herauszuerkennen vermochte.

Er war in den Ausgang des Hotels getreten, überlegend, ob er in seinem erregten Zustande schon das Bett suche, oder noch einen Gang durch die hellerleuchteten Straßen mache, als eine bekannte Stimme neben ihm laut wurde. „Hatten Sie mir nicht einige Fragen vorzulegen, Sir? Sie sehen, daß ich Ihnen gern die Mühe spare, mich zu suchen!“ klang es, und als er den Kopf wandte, sah er in des Agenten Gesicht, das eine ironische Ruhe bewahren zu wollen, aber einen innern Ingrimm nicht verbergen zu können schien. Reichardt hatte trotz Mathildens Mittheilungen noch immer keine Ahnung, weshalb der Mensch sich an ihm reiben zu wollen schien, aber dieser kam ihm in seiner jetzigen Stimmung kaum ungelegen.

„Lassen Sie uns nach dem Speisezimmer gehen, wo wir wohl ungestört sein werden,“ erwiderte er mit einem finstern Kopfnicken und schritt dem Andern nach dem bezeichneten Raume, welcher nur noch von einer halbeingedrehten Gasflamme nothdürftig erleuchtet war, voran. Die die Mitte des großen Zimmern durchschneidende Tafel war noch mit aufgethürmtem Geschirr und einem Haufen Messern und Gabeln, die sich zu einem großen Vorlegemesser wie die Brut desselben ausnahmen, besetzt; Reichardt lehnte sich bequem gegen den Tisch, schlug die Arme in einander und sah mit hochaufgerichtetem Kopfe seinem Gegner, welcher vorsichtig die offene Thür schloß, entgegen. „Ich wünsche einfach zu wissen, Sir,“ fragte der Deutsche, sobald sich der Agent nach ihm kehrte, „was Ihre auffallend höhnische Miene, mit welcher Sie mich seit meinem Eintritt ins Hotel verfolgt haben, zu bedeuten hat, und erwarte, wenn ich sie nicht als sichtliche Beleidigung Ihrerseits betrachten soll, eine genügende Erklärung.“

„Die Erklärung sollen Sie jedenfalls haben,“ erwiderte der Amerikaner, während ein spöttischer Zug um seinen Mund einem bösartigen Ausdrucke seines ganzen Gesichts Platz machte; „im Uebrigen aber steht es Ihnen frei, sich so beleidigt zu fühlen, als Sie Lust haben; ich bin völlig bereit, für meine Worte einzustehen!“

„Ich höre, Sir!“ sagte Reichardt, die Augen zusammenziehend und sich fester gegen den Tisch stützend. Der Mensch schien einen ernstlichen Streit mit ihm zu suchen, und wenn auch der Deutsche gern einen solchen vermieden hätte, so war er doch fest entschlossen, sich in keiner Weise zu nahe treten zu lassen.

Very well, Sir“, entgegnete der Andere finster. „Sie treten hier als Bruder der Miß Heyer auf; zufällig weiß ich aber, daß zwischen Ihnen und der Lady gerade so wenig Verwandtschaft besteht, als zwischen uns Beiden hier – ich kann Ihnen sogar, falls Sie Ihre Lüge zu behaupten gedächten, meinen Gewährsmann nennen, es ist einer Ihrer Freunde, der mit Ihnen und der Lady über See gekommen ist, ein Kupferschmied Meißner, in der Whiskyfabrik von „Johnson und Sohn“ in New-York beschäftigt; und jetzt, Sir, werden Sie mir wohl nicht verwehren, meine Betrachtungen über das wunderbare Geschwisterverhältniß gerade so anzustellen, wie es mir beliebt.“

Reichardt hatte seinem Gegner fest in’s Auge gesehen und kaum merklich die Farbe gewechselt. Jetzt zog er sein Notizbuch hervor, einige Worte darin notirend, und barg es ruhig wieder an seinem früheren Orte. „Wollen Sie mir wohl sagen, wie Sie mit diesem Kupferschmied Meißner zusammengetroffen sind?“ fragte er dann kalt.

„O, Sie haben mit der einfachen Angabe noch nicht genug!“ gab der Agent, grimmig lachend, zurück. „Sie sollen Alles hören, damit Sie sich nicht zu beklagen haben. Es war am Abend nach dem Engagement der Miß Heyer, daß ich in einem deutschen Locale von der vorzüglichen Acquisition, welche mir gelungen, sprach und von einem jungen Manne angeredet ward, der sich nach einem Mr. Reichardt, dem bisherigen Beschützer der jungen Lady, erkundigte. Es konnte mir nur lieb sein,“ fuhr er, das Gesicht zu einem häßlichen Lächeln verziehend, fort, „etwas über die Vergangenheit unseres neuen Mitgliedes zu hören, und ich erfuhr wohl auch Alles, was nöthig ist, um die Art des bisher schon bestandenen Geschwisterverhältnisses zu verstehen. Verlangen Sie noch mehr Erläuterungen, Sir?“

In Reichardt’s Gesicht war langsam ein dunkeles Roth gestiegen, aber er hielt sichtlich an sich. „Sie werden weder Miß Heyer noch mich mit Ihren Andeutungen beschmutzen können,“ sagte er, „nur sich selbst, Sir! Sie lassen ein Verhältniß der schlimmsten Art ahnen und denken doch daran, derselben Lady Ihre Hand zur Ehe zu bieten. Sie beschimpfen sie, während Sie die Antwort auf Ihren Antrag erwarten. Ich kann verstehen, daß Sie bei Ihren Voraussetzungen die Eifersucht gepeinigt hat, seit ich hier bin, daß Sie möglicherweise in mir ein Hinderniß für

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