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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Straßenlärm. Der Brief war zu Ende. „Rita“ hieß das schöne Mädchen mit Vornamen, wie ich im Vorübergehen hörte.

Ganze Züge von Priestern kamen mir entgegen, in Kutten von allen Farben. Sie gingen zu zehn, zu zwanzig und zu dreißig, immer paarweise, schwarze Priester, rothe Priester, grüne, graue und violettfarbene. Alle denselben häßlichen schwarzen Hut mit den umgebogenen Krempen, welche durch Schnüre gehalten werden, auf den tonsurirten Köpfen. Tausende von Priestern sind aus Umbrien und den Marken, aus der Romagna und aus Süditalien in den letzten Monaten nach Rom gekommen. Wenn das so weiter geht, wird die Regierung die Armee aus Priestern rekrutiren können. In Süditalien und in Sicilien haben die Priester tapfer gefochten, für und gegen die Revolution. Ich passirte den Corso. Der Corso sah heute recht unsauber aus. Das schmale Trottoir war von einer Menge Detailverkäufer besetzt, welche den Vorübergehenden ihre Schwefelhölzer, Fleckseife, Stiefelwichse und dergleichen Quark zum Verkauf anboten. Dazwischen schrieen umherziehende Männer und Weiber mit kreischender Stimme Fische und sonstige Nahrungsmittel aus. Eine Buchhandlung gab es auf dem ganzen Corso nicht, dagegen Buchbinderläden und Papierhandlungen in Menge. Vor den Fenstern standen zahlreiche Gebetbücher, grobgemalte Heiligenbilder und schlechte Copien guter Gemälde. Die Kaffeehäuser waren überfüllt von Gästen, welche dicht aneinander gedrängt auf den schmalen Divans saßen. Drinnen war eine unheimliche Stille; ich hörte nichts als die Stimme des Cameriere, der die Bestellungen der Gäste dem Büffet zurief; und es wehte da drinnen eine Luft – wie die Atmosphäre einer Wachtstube. Ueber mir lachte der blaue italienische Himmel im goldnen Sonnenschein; warum gingen die Leute, welche in diesen räuchrigen Conversationshöhlen saßen, denn nicht lieber „in’s Freie“? Man kann in Rom nicht in’s Freie geben, draußen vor den Thoren ist nichts als eine sandige, baumlose Wüste, und in der Stadt giebt es keinen Spaziergang, als immer und immer wieder der Monte Pincio.

Es war schmutzig und langweilig auf dem Corso; ich bog wieder in die Via Condotti ein, welche unter verschiedenen Namen vom spanischen Platz mitten durch die ganze Stadt an der Tiber entlang bis zum Ponte San Angelo zur Peterskirche führt. Je weiter ich mich vom Corso entfernte, desto schmutziger und unreinlicher wurde die Straße und desto ärmlicher und miserabler wurden die Häuser. Vor dem Hause eines Schlächters saß eine abschreckend aussehende Megäre, umtobt von einem halben Dutzend zerlumpter Kinder. Dann mündete die schmale Straße auf einen kleinen Platz. Vor einer höchst unsaubern Garküche hatte ein öffentlicher „Bartkünstler und Haarschneider“

Der Bartkünstler und Haarschneider.
Nach der Natur gezeichnet von Zwahlen und Zielcke

sein Atelier im Freien aufgeschlagen. In jeder römischen Stadt, in größeren und in kleineren Orten kann man auf den öffentlichen Plätzen dergleichen Bartkünstler sehen. Das beste Geschäft machen sie am Montag Morgen, wo die ländliche Bevölkerung in die Stadt kommt und sich rasiren oder auch das Haar zustutzen läßt. In Rom ist an jedem Sonntag die Piazza Montanara dieser allgemeine Haarschneide- und Rasirplatz für die Bewohner der Campagna, welche zur Stadt kommen. Auch hier, in der Via della Fontanella, ging die Bartoperation ganz ungenirt vor sich. Ein Bauer saß, die Hände gefaltet, auf einem Stuhl, seine Frau hockte, den unvermeidlichen Regenschirm von grüner, lackirter Leinwand in der Hand, daneben, auf einem Stein. Der Patient war bereits eingeseift, und die Operation, welche einen halben oder ganzen Bajocco kostet, nahm ihren Anfang.

Zwei Kinder gafften die wichtige Handlung an, der Knabe mit dem unverkennbaren Gesichtsausdrucke, als wenn er an die Zeit dächte, wo auch er vor dieser Garküche säße und eingeseift und barbiert würde. Hinter dem Stuhle stand ein bereits abgefertigter Patient in Hemdsärmeln, und wischte sich die Seife mit einer sehr unsauberen Serviette ab. Die Staffage war, wie immer, verfallen aussehende Häuser, Wäsche zum Trocknen in den Fensterlöchern und der unvermeidliche Bettelmönch in der braunen Kutte mit dem Korb am Arm, langsam vorüberschlendernd.

Es ist das heutige Rom, welches ich schildere, das moderne Rom, und es ist so, wenn man es nicht durch die falsche Brille eines schwärmenden Kunstenthusiasten anschaut. Es giebt ja auch Menschen, deren Gehirn für die öde, heiße Wüste der Campagna schwärmt. An jedem andern Fleck der Erde würden sie diese Wüste

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_429.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)