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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

der es verschmähte, eine Berühmtheit zu werden, und dann in der Thatsache, daß sein Leben bisher kein äußerlich bewegtes, sondern ein tief innerliches war, welches nur er selbst einmal in dem ganzen Reichthum geistiger Kämpfe und Erlebnisse wird darstellen können. So lange seine fruchtbare Wirksamkeit nach außen uns eine solche Selbstschau nicht in Aussicht stellt, müssen wir versuchen, aus der reichen und mannigfachen Thätigkeit des Mannes ein Bild seines eigensten Wesens zu gewinnen.

A. Bernstein ist im Jahre 1812 in Danzig von jüdischen Eltern geboren, wurde von diesen für den Rabbinerstand erzogen und war bis zum reifen Jünglingsalter ausschließlich auf die geistige Nahrung angewiesen, die das emsige Studium der Bibel und des Talmud einem energischen Geiste darzubieten vermag.

Die Sehnsucht nach erweitertem Wissen trieb ihn im zwanzigsten Jahre seines Lebens nach Berlin, wo er sich mit der ganzen Kraft der Jugend und dem Feuer eines lange unterdrückten geistigen Triebes in alle ihm bisher verschlossen gebliebenen Gebiete des Wissens hineinwarf. Der Umstand, daß er erst in reiferen Jahren die Elemente unserer Cultur aufnehmen konnte, hatte für ihn den Uebelstand, daß er die schulgerechten Stadien einer classischen Bildung nicht mehr nachholen konnte. Aber eben dies scheint zu seiner an den Tag getretenen seltenen Kunst, selbst die strengsten wissenschaftlichen Probleme zu popularisiren, den Grund gelegt zu haben. Denn auf dem Wege der Ausbildung ganz auf sich angewiesen, war er nicht blos gezwungen, bei jedem Zweig des Wissens sich zu möglichster Geistesklarheit und Uebersichtlichkeit emporzuarbeiten, sondern er lernte und erprobte auch an sich selber die Methode, wie man ohne die übliche, schulgerechte Vorbereitung den Wissenschaften beizukommen vermag. Energische Anstrengungen, unerschütterlicher Muth und eine von tiefem sittlichen Ernst getragene Begeisterung für alles Edle und Hohe reichten hin, um in wenigen Jahren die Lücken seiner Kenntnisse und seiner Lebensanschauungen auszufüllen. Vor Allem fühlte er sich gedrungen, mit der hinter ihm liegenden theologischen Epoche zu brechen, und er that dieses mit einer Uebersetzung und Bearbeitung des Hohen Liedes Salomonis (erschienen Berlin 1834), in welcher er mit der freiesten Kritik das biblische Buch als ein literarisches Product behandelte. Die in dieser Schrift von ihm aufgestellte Behauptung, daß das dritte Capitel des Hohen Liedes ein späteres und eingeschobenes sei, erwarb sich bei fachwissenschaftlichen Autoritäten Anerkennung und Zustimmung, und gab jedenfalls den Beweis, daß schon der 22jährige Jüngling den Muth seiner eigenen Meinung und das Talent besaß, sie geltend zu machen. Doch vermochte er nicht die Ehrfurcht vor der sein ganzes Wesen tief ergreifenden deutschen Literatur so weit zu überwinden, daß er mit seinem Namen ihr ihm heiliges Gebiet betrete. Sein Schriftchen erschien unter dem Namen „Rebenstein“, und durch diese Pseudonymität ermuthigt, begann er sich in freien lyrischen Productionen und kritischen Abhandlungen zu versuchen. Diese Arbeiten erregten die Aufmerksamkeit der älteren Literaten Berlins, die, in hohen Lebensstellungen, es sich zur Ehre rechneten, junge Talente geistig zu unterstützen und zu fördern.

Hitzig, Varnhagen von Ense, Chamisso, Streckfuß, Gubitz und der Jüngste dieses Kreises, Wilibald Alexis, zogen den jungen Mann zu sich heran, wiesen ihm Arbeiten im Gebiete der wissenschaftlichen, der literarischen und Kunstkritik zu und übertrugen ihm zeitweise auch die Redaction der Berliner literarischen Organe, welche theils von ihnen, theils unter ihrer Einwirkung geleitet wurden.

Durch die Erfolge seiner literarischen Thätigkeit ermuthigt, entschloß sich Bernstein im Jahre 1836 sich in Berlin häuslich niederzulassen. Er heirathete ein junges armes Mädchen, das er kurz nach seiner Ankunft in Berlin kennen und lieben lernte, und fand in seiner Ehe ein so tiefes innerliches Glück, daß Alle, welche ihm in jener Zeit nahe gestanden, das Verhältniß als ein solches schildern, wie es in reinster Idealität und Verklärung nur selten einmal in die Erscheinung tritt. Diese Ehe breitete über sein ganzes Leben mehr wie je eine sittliche Weihe, und als sie im Jahre 1854 durch den Tod seiner Gattin gelöst wurde, konnte er den seelenvernichtenden Schmerz nur dadurch überwinden, daß er immer selbstloser sich der Arbeit für das Allgemeine hingab und durch eine alle Kraft absorbirende Thätigkeit täglich von Neuem das Leben dem Schmerze abrang. Doch haben wir damit vorgegriffen und kehren zu dem Jahre 1837 zurück.

Die literarische Thätigkeit stillte weder den wissenschaftlichen Trieb Bernstein’s, noch bot sie ihm ein gesichertes Auskommen. Letzteres zu erreichen, verband er sich mit Wilibald Alexis, um ein Lesecabinet in großem Style in Berlin zu gründen. Es trat sehr hoffnungsreich in’s Leben, scheiterte aber an dem Mangel kaufmännischen Sinnes beider Unternehmer. Ein Versuch Bernstein’s, sich als Buchhändler einen Erwerb zu schaffen, gelang ebenfalls nicht, und Alles verwies ihn von Neuem auf seinen literarischen Fleiß. Sein wissenschaftlicher Trieb führte ihn um diese Zeit zuerst dem Studium der Natur zu, und wie er in Allem, was er ergriff, sogleich productiv wurde, war das nächste Ergebniß dieses Studiums eine Arbeit über die „Rotation der Planeten“, die zwar das bis jetzt von der Wissenschaft ungelöste Problem nicht löste, aber von so ernster Anlage war, daß der weltberühmte Astronom Bessel es nicht verschmähte, sich hierüber in einen Briefwechsel mit dem Verfasser einzulassen und ihn zur fachwissenschaftlichen Durcharbeitung seiner Ideen zu ermuntern.

Von günstigem Erfolge war eine zweite kleine Arbeit Bernstein’s, im Fach der preußischen Finanz- und Domainenverwaltung.

Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelm’s IV. hatte die Bande der Censur gelockert und neue Hoffnungen auf Reformen des Staatswesens erregt; aber zunächst bemächtigte sich die feudale Partei dieser Gunst der erwachenden Oeffentlichikeit, und Herr von Bülow-Kummerow schrieb sein Werk über Preußens Finanzen, das, weil es der Freiheit des Wortes huldigte, außerordentliches Aufsehen erregte, aber dadurch gerade falsche staatswirthschaftliche Grundsätze unter dem Scheine der Opposition gegen die alte gesunde Nationalwirthschaft verbreitete.

Da erschien gegen Bülow-Kummerow eine kleine anonyme Schrift unter dem Titel: „Zahlen frappiren“, die in zwei Auflagen schnell vergriffen wurde. In derselben wurde der Nachweis geführt, daß die bis dahin von der Finanzverwaltung befolgte Veräußerung der Staatsdomänen zu Gunsten der Tilgung der Nationalschuld ein gesundes Volks- und staatswirthschaftliches Princip enthalte; Bülow-Kummerow rechnete, wie die Gegenschrift nachwies, mit falschen Zahlen zu Gunsten einer falschen volkswirthschaftlichen Anschauung. Da die kleine Schrift die bisherige Verwaltung vertheidigte, nahm man an, daß ihr Verfasser ein Finanzbeamter sein müsse, und da sie schlagend die Rechenfehler Bülow-Kummerow’s bewies, schrieb man sie keiner geringeren Autorität, als dem jetzigen preußischen Finanzminister, Herrn von Patow, zu, der auch noch in neuerer Zeit von Prutz als deren Verfasser angegeben ist. So schmeichelhaft diese Voraussetzung für den wahren Verfasser sein mußte, so wenig veranlaßte ihn dies, aus seiner Anonymität herauszutreten. Diese Thatsache ist nicht blos für Bernstein’s literarischen Charakter bezeichnend, sondern genügt auch zum Beweis, wie fern er schon damals von der Vorliebe für Opposition und von der Ausbeutung seiner Ansichten war, wo er sie für die Regierung geltend machte.

Die Reformbestrebungen auf dem Gebiete der Religion boten vom Jahre 1845 an unserm Autor Gelegenheit, die theologischen Studien seiner Jugendjahre im Interesse der Reform des Judenthums geltend zu machen. Die jüdische Reformgemeinde in Berlin verdankt seiner Theilnahme sowohl die Gründung wie die Einführung eines Gottesdienstes in deutscher Sprache und einer Religionsschule, welche nach geläuterten Principien eine Neubildung des Judenthums anbahnt. Noch jetzt sind theologische Studien für Bernstein eine Lieblingsbeschäftigung seiner Mußestunden, und oft finden wir in seinen Mahnungen an das Volk einen Klang, der uns an die großen Vorbilder erinnert, die uns im Prophetenthum als erschütternde Beispiele sittlicher Einwirkung auf ein sinkendes Volk aufbewahrt sind.

Das Jahr 1848 war es nicht, welches Bernstein zur politischen Schriftstellerei anreizte; seiner im tiefsten Grunde maßvollen Natur widerstrebten im Gegentheil viele der damals hervortretenden politischen Erscheinungen so sehr, daß er sich von jeder Publicität fern hielt. Gerade diese Erscheinungen waren es aber, die ihn überzeugten, daß das Volk einer besonnenen Vorbildung für die politische Freiheit bedürfe, um auf gesunder Grundlage einen Widerstand gegen die Reaction zu leisten, welche durch die Straßen-Demagogie gestärkt wurde.

Von dieser Ueberzeugung getrieben, gründete er auf gut Glück, mitten im Belagerungszustande, im März des Jahres 1849 die „Urwähler-Zeitung“, weder von einer Partei, noch von einem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_454.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)