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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

kleinen Kreise gekannt ist. Aber gerade, weil er sich allem nach außen Zerstreuenden völlig fern hält, gelingt es ihm, bei anscheinend so verschiedenartigen Arbeiten die volle Harmonie des innern Wesens zu bewahren. Er ist in hohem Grade das, was man liebenswürdig nennt, hülfreich nach allen Seiten, seinen Freunden der treueste und bewährteste Freund, so daß diese bei den seltenen Geistesgaben, die ihn auszeichnen, doch den höchsten Werth des Mannes in seinem Charakter und in seinem Herzen finden. – Was Bernstein in den letzten zehn Jahren für die politische Bildung des Volkes gethan, ist nicht hoch genug anzuschlagen. Wir haben nur einer Pflicht genügt, wenn wir die Leser unseres Blattes mit einem Manne bekannt machten, welcher mit Recht den Dank der Nation für eine langjährige unerschrockene und überzeugungstreue Arbeit in ihrem Dienste beanspruchen darf.




Zur Geschichte des Aberglaubens.

Nr. 5.[WS 1] Blut- und Schwefelregen.

Blut und Schwefel sind zwei Stoffe, an denen das phantastische Gelüst des Volkes nie müde geworden ist, seine Kunst in Verwendung zu allerhand Spukgeschichten zu versuchen. Die geheimnißvollen Eigenschaften beider machten sie zu Werkzeugen der schauerlichsten Einbildung im höchsten Grade geeignet.

Das Blut, die Bedingung, der Inbegriff alles körperlichen Lebens, entzog sich seiner Erforschung bis auf die neueste Zeit und behielt unbestritten das Recht über die Phantasie, welches alles Geheimnißvolle verleiht. Alle alchemistischen Versuche, die sich mit dem Aufsuchen des Steines der Weisen und ähnlicher Probleme beschäftigten, hatten die Lebenskraft zum Gegenstande, welche noch heute in den Köpfen mancher Naturforscher eine eigenthümliche Rolle spielt, und suchten im Blute deren wirksamste Quintessenz. Extravagante Schwärmer und schlaue Betrüger redeten dem leichtgläubigen Volke die mannigfachsten Wirkungen und Kräfte des Blutes ein, die, weil sie wunderbar waren, beim Haufen Glauben fanden; und wo eine geheimnißvolle Unternehmung vorbereitet oder ein absonderliches Medicum gebraut wurde, durfte es unter den Ingredienzien und Beschwörungsmitteln nicht fehlen. Es wurde jener sonderbare Saft, vor dem selbst der Teufel Respect hatte.

Der Schwefel hatte vermöge seiner feurigen Natur sich ein bedeutendes Ansehen von Haus aus mitgebracht. Wo er sich auf der Erde fand, waren die räthselhaften, gewaltigen Kräfte der ewig verschlossenen, vulcanischen Tiefe in unverkennbarer Thätigkeit gewesen und er selbst eine sichtliche Folge ihrer Wirkungen. Seine leichte Entzündlichkeit, die blaue Flamme, mit welcher er verbrennt, seine Begierde, sich in der Retorte des Goldmachers mit den mannigfachsten Stoffen auf unerklärliche Weise, oft unter dem prachtvollsten Flammensprühen, zu verbinden und neue ungeahnte Körper zu erzeugen, welche die sonderlichsten Eigenschaften besaßen, und die wahrhaft infernalischen Gerüche, welche allen diesen Verbindungen eigenthümlich sind, machten ihn recht zu einem Attribut des Teufels geeignet. Und es kann nicht geleugnet werden, daß es kaum ein würdigeres Element geben dürfte, die Staatszimmer des Höllenfürsten zu wärmen und das Boudoir seiner Großmutter zu parfümiren.

Da fand man bisweilen nach Gewitterregen, welche von heftigen Stürmen begleitet gewesen waren, auf den Pfützen, die sich an den Wegen gesammelt hatten, eine dicke Haut eines schwefelgelben Pulvers, welches auch außerdem oft die vom Regen getroffenen Gegenstände förmlich überzogen hatte. Dieses Pulver war offenbar mit dem Regen heruntergefallen und zurückgeblieben, als das Wasser sich verlaufen hatte. Es hatte, wie man sagte, „Schwefel geregnet“. Bei dem Gedanken daran schauerte jedem ehrlichen Christenmenschen die Haut, da es doch nicht anders anzunehmen war, als daß der Teufel bei einer solchen höchst bedenklichen Erscheinung seine Hand mit ganz besonderer Lust im Spiele gehabt haben mußte. Wenn man den gelben Staub sammelte und durch eine Lichtflamme blies, so flammte er blitzartig auf – das bewies ja seinen höllischen Ursprung vollständig.

Der Blutregen war nicht minder schauerlich. Es bedurfte keiner finstern, stürmischen Nacht dazu. Nach dem hellsten Vollmond oft erschrak man über blutige Lachen, die an Waldesrändern, in feuchten Gräben, selbstverständlich auch an den verrufenen Kreuzwegen, – warum hier nicht? – gefunden wurden. Halbgeronnen, wie eben aus der Wunde geflossen, konnte die Substanz, aus der sie bestanden, nur Blut oder ein Blendwerk der Hölle sein. Nicht weit von der einen Lache war eine zweite, oft war das ganze Gewässer eines Teiches davon roth gefärbt. Oder auf dem Schnee zeigte sich die geheimnißvolle, plötzlich entstandene Röthe in großer Ausdehnung. Manchmal waren es wieder nur einzelne Tropfen, die auf dem Grase oder dem hellen Lehmboden sichtbar wurden. Immer aber war die Erscheinung des Blutregens eine das Gemüth des Volkes im höchsten Maße beunruhigende.

Da sie so unvorhergesehen eintrat, so konnte nur auf ein Niederfallen der merkwürdigen Substanz aus der Höhe geschlossen werden, und dies geschah um so lieber, als die Luft stets für den Tummelplatz dämonischer Kräfte angesehen wurde. Nun aber – im Ernst gesprochen – giebt es denn, oder hat es wirklich Regen gegeben, der Schwefel mit aus der Luft gebracht hat, oder dessen Wasser durch Blut gefärbt war? Dies gerade nicht; aber trotzdem darf man nicht Alles gleich als Fabel erklären, welche ein Jahr dem andern überliefert hätte, wenn ein einzelner Umstand darin in einer andern Weise zu deuten ist. Freilich ist dieser einzelne Umstand, die Beschaffenheit des merkwürdigen Stoffes, bei unserm Falle gerade die Hauptsache. Doch kommen wir darauf noch. Vor der Hand müssen wir zugestehen, daß die sogenannten Schwefelregen mit Blutregen nicht nur, sondern daß auch Getreideregen, Aschenregen, Schlammregen, sogar Fischregen und Raupenregen stattgefunden haben, und die Fälle davon sind so zahlreich, daß man gar nicht daran denken kann, sie einzeln zu betrachten, viel weniger sie zu leugnen. Wir wollen dies auch nicht im Entferntesten, sondern vielmehr die Eigenthümlichkeiten dieser Phänomene prüfend betrachten und durch eine vorurtheilsfreie Untersuchung dem herrschenden Aberglauben eine Provinz seines großen Reiches zu entreißen suchen.

Einer der interessantesten Schwefelregen fiel im Jahre 1804 zu Kopenhagen in der Nacht vom 24. zum 25. Mai. Nicht nur deswegen ist er interessant, weil die Menge des mit herabgefallenen gelben Staubes, von welchem die Erscheinung den Namen hat, eine besonders bedeutende war, sondern auch weil die dabei beobachteten Verhältnisse zuerst ein Licht auf seine Ursachen warfen, und weil die Schilderung davon, obwohl sie von nicht Unerfahrenen gemacht wird, doch zeigt, wie leicht sich der Mensch von seinen eigenen Sinnen beirren läßt. Die Wolke, aus welcher der Regen fiel, kam aus Südost; der Himmel war schwarz bewölkt und die herabfallenden Tropfen hatten eine bedeutende Größe. Ihre Farbe war rein gelb, und die Dächer, auf welche sie fielen, gaben nach der Aussage der Beobachter einen weißen flimmernden Schein von sich, als wären sie von einer schwach brennenden Materie übergossen. Der Eindruck, den dies machte, soll ein schreckhafter gewesen sein. Des Morgens darauf sah man überall, wo das Regenwasser zusammengelaufen war, ein gelbes Pulver schwimmen und auf der Mitte des Wassers eine gefleckte Haut. Die Festungsgräben waren an mehreren Orten gleichsam mit einem gelben Teppich überzogen. Auch auf der Erde fand man dies Pulver, vorzüglich an Stellen, wo der Regen kleine Bäche gebildet hatte, die mehr oder weniger ausgetrocknet waren. Die Farbe und zarte Beschaffenheit der eigenthümlichen Substanz gaben ihr eine große Aehnlichkeit mit Schwefelblumen. Getrocknet durch das Licht geblasen, verbrannte sie unter blitzartigem Aufleuchten, ohne aber einen schwefligen Geruch zu hinterlassen. Daraus schon mußte hervorgehen, daß es gewöhnlicher Schwefel nicht sein konnte, eine Untersuchung mittelst des Mikroskops setzte dies außer allem Zweifel, denn die kleinen Körperchen zeigten darin eine vollständige Uebereinstimmung mit den zarten Kügelchen, aus denen das sogenannte Hexenmehl (Semen Lycopodii)besteht. Als solches wurde denn auch die in einem Umkreise von mehr als einer Quadratmeile niedergefallene Substanz erkannt, nachdem sie den erschöpfendsten Analysen unterworfen worden war.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nr. 4.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_456.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)